Wort 
verstehen und die Passagiere drückten sich schweigend in ihre 
verschiedenen Ecken und sahen die niedern Häuser von Gidelsbach, 
der Commerzienrath mit einem eigenen Gefühle stiller Wehmuth, die 
andern Beiden vollkommen gleichgültig, an sich vorübergleiten. 
»Ach dürfte ich Sie wol bitten, das Fenster dort an Ihrer Seite 
aufzuziehen«, brach die Dame endlich das Stillschweigen, als sie die 
letzten Häuser von Gidelsbach hinter sich gelassen und die Luft frei 
und frisch über die blühenden Saatfelder herüberstrich, »ich leide so 
sehr an Zähnen und fürchte, daß mir der Luftzug schaden könnte.« 
Der Fremde gegenüber rührte und regte sich nicht, und der 
Commerzienrath sah erst die Dame und dann sein +vis-à-vis+ etwas 
bestürzt an; er hatte die stille Hoffnung gehegt die Erlaubniß zu 
bekommen, eine gidelsbacher Cigarre anzuzünden, und wenn das 
Fenster, die wundervolle warme Luft draußen gar nicht in Betracht 
gezogen, geschlossen wurde, war daran nicht mehr zu denken. 
»Wollen Sie nicht so gut sein und das Fenster da bei sich zumachen«, 
sagte die Dame wieder, ohne ihm lange Zeit zum Ueberlegen zu
gestatten, mit etwas lauterer Stimme, als ob sie fürchte, daß er am Ende 
schwer höre, »ich kann die Luft nicht vertragen.« 
»Aber, Madame, bei diesem wundervollen Wetter«, wagte der 
Commerzienrath eine oberflächliche Bemerkung, die ihm jedoch nichts 
half, denn die Dame, von etwas resolutem Charakter und 
wahrscheinlich schon mehrfach auf Reisen gewesen, stand einfach auf, 
bog sich über ihren etwas scheu zurückweichenden Nachbar hinweg, 
stützte sich mit der linken Hand gegen den Fensterrahmen und zog die 
Scheibe selber in die Höhe. Es war Herrn Mahlhuber dabei fast so als 
ob sie etwas vor sich hingemurmelt hätte, was gerade nicht wie ein 
Segen klang, er konnte es aber nicht genau verstehen und war auch 
wirklich durch die entschiedene Bewegung viel zu sehr überrascht, 
recht darauf zu achten. 
Jede möglich gewesene Unterhaltung schien dadurch wieder ins 
Stocken zu gerathen, und während der Mann ihm gegenüber -- 
muthmaßlicherweise ein Engländer -- stumm zu sein schien, zog die 
Dame aus einem großen, inwendig mit grünem Wachstaffet gefütterten 
Kober eine Anzahl Victualien, gestrichene Semmeln, Wurst, Käse und 
gebratenes Huhn, heraus und begann ihre Mittagsmahlzeit, auf der 
nächsten Station wahrscheinlich die Table d'Hôte, wozu der 
Conducteur gewöhnlich zehn Minuten Zeit gestattete, zu ersparen. 
Der Commerzienrath fügte sich in sein Schicksal, rückte sich zurecht, 
lehnte den Kopf hinten an, entschuldigte sich bei seinem +vis-à-vis+, 
von dem er wieder keine Antwort bekam, wenn ihn vielleicht seine 
Füße geniren sollten, faltete die Hände im Schoos, schloß die Augen 
und versuchte einzuschlafen, was er auch glücklich in demselben 
Augenblick zustande brachte, als der Postillon blies, der Wagen anhielt, 
der Conducteur den Schlag aufmachte und hereinrief, daß hier Mittag 
gemacht würde und die Passagiere »gefälligst aussteigen möchten«. 
Der Fremde stand ohne weiteres auf, dem Rufe Folge zu leisten -- es 
konnte doch am Ende kein Engländer sein, denn er schien das Deutsche 
vollkommen gut verstanden zu haben -- trat dem Commerzienrath auf 
die Hühneraugen ohne sich zu entschuldigen -- es war doch am Ende 
einer, -- und verließ den Wagen, sein Mittagsmahl einzunehmen,
während sich die Dame, als der Commerzienrath noch unentschlossen 
stand, was zu thun, den Wagenschlag wieder zumachen ließ, der 
gefürchteten Zahnschmerzen wegen. Bis er sich besonnen hatte 
vergingen mehre Minuten, und wie er zuletzt doch noch einmal öffnen 
ließ und hineinging, behielt er dort eben noch Zeit seine Table d'Hôte 
mit einem halben Thaler zu bezahlen und zu finden, daß die Suppe zu 
heiß zum Essen sei, als der Postillon auch schon wieder zum Aufbruch 
blies und der Conducteur mit einem »Es ist die höchste Zeit, meine 
Herren« die Thür aufriß. 
»Nach Tisch«, wie es Herr Mahlhuber jetzt nannte, war er gewohnt sein 
Schläfchen zu halten, und wenn er auch um das Essen selber 
gekommen, erschien ihm das nicht als genügender Grund sich auch um 
den Schlaf zu bringen. So alle seine frühern Vorbereitungen 
wiederholend, gelang es ihm diesmal wirklich seine Wagenecke zu 
behaupten, und erst die Sonne, die schräg durch das Wagenfenster 
herein und ihm gerade auf die Augen schien, weckte ihn wieder aus 
seinem süßen Schlummer, dem er sich wol zwei volle Stunden lang 
hingegeben. 
»Ach dürfte ich Sie wol bitten das Fenster da in die Höhe zu ziehen?« 
waren die ersten Laute, die an sein noch traumtönendes Ohr schlugen, 
als er erwachte, und als er etwas erstaunt um sich schaute -- denn er 
hatte bis dahin steif und fest geglaubt, er liege zu Hause auf dem Sopha, 
und wunderte sich, welches Fenster Dorothee in die Höhe gezogen 
haben wollte --, stieß ihn seine schöne Nachbarin leise an und setzte 
flüsternd hinzu: »Der Herr da drüben muß taub sein oder kein Deutsch 
verstehen, denn nicht allein, daß er sich weder rührt noch regt, wenn 
ich ihn um etwas bitte, nein er zieht auch das Fenster jedesmal ebenso 
schnell wieder herunter, wie ich es in die Höhe bekommen    
    
		
	
	
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