das Verstehen schwer. 
"Mein Sohn muß auch mit in den Krieg," sagte Frau Lißmann und sah 
die jungen Leute warmherzig an, als künftige Kriegskameraden ihres 
Sohnes. 
"Muß er sich in Wien stellen?" 
"Nein, wir sind Deutsche, aber wir halten ja mit den Österreichern." 
"Wohl, wohl; gegen den Russen und den Franzos. Das gibt Arbeit! Ein 
Volk allein könnt's nicht ausrichten, aber Deutschland und Österreich 
zusammen, die können's machen!" 
Auf der Straße sah man einen Burschen mit dem Militärkoffer in der 
Hand. Vom Wagen aus wurde er angerufen: "Steig ein, Kamerad!" Der 
Wirt murrte: "Sind so schon genug!" Aber er fuhr doch langsamer und 
mit einem Satz sprang der Soldat auf; sie rückten kameradschaftlich 
zusammen und nun ging's weiter im Galopp; denn der Wirt sah 
manchmal bedenklich auf seine Uhr, ob es wohl noch bis zum
Zugabgang reichen würde. Als endlich die Stadt sichtbar wurde und der 
Leiterwagen über das Straßenpflaster holperte, stimmten die künftigen 
Krieger ein Soldatenlied an, wodurch die Leute an ihre Fenster gelockt 
wurden und mit lauten Zurufen und Winken grüßten. Unsere drei 
Reisenden winkten ebenso eifrig, man hielt sie natürlich für die 
Angehörigen dieser Burschen, so galten auch ihnen die Grüße. 
Das Aussteigen war wieder ein Kunststück, aber die Burschen kannten 
sich jetzt schon aus und einer, der ein besonders großer, stämmiger 
Kerl war, hob ohne weiteres zuerst die Kinder, dann die Mutter 
herunter, die sich ganz elend und zerschlagen fühlte von dieser Fahrt 
im Leiterwagen. Aber sie achtete nicht darauf; wenn es nur nicht zu 
spät war! 
Ein furchtbares Getriebe war am Bahnhof; eine Menschenmenge 
drängte sich an den Schalter, wie es diese kleine Stadt vielleicht noch 
nie erlebt hatte; zum Teil waren es Einberufene, zum größeren Teil 
aber Sommerfrischler, die alle des Krieges wegen heimreisen wollten. 
Mitten in das Drängen und Drücken der Leute, die fürchteten zu spät zu 
kommen, klang jetzt der Ruf eines Bahnbeamten: "Nichts zu eilen, der 
Zug hat drei Stunden Verspätung!" 
Das war eine Nachricht! Allgemeiner Schrecken und Entrüstung! "Nun, 
das geht gut an! Ja, da erreicht man ja den Schnellzug nicht mehr! Ist 
das ein Unfug, eine Rücksichtslosigkeit!" Da erhob ein älterer Herr 
mitten im Gedränge den Arm, man sah unwillkürlich auf ihn und da 
das Murren etwas verstummte, sprach er mit ernster Stimme: "Meine 
Herren, das ist kein Unfug, das ist der Krieg. Wir werden noch ganz 
andere Dinge erleben müssen als das!" 
Da schwiegen die Leute und ergaben sich; holten sich ruhig nach 
einander die Karten und suchten sich da und dort ein Plätzchen zum 
Ausruhen, eine Gelegenheit zur Stärkung, eine Zeitung mit neuen 
Nachrichten. Sie zerstreuten sich, aber es zog sie doch alle bald wieder 
an die Bahn. Jeder ahnte, daß es schwierig sein würde, im Zug Platz zu 
bekommen. Auch Frau Lißmann stand bald wieder mit ihren Kindern 
im dichten Gedränge. In ihrer Nähe bemerkte sie die Gruppe der jungen 
Leute, mit denen sie gefahren war, und es überkam sie das Verlangen,
diesen ins Feld ziehenden Burschen noch eine Freundlichkeit zu 
erweisen. Welch' schweren Zeiten mochten sie entgegen gehen! Ihr 
junges, gesunden Leben mußten sie einsetzen fürs Vaterland. Hätte sie 
doch früher daran gedacht, wenigstens ein paar Zigarren zu kaufen! Sie 
sagte es den Kindern. Die nahmen den Gedanken eifrig auf. 
"Mutter, es dauert ja noch eine Viertelstunde, wir haben noch Zeit! 
Draußen, am Obststand, waren auch Zigarren zu kaufen!" Sie drängten, 
baten um das Geld, wollten durchaus noch einkaufen. Da gab die 
Mutter nach. Es war schwierig, gegen den Strom der Menschen nach 
rückwärts zu drängen. Mit Mühe schoben sie sich durch und erwarben 
die Zigarren. Aber dann gelang es ihnen nicht mehr, ihren früheren 
Platz in der Nähe der Burschen zu erobern; andere hatten sich 
vorgedrängt. 
"Allein käme ich schon durch," versicherte Karl. 
"So nimm die Zigarren, gib sie ab und sage einen Gruß; wir wünschten 
ihnen von Herzen Glück in den Krieg!" Der Knabe schlängelte sich 
geschickt zwischen den Leuten zu den Burschen hindurch. Die Mutter 
sah von ferne, wie sie überrascht waren und einer nach dem andern 
dem jungen Überbringer freundlich dankte. Der fand sich auch 
glücklich wieder zurück und sie freuten sich zusammen über die kleine 
Liebesgabe, die sie übergeben hatten. Es war vielleicht eine der ersten 
von den Tausenden, ja Millionen, die im Laufe des Krieges gespendet 
wurden. 
Endlich--es war heiße Mittagszeit geworden--kam der Zug an! Aus 
allen Fenstern johlten Burschen denen entgegen, die am Bahnhof 
standen und ein unbeschreiblicher Lärm, ein beängstigendes Drängen 
entstand. Die Wagen wurden von den Männern gestürmt, Frauen und 
Kinder blieben zurück, und wo sie hinein wollten, hieß es: "Voll, 
übervoll!" 
Die Beamten trösteten: "In drei Stunden kommt wieder ein Zug." 
Aber wer wollte noch einmal warten, und wer wußte, ob es dann mehr 
Platz gäbe? Frau Lißmann mit den Kindern lief hin und her, überall
standen die Leute bis an die Trittbretter und wollten niemand mehr 
einlassen.    
    
		
	
	
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