das freundliche 
Himmelsblau. 
In jenem Winkel lehnt der Exfourier, blättert in einem alten, 
halbzerrissenen Gebetbuche und das höhnische Zucken der
Mundwinkel zeigt schon, daß er nicht betet, sondern critisirt, wenn er 
auch nicht von Zeit zu Zeit über "den Thurm Davids, das elfenbeinerne 
Gefäß und goldene Haus" seine Kasernenwitze losließe. 
Neben ihm liegt Martin der Wirthssohn, das Gespenst des früheren 
Schlosserlehrlings mit verzweiflungvoller Resignation lächelnd, wenn 
er zu fühlen vermeint, wie der Tod langsam zu seinem Herzen steige. 
Das Murmelthier fehlt auch nicht, sondern schnarcht den Faden des 
Lebens weiter, während im weißen Nachtrocke und Pantoffeln leise 
eine Gestalt mit gebräunter, von tiefen Leidenschaften durchwühltem 
Gesichte auf und ab wandelt--der Spaniol, der vor kurzer Zeit mit dem 
betrogenen und als Räuber zum zweitenmal verurtheilten Zuckerhannes 
hier zusammentraf. Von Zeit zu Zeit steht der Spaniol düster sinnend 
an einem Fenster, welches in das Straßenleben der Stadt hinabsehen 
läßt und ein wilder Schmerz arbeitet in seinen Zügen. Draußen 
Revolution, der erste Kanonendonner der "großen Zukunft" und er--mit 
seinen himmelstürmenden Ansichten, seiner verzehrenden Thatkraft 
und seinem brennenden Ehrgeize ein Sträfling, ein ohnmächtiger 
Gefangener, ein gemeiner Verbrecher! ... 
Kein Wunder, daß er heute nicht predigt; sein Stolz läßt ihm keine laute 
Klage zu, aber er herrscht auch hier und würde nicht nur der Liebling 
der meisten Beamten und Aufseher, sondern wohl auch der meisten 
Mitgefangenen sein, wenn nur der kropfige Zuckerhannes nicht da 
wäre und geplaudert hätte. 
Doch diesen blutarmen Menschen um die sauerersparten Pfenninge 
betrügen, das ist eine That, welche auch im Zuchthause nicht immer 
Vergebung findet und weil der Betrogene den Spaniolen als Vater 
seines ganzen Unglücks betrachtet, nichts von der Rechtfertigung 
desselben hören mochte und bei der Mehrzahl der Sträflinge in der 
ersten Zeit vollen Glauben fand, deßhalb neigte sich der Spaniol bisher 
mehr den Hütern als den Gehüteten zu und soll neulich den ärgsten 
Aufseher im Eifer für die Hausordnung überboten haben. 
Wenn er naht, verstummen die Meisten, aus ihren Blicken kann er 
Vieles lesen, heute mag er nicht predigen! ...
Der Zuckerhannes selbst liegt im Bette, athmet zuweilen schwer auf 
und hustet krampfhaft, horcht auf die Reden einer kleinen Gruppe 
seiner nähern Freunde, welche ganz in seiner Nähe sich niedergelassen 
hat. 
Da finden wir den einst so fröhlichen und lebendigen, jetzt immer 
düstern und schwermüthigen Bläsi, aus der Pfalz, diesen unglücklichen 
Dragoner, den das Schicksal so hart vom Gaule geworfen. 
Neben ihm sitzt der Patrik von Hotzenwald, dieser rohe, ungehobelte, 
doch gutmüthige und witzige Spitzbube, der immerhin noch mehr 
werth ist, denn sein Nachbar, der Donat, dessen Geschichte deutlich 
zeigt, was aus einem Menschen ohne Erziehung, Geld und Religion 
werden kann, wenn der Stachel der Genußsucht tief im Fleische mit 
seinen lüsternen Schwingungen steckt. 
Diese Leute hören dem Duckmäuser zu, welcher keine Gelegenheit 
fand, dem Zuckerhannes Gutmachgeld zu senden und sich jetzt nach 
Bruchsal gemeldet hat, weil er voraussieht, sein einziger Freund werde 
nicht mehr mit dem Leben davonkommen. Den langwierigen 
Todeskampf des Unglücklichen darf und mag er nicht ansehen, mag 
nicht erleben, daß eines Tages ihm das Glöcklein verkündiget, der 
Hegäuer habe ausgelitten und die letzte Freude des lebenslänglich 
Verurteilten habe ein Ende. Lieber will er allein, ganz allein in einer 
Zelle leben, denn er hat zwar als Bube betrogen und gestohlen, bei den 
Soldaten böse Streiche gemacht und zuletzt seinen Vater ermordet, 
doch ein grundverdorbener Mensch ist er bei alledem nicht und wer 
seine tragische Geschichte kennt, wie der Zuckerhannes dieselbe aus 
seinem eigenen Munde hörte oder dazu noch schwarz auf weiß von 
seiner eigenen Hand besaß, der kann diesen Unglücklichen nicht mehr 
verachten, er muß ihn bemitleiden und begreift, daß ein solcher Mensch 
mitten unter Sträflingen jahrelang vereinsamt lebte und Sehnsucht nach 
der Zelle empfindet. 
Was er jetzt dem verunglückten Dragoner, dem ungeschlachten Patrik 
und dem leichtsinnigen Donatle erzählt, sind nur Bruchstücke und der 
Zuckerhannes könnte Manches dagegen einwenden, weil er den am 
Hochmuth laborirenden Duckmäuser auswendig und inwendig sammt
der ganzen Geschichte desselben zu kennen vermeint und findet, 
derselbe wasche sich viel weißer als er sei ... Man mag sagen, was man 
will, der Mensch ist ein geborner Aristokrat, denn Jeder will schöner, 
reicher, gescheider [gescheidter], vornehmer und besser sein, wie der 
Andere, jeder sucht bei Andern soviel als möglich zu gelten und 
vertuscht, heuchelt, lügt, mag er Bettler oder Graf oder noch mehr sein; 
die Sträflinge bleiben auch hierin Menschen und die Wenigen, die es 
dahin gebracht haben, mit Sünden, Lastern und Verbrechen groß zu 
thun, sind eigentlich verkehrte Menschen, Unmenschen! ... Der 
Vatermörder ist kein Unmensch; schon die Erzählung, welche er seinen 
Kameraden zum Besten gibt, verräth dem Eingeweihten die Sucht, 
nicht schlecht sondern so gut als möglich zu erscheinen, und wir 
glauben, die wahre Geschichte desselben beweise, der arme Tropf sei 
wirklich unserer Achtung und noch mehr unserer Theilnahme würdig, 
seine Geschichte eine sehr lehrreiche Alltagsgeschichte aus den 
niederen Volksklassen. 
 
#DER DUCKMÄUSER ALS SCHULBUBE.#    
    
		
	
	
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