zu sein. 
Um diese Zeit lernte er Ilse Golzow kennen, und alles, was an 
Liebessehnsucht in seiner Seele gelebt hatte von klein auf, brach 
ungestüm hervor. Das Weib war ihm unbekannt geblieben bis dahin; 
die Arbeit hatte ihn taub und blind gemacht, und eine angeborene 
Reinheit der Gesinnung hatte ihn das Gemeine stets als gemein 
empfinden lassen. So vereinte sich in der ersten Liebe des 
Achtundzwanzigjährigen die volle phantastische Schwärmerei des 
Jünglings mit der tiefen Neigung des reifen Mannes. Die Erfüllung 
alles dessen, was er in seinen stillsten Stunden für sich an Glück 
erträumt hatte, erwartete er von dem Besitz dieses holden blonden 
Mädchens. Daß ihm dies Glück nicht kampflos in den Schoß fiel, 
erhöhte nur seinen Wert für ihn.
Um ihretwillen vertauschte er seine Studierstube mit dem Ballsaal; er 
entwickelte gesellige Talente, die bisher niemand in ihm vermutet hatte, 
er wurde das belebende Element aller großen und kleinen Feste. Auf 
dem Wege zwischen Königsberg und Pirgallen ritt er sein Pferd fast zu 
Schanden, das er sich endlich als Regimentsadjutant halten konnte, und 
auf den Schnitzeljagden stellte er durch seine Reiterkunst sämtliche 
Kürassierleutnants in den Schatten. Ein instinktives Verständnis für die 
weibliche Natur lehrte ihn, daß Mädchen, wie die schöne Ilse, durch die 
Bewunderung, die man ihnen abnötigt, am sichersten zu gewinnen sind. 
Von dem Vater der Geliebten aber mußte er sich eine zweimalige 
Ablehnung gefallen lassen; erst als er zum drittenmal wieder kam und 
die Tränen Ilsens sich mit seinen Bitten vereinigten, während ihre 
Mutter alle Gründe der Liebe und der Vernunft zu seinen Gunsten zur 
Geltung brachte, hieß er ihn -- mit aller Reserviertheit des 
Bezwungenen, nicht des Überzeugten -- als Schwiegersohn 
willkommen. 
An einem Maiensonntag des Jahres 1863 fand die Trauung des jungen 
Paares in der alten Pirgallener Dorfkirche statt. Als »Burg des 
Christengottes«, so erzählt die Sage, galt sie einst dem heidnischen 
Volk, und an eine Burg mehr als an eine Kirche erinnern noch heut die 
aus ungefügen Steinblöcken zusammengesetzten Mauern und der 
viereckige Turm mit den kleinen Fenstern, den dichter Efeu fast ganz 
überwucherte. Die dämmerige Halle verstärkte diesen Eindruck: vor 
dem Zeichen des Speeres, dem Wappenbilde der Golzows, verschwand 
fast das des Kreuzes, und statt der Bilder des Heilands und der Apostel 
reihte sich ein Grabstein neben dem andern an den Wänden, mit 
Ritterhelmen und Schwertern geschmückt, oder mit steinernen 
Bildnissen, die alle denselben Typus ostdeutschen Adels aufwiesen, ob 
ihr Antlitz mit den regelmäßigen, etwas leblosen Zügen und den 
hochmütig geschürzten Lippen nun unter dem Stechhelm oder der 
Allongeperücke hervorsah. Auf den Grabsteinen der Frauen erzählten 
die Doppelwappen, wie selten nur die ritterbürtige Ahnenreihe 
unterbrochen worden war. Und daß sie alle zu einem Geschlechte 
gehörten: diese stummen Zeugen der Hochzeit Ilsens und die vielen 
derer von Golzow, die sich in der alten Kirche zusammenfanden, -- das 
bewiesen diese schlanken Menschen mit den schmalen Handgelenken
und den langen spitzen Fingern, die an harte Arbeit nie gewöhnt 
gewesen waren. Nur daß die Kraft der Ahnen sich in lässige Grazie 
verwandelt und ihre rassige Vornehmheit einen leisen Schein müder 
Dekadenz angenommen hatte. 
Auch des Bräutigams Verwandte waren vollzählig erschienen. Sie 
hatten sich die Teilnahme an dem Familienfest um so weniger entgehen 
lassen, als Hans Kleves Heirat die Mesallianz seines Vaters 
verschmerzen ließ. Von anderem Schlag waren sie als die Golzows: 
Das Blut fahrender Landsknechte und alt-nürnberger Patrizier mischte 
sich in ihren Adern, und breit, groß und stämmig waren ihre Gestalten. 
Die Kniehosen und Wadenstrümpfe ihres bayerischen Berglands ließen 
ihnen besser, als Frack und Zylinder, und seltsam stach vor allem des 
Bräutigams üppige rotblonde Schwester Klotilde ab gegen die zarte 
Elfengestalt seiner Braut. 
Als Menschen eigner Art jedoch, nicht als bloße Glieder einer Familie, 
traten zwei Erscheinungen aus dem großen Kreise hervor: die Mütter 
des jungen Paares waren es. Das Leben hatte sie beide auf seine Höhen 
geführt und in seine Abgründe hineingerissen, sie waren von ihm 
gezeichnet; die eine -- das Königskind, das Kind der Liebe --, um deren 
hohe Gestalt das Samtgewand wie ein Krönungsmantel niederfloß, 
deren schwermütig-dunkle Augen Geist und Güte strahlten, -- die 
andere --, ein Kind des Volkes und der Arbeit, die sich nicht zu Hause 
fühlte in dem schwarzen Seidenkleid, deren harte Hände von zähem 
Fleiße, deren durchfurchte Züge von eiserner Willenskraft sprachen, 
und in deren braunen Augen doch der kecke Humor noch lachte, der 
über alles Ungemach hinweghilft. 
Königsberg, die Garnison meines Vaters, als er heiratete, war mit dem 
raschen Golzowschen Gespann von Pirgallen aus in drei Stunden zu 
erreichen. Es war daher für die Tochter kein Abschied von zu Hause, 
der den Schmerz langer Trennung in sich birgt. Ja, sie blieb im Grunde 
daheim, denn im alten Stadthaus ihrer Eltern wurde dem jungen Paare 
die Wohnung eingerichtet. 
Während es auf der Hochzeitsreise war, schmückte die Großmutter das 
künftige Nest ihrer Kinder. All ihren Geschmack, all ihre Träume und
Gedanken über die Schönheit, Harmonie    
    
		
	
	
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