dicken Mauern und der Graben ringsum 
erinnern noch an seinen Ursprung. Ein Ordensbruder soll es gewesen 
sein, der als einer der ersten im Samland zur Lehre Luthers übertrat, -- 
nicht aus Gewissenszwang, denn das hätte dem blonden derben Junker 
aus dem thüringischen Geschlecht der Golzows wenig ähnlich gesehen, 
sondern aus Liebe zu einem schönen Fräulein, die ihn das 
Keuschheitsgelübde brechen hieß. Er wurde auf dem Schloß von 
Pirgallen der Stammvater des preußischen Zweigs der Familie und der 
Vorfahr meines Großvaters. Mit dem Besitz schien sich aber auch die 
lebenbestimmende Liebesleidenschaft des Ahnherrn von Generation zu 
Generation zu vererben. Nur selten fügte sich ein Golzow dem Rate der 
Familiensippe, wenn es galt, sich die Eheliebste zu wählen, und so 
wurden viele fremde Blumen in den nordischen Garten verpflanzt. 
Manch eine mag dabei im Frost erstarrt, vom Meersturm zerzaust 
worden sein, andere aber blühten, trugen Frucht und streuten den 
Samen ihrer Heimaterde in das Land, wo er üppig aufging, so daß es 
zwischen den gelben Dünen, den weißen Birkenstämmen und knorrigen 
Eichen gar seltsam anzuschauen war. 
Auch meine Großmutter war solch eine fremde Blume gewesen: ein 
Kind der Liebe, dem heimlichen Bund eines Königs mit einem kleinen 
elsässischen Komteßchen entsprossen. Und sie war wohl nie recht 
heimisch geworden da oben. Sie fror immer, saß auch im Sommer gern 
am Kaminfeuer der Halle, und schwere schleppende Samtkleider, mit
Pelz verbrämt, trug sie am liebsten. Sie blieb auch einsam trotz der 
großen Kinderschar, die sie umgab. Das Blut der Golzows war 
lebenskräftiger als das ihre, denn all die Buben und Mädeln, die sie 
gebar, waren nicht eigentlich ihre Kinder: mit hellen blauen Augen aus 
rosigweißen Gesichtern blickten sie in die Welt, und Jagd und Tanz, 
Spiel und Liebe blieb ihnen Lebensinhalt. 
An meine Mutter, ihr jüngstes Kind, die goldblonde Ilse, hatte sie sich 
mit aller Kraft ihrer Sehnsucht geklammert. Lange hoffte sie, sich 
selbst in ihr wiederzufinden, und verdeckte mit den bunten Gewändern 
ihrer Phantasie in zärtlicher Selbsttäuschung alles, was ihr fremd war 
an ihrer Tochter. Sie half ihr auch den Starrsinn des Vaters brechen, der 
sich ihrer Verbindung mit einem armen Infanterieleutnant widersetzte. 
Die Ehe mit dem ernsten, strebsamen Mann würde, so meinte sie, ihr 
eigentliches Wesen erst zur Entfaltung bringen, -- das Wesen, das sich 
schon deutlich genug dadurch auszudrücken schien, daß ihre Wahl 
unter allen ihren glänzenden Bewerbern grade auf diesen gefallen war. 
Sie wußte nicht, daß nur der Rausch Golzowscher Liebesleidenschaft -- 
heiß und kurz, wie die Sommer Pirgallens -- Ilse beherrschte. Ihr Gatte 
kannte die Tochter besser als sie, darum gab er die Hoffnung nicht auf, 
statt des »heimatlosen Landsknechts«, wie er ihren Erwählten, den 
Leutnant Hans von Kleve, spöttisch nannte, einen der Standesherrn des 
Landes als Schwiegersohn zu begrüßen. 
Kleve besaß nichts als seinen guten Namen und seinen Ehrgeiz. 
Nachdem sein Vater, ein leichtsinniger Gardeleutnant, mit dem 
spärlichen Rest seines rasch verjubelten Vermögens und einer lustigen 
kleinen Frau, deren bürgerliche Herkunft ihn den schönen bunten Rock 
auszuziehen zwang, ein Gütchen in der Nähe Berlins erworben hatte, 
um dort nichts zu tun, als zu sterben, war seiner Mutter kaum das 
notwendigste übrig geblieben, um ihn und seine vier Geschwister zu 
erziehen. Wie gut, daß sie an Arbeit gewöhnt gewesen war ihr Leben 
lang! Zu stolz, die reichen Verwandten ihres Mannes, die sie ihrer 
Herkunft wegen nie hatten anerkennen wollen, in Anspruch zu nehmen, 
zog sie sich in eine kleine märkische Stadt zurück, wo sie ihre Kinder 
mit eiserner Strenge und in spartanischer Einfachheit erzog. Hans war 
zwölf Jahre alt, als er in diese harte Schule genommen wurde. Er
empfand die Beschränktheit des Lebens am tiefsten und litt ständig 
unter den Anforderungen, die seine Mutter an seine geistige und 
moralische Leistungskraft stellte. Sein Liebesbedürfnis fand wenig 
Verständnis bei ihr, die unter dem dauernden Druck quälender Sorgen 
die Zärtlichkeit glücklicher Mütter eingebüßt hatte. Eine Schwester, die 
ihm im Alter am nächsten stand, und der er sein ganzes Herz zuwandte, 
wurde ihm früh durch väterliche Verwandte, die sich plötzlich der 
armen Witwe und ihrer Kinder erinnert hatten, entrissen; so blieb er 
ganz auf sich allein angewiesen und konzentrierte all seine Energie auf 
das eine Ziel: sich selbst das Leben zu erobern. 
Mit sechzehn Jahren machte er das Abiturientenexamen und trat in ein 
Königsberger Infanterieregiment ein. Kavallerist zu werden, was er 
sich gewünscht hatte -- denn die Reiterleidenschaft saß ihm tief im 
Blute --, erlaubten seine Mittel ihm nicht, und die Schwester, die von 
ihrem reichen Onkel wie ein eignes Kind gehalten wurde, hatte dem 
Bruder, -- um ihre persönliche Stellung besorgt, -- rundweg 
abgeschlagen, eine Zulage für ihn zu erbitten. Von selbst reichte des 
Onkels Generosität über das Geburtstags- und Weihnachtsgoldstück 
und gelegentliche Urlaubsreisen nach dem Familiengut in Oberfranken 
nicht hinaus, und so bestand des jungen Mannes Dasein in 
unaufhörlichen Verzichtleistungen. Er lebte nur seinem Beruf; sein 
Empfindungsleben schien durch die Arbeit völlig erstickt    
    
		
	
	
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