sie zusammennehmen. Sie 
holte den Fahrplan, aber sie war kaum imstande, die kleinen Zahlen 
pünktlich anzusehen. Krieg! Krieg! Das schreckliche Wort, das so 
aufdringlich vorne in der Zeitung stand, raubte ihr die Besinnung. Sie 
konnte es noch gar nicht fassen, daß sie so ahnungslos, so vergnügt und 
glücklich in den Bergen herumgestiegen war, während ein so 
grenzenloses Unglück über das Vaterland hereinbrach. Aber sie mußte 
nun handeln, mußte packen, abreisen! Es war sechs Uhr abends; wenn 
sie den Wagen bestellte, der sie von der Bahnstation hiehergebracht 
hatte, so konnte sie noch den Nachtzug nach München erreichen. 
"Lisbeth, fange an einzupacken; wie es kommt, nur schnell! Ich gehe 
mit Karl ins Wirtshaus, um den Wagen nach der Bahn zu bestellen." 
In der Dorfstraße, an einem Scheunentor, war ein großes Plakat 
angeschlagen. "Sieh, Mutter," sagte Karl, "vom Kaiser von Österreich: 
'An meine Völker!' Das möchte ich lesen."--"So lies, ich gehe zum 
Wirt." Der Wirt aber war mit den Pferden fort. Er hatte einen 
Leiterwagen voll einberufener Burschen zur Station fahren müssen und 
konnte erst nachts zurückkommen. Andere Pferde gab's nicht--vor dem 
nächsten Morgen war nichts zu machen. "Aber dann gewiß?" fragte 
Frau Lißmann. "Um wieviel Uhr können wir wohl abfahren?" Die 
Wirtin konnte dies nicht sagen, sie müßte erst mit ihrem Manne 
sprechen. Sie lasse dann durch einen Burschen Bescheid sagen. "Um 
neun Uhr vielleicht."--"So spät?"--Ja, die Pferde müßten doch ausruhen 
und ihr Mann auch; der Knecht sei schon einberufen, und ihre zwei 
Söhne, ihre einzigen Kinder, auch. Die Tränen traten ihr in die Augen. 
Bekümmert verließ Frau Lißmann das Haus. 
Karl hatte inzwischen den Ausruf des Kaisers gelesen, mit der 
begeisterten Aufforderung, in den Krieg zu ziehen, der dem Vaterland 
aufgezwungen war. Und unter dem Ausruf war ein Telegramm
angeschlagen, das besagte, daß auch Deutschland, als treuer 
Bundesgenosse Österreichs, seine ganze Heeresmacht mobil mache. Da 
fühlte der Junge, was das Großes bedeute; er spürte keine Lust mehr, 
spazieren zu gehen. Nein, er begriff, daß der Mutter der Boden unter 
den Füßen brannte und daß sie unglücklich war, nicht heim zu können, 
wo man sie so nötig brauchte. Aber man mußte sich bis zum nächsten 
Morgen gedulden. Die Koffer wurden gepackt und alles zur Abreise 
gerichtet--daran sollte es wenigstens nicht fehlen! Dann kam die Nacht. 
Sie brachte doch den Müden Schlaf; sie konnten sich ihm ja auch ruhig 
überlassen, wenn doch vor neun Uhr keine Möglichkeit war, 
fortzukommen. 
Aber um fünf Uhr morgens klopfte die Hausfrau. Die Wirtin schicke 
her; ihr Mann müsse Burschen zum Frühzug fahren, im Leiterwagen; 
wenn sie aufsitzen wollten, es wäre noch Platz. Aber sie müßten gleich 
kommen, es sei schon angespannt. 
Keinen Augenblick besann sich Frau Lißmann. "Jawohl, wir kommen, 
der Wirt soll doch ganz gewiß warten!--Auf, auf, Kinder! Nicht 
waschen, nicht kämmen! Nur Kleider und Stiefel anziehen!" Die 
Kinder fuhren aus den Betten und waren gleich munter. Sie lachten: 
Nicht waschen, nicht kämmen? So ein Befehl von der Mutter? Nur so 
vom Bett aus fort und mit Bauernburschen auf einen Leiterwagen! 
Solch ein Abenteuer! Und wie die Mutter alles zusammenraffte und in 
die Reisetasche stopfte und wie sie sich alle den Mund verbrannten an 
der frisch abgekochten Milch, die die Bäurin schnell brachte! Und wie 
sie dann, noch mit dem Frühstücksbrot in der Hand, über die 
Dorfstraße dem Wirtshaus zuliefen und die Bäurin ihnen noch 
nachsprang mit Schwamm und Kamm, die sie vergessen hatten! 
Als sie vor dem Wirtshaus ankamen, stand da der Leiterwagen, aus 
dem fünf Bauernburschen ihnen neugierig entgegen sahen und der Wirt 
saß schon oben, die Peitsche in der Hand, stieg aber noch einmal ab, als 
er sah, wie Frau Lißmann ratlos am Wagen stand und nicht wußte, wie 
man den erklettern mußte. Er half kräftig nach und so saßen sie bald 
alle drei nebeneinander auf quer herüber gelegtem Brett und die Fahrt 
ging los. Mit viel Jauchzen und Winken, das aus allen Fenstern
erwidert wurde, verließen die Burschen das Dörfchen. Sie waren aus 
benachbarten Höfen und Weilern zusammengekommen, lauter große, 
kräftige Leute; guten Muts fuhren sie hinaus in den Krieg. 
Die Zeit drängte, die Pferde wurden tüchtig angetrieben und der 
Leiterwagen stieß, daß unsere drei leichten Städter, die noch nie in 
einem Wagen ohne Federn gefahren waren, ordentlich in die Höhe 
flogen und gar nicht wußten wie ihnen geschah. Lisbeth hielt sich 
krampfhaft fest an den Brettern. Sie hatte noch immer Schwamm und 
Kamm in der Hand und traute sich nicht loszulassen. Karl lachte und 
hatte seinen Spaß an dem "Hopsen". Der Mutter war es weniger zum 
Lachen; das Stoßen tat ihr weh. Einer der Burschen mußte es ihr 
anmerken. Neben dem Wirt lag eine Pferdedecke, die langte er herunter. 
"Frau," sagte er, "da setzen Sie sich drauf und das kleine Fräulein 
auch." 
Sie nahmen es dankbar an und nun war Freundschaft geschlossen 
zwischen den Reisenden, ohne viel Worte, denn die holperige Fahrt 
machte    
    
		
	
	
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