umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Gönnerhaftigkeit. 
"Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins Gras 
gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!" 
Und die Gesichter um ihn zäunten sich enger, fingen zu glänzen an. 
Man trank sich kameradschaftlich zu.
"Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und 
Ordnungsmann in den Tisch. 
"Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine 
heraus. 
"Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere. 
"Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekräftigte ein anderer. 
Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll 
genug sein!" 
Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und ließ Michel 
leben! 
Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten, 
bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein ... 
richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!" 
Und jeder drückte Micheln die Hand. 
"Ein kreuzguter Mensch!" hörte dieser noch, als er die Tür hinter sich 
zuzog und seine Schritte eiliger straffte. 
Die großen Bogenlampen leuchteten schon durch den 
nachtdurchwobenen Nebel. Aus den Kaffeehäusern griffen die Lichter, 
die Straßenbahnen flimmerten, surrten und läuteten. 
Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und lächelte manchmal. 
Es schien, als wolle er noch einmal, ganz für sich allein, das eben zuteil 
gewordene Glück auskosten. 
Er griff nach seinem Geld. Er griff hastiger. Nichts. 
Seine Knie begannen zu schlottern, sein Herz stand jäh still. Er griff 
nochmal. 
Das ganze Geld war weg. Man hatte es ihm gestohlen.
Er taumelte an eine Hauswand. Griff, suchte--suchte alle Taschen durch, 
vorsichtig, zitternd, furchtbar. 
Nichts mehr. 
Einen Augenblick stand er starr. 
Die Trambahn surrte vorbei. Ganz dünner Schnee fiel. Die Lichter 
flimmerten. Es rauschte, rauschte--und war doch grauenhaft still. So als 
ob alles wie ein fließendes Wasser leise um ihn herumflösse. Er hörte 
es nicht und hörte es doch, hörte es wie ein verborgenes, leises 
Kichern.... 
Der Schnee fiel. Michel bewegte sich nicht von der Stelle. 
Lange.-- 
Endlich gab er sich einen Ruck, rannte in die Wirtschaft zurück, auf 
den Tisch zu. 
Es war keiner mehr da. Er fuhr den Ordnungsmann an. Fragte, flehte, 
weinte. Vergebens. 
In sich zusammengesunken verließ er die Wirtschaft. Machte sich auf 
den Heimweg. Als er vor dem Haus stand, in dem er wohnte,--hielt er 
inne. Er griff nochmal in alle Taschen. 
Dann, als er die Treppen emporstieg, schien es, als hätte sein Gang 
wieder die gewöhnliche Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der er sonst 
dahinschritt. Der Dunst des Zimmers schlug ihm ätzend entgegen. Es 
war still und düster. Die zwei Kinder lagen im Korb, in einem Berg von 
Lumpen, und schliefen. Anna saß am Tisch, die Petroleumlampe 
flammte ärmlich und bläulich üher ihre Hände. 
Gleichgültig schaute das Weib vom Sockenstopfen auf und rief: "Hast 
was gefunden?" 
Michel schwieg, drehte sich umständlich um und schloß die Tür. Dann, 
seinem Weib wieder zugewendet, sagte er: "Zuwas stopfst' Socken? ...
Brauchst bloß Licht." 
"Hast denn solang braucht?" fragte Anna und fixierte nunmehr die 
ungewohnte Kleidung ihres Mannes. 
"Ja ...," sagte Michel und zog seinen Überzieher aus, "ist eine schöne 
Strecke gewesen...." 
"Ist ein schönes Stück Gewand," sagte Anna wieder, als Michel näher 
ans Licht getreten war und sich auszuziehen begann, "sonst hat er also 
nichts gehabt?" 
Der Michel schnaubte ein paarmal auf. Dann rief er einsilbig: "Geh, leg 
dich nieder ... für uns wär's besser gewesen, man hätt' uns im ersten 
Bad ertränkt ... leg dich nieder, Alte!" 
Und plumpsig ließ er sich ins Bett fallen, daß die Federn knarzten. Bald 
darauf lag auch Anna an seiner Seite. 
Am ändern Tage trug Michel den Überzieher aufs Leihamt und gab 
Anna das Geld. 
Wieder wie immer hockte er stumpfsinnig in der Wärmestube der 
Arbeitsvermittlung.-- 
 
DIE LUNGE 
Die Arbeiterin Manztöter ist der Lungenschwindsucht erlegen. Sie war 
eine stille, fleißige Person. Sie schaffte sich auch etwas. 
Vor vier Jahren trat sie in die Zigarettenfabrik Zuccalisto ein. 
Bauernmagd war sie vorher gewesen. Eine von den vielen, die die Stadt 
anzog, der Verdienst und die Aussicht auf eine baldige, einigermaßen 
erträgliche Ehe vielleicht. 
Die Männer auf dem Lande waren plump und bedacht auf offene 
manchmal in den Stall, faßten sie an der Brust, packten ihr Kinn,
leckten ihre Wangen. Ein rothaariger Knecht setzte ihr aufdringlich zu, 
stand und stand überall und schlug einmal sinnlos auf sie ein. 
Daraufhin floh sie in die Stadt. 
Sie änderte sich nicht, sparte, arbeitete und war fromm ohne Bigotterie. 
Noch immer las sie das Wochenblatt jedesmal aus und den Roman und 
hielt sich außerdem "Die christliche Dienstmagd". Unter dem vielen 
Gemisch von afrikanischen Missionsberichten, fand sie eines Tages die 
Geschichte eines Farmers in Südwestafrika, leis überhaucht von 
friedlich-fleißigem Eheidyll. 
Einem solchen sparte sie das Geld vielleicht. 
Vierhundert Mark hatte sie schon auf der Sparkasse. Noch vielleicht 
zwei Jahre oder längstens drei und es wären tausend gewesen. Tausend 
Mark!-- 
Das ist schließlich nur Angewohnheit, daß    
    
		
	
	
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