kann -- er 
nimmt nicht die mindeste Rücksicht auf meine Nerven.« 
»Der Barbar!« sagte der Commerzienrath, während er seufzend ihre 
Bitte erfüllte, er durfte sich doch nicht in eine Kategorie mit einem 
solchen Menschen stellen lassen. Durch diesen kurzen Wortwechsel 
waren aber auch die Schranken gefallen, die sich bis dahin einer 
Conversation hemmend in den Weg gestellt zu haben schienen. Herr
Mahlhuber schielte nach seiner Nachbarin hinüber, die den Schleier 
jetzt in die Höhe gelegt, und wenn auch nicht mehr ganz junge, doch 
regelmäßige, fast hübsche Züge hatte, und sagte mit einem etwas 
bedenklichen Kopfschütteln (der andere Passagier schlief gerade oder 
hielt wenigstens die Augen geschlossen, und er konnte eine solche 
Bemerkung vielleicht wagen): »Ja, das Reisen ist mit vielen 
Unannehmlichkeiten verbunden.« 
»Ih nun, das weiß ich gerade nicht«, erwiderte die schöne Nachbarin, 
ihr Tuch wieder von der Backe nehmend, sobald das Fenster befestigt 
war, »ich freue mich immer d'rauf, wenn ich einmal wieder 
hinauskomme; nur der Postwagen kommt Einem so langweilig vor, 
weil man die Eisenbahn jetzt gewohnt ist.« 
»Ja!« sagte Herr Mahlhuber. Er war noch nie auf einer Eisenbahn 
gefahren. 
»Mir ist Reisen ein Vergnügen«, sagte die Dame. 
Herr Mahlhuber stöhnte, denn das erinnerte ihn an den traurigen und 
ernsten Grund, der ihn aus seiner Heimat vertrieben, und er erwiderte 
leise und kopfschüttelnd: 
»Ach ich wollte ich könnte das auch von mir behaupten, aber eine 
Sache hört auf ein Vergnügen zu sein, sobald sie uns einmal vom Arzte 
anbefohlen wird.« 
»Sind Sie krank?« fragte die Dame theilnehmend. 
»Krank?« wiederholte Mahlhuber und athmete leicht auf, denn das 
Gespräch betrat ein Gebiet, auf dem er sich zu Hause fühlte, »krank? -- 
ja und nein; krank kann man eigentlich nicht sagen, -- haben Sie schon 
von großen Lebern gehört?« 
»Großen Lebern? Gewiß -- die strasburger sollen die besten sein, aber 
meine Schwägerin hat eine solche Fertigkeit darin erlangt, daß man sie 
gar nicht mehr von strasburgern unterscheiden kann.«
»Nein, die meine ich nicht«, sagte der Commerzienrath verlegen und 
blickte mistrauisch nach dem Fremden hinüber, der zwar die Augen 
noch immer geschlossen hielt, aber um dessen Mundwinkel er doch 
glaubte ein leichtes boshaftes Zucken zu bemerken, »ich selber leide 
daran -- meine Leber ist drei Zoll zu groß.« 
»Drei Zoll? Segne meine Seele!« sagte die Frau, »aber woher wissen 
Sie das so genau?« 
»Ah, die Wissenschaft hat darin jetzt bedeutende Fortschritte gemacht«, 
fuhr der Commerzienrath rasch fort, »eine solche speckige Entartung 
der Leber soll in unsern Zeiten auch gar nicht selten vorkommen und 
durch das Anstoßen derselben an Rippen, Zwerchfell und Magen kann 
man ziemlich genau berechnen, welchen Umfang sie erreicht.« 
Die Dame rückte etwas ängstlich auf ihrem Sitz, und der 
Commerzienrath fuhr fort: 
»In Verbindung mit diesem Leiden steht nun, obgleich mein Arzt das 
immer noch bestreiten will, eine nicht unbedeutende Operation, der ich 
mich vor einiger Zeit zu unterwerfen hatte.« 
»Eine Operation? -- aber ich bitte Sie --« 
»Nun es war gerade nicht lebensgefährlich«, setzte der Erzählende 
rasch hinzu, da er zu fürchten glaubte, daß seine schöne Zuhörerin 
deshalb vielleicht Besorgnisse zeigte, »aber jeder Schnitt in den 
menschlichen Körper ist gewissermaßen von einer Gefahr begleitet, da 
man nie wissen kann, welche Folgen daraus entstehen, welche edeln 
Gefäße verletzt werden.« 
»Ach hören Sie -- wenn es Ihnen recht wäre --« 
»Es war nur eine Balggeschwulst auf dem behaarten Theile des 
Kopfes«, setzte der kleine Mann hinzu, nahm die Reisemütze ab und 
bog den Kopf gegen die Dame hinunter, »eine Balggeschwulst etwa 
von der Größe eines Taubeneis, sehen Sie hier -- leicht beweglich unter 
den Fingern und eigentlich ohne besondere Schmerzen. Das
Eigenthümliche war aber, daß sie doch, wenn man lange daran drückte, 
wehthat; die Geschwulst blieb sich dabei ganz gleich, ob die Zunge 
belegt war oder nicht, wenn ich aber eine Weile gedrückt hatte, lief mir 
sonderbarerweise das Wasser im Munde zusammen und ich bekam 
dann einen höchst pikanten fauligen Geschmack.« 
»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen, hören Sie auf!« rief jetzt die 
Dame entsetzt, »ich werde ohnmächtig, wenn Sie noch zwei Minuten 
mit solchen furchtbaren Sachen fortfahren. Was gehen mich denn Ihre 
Geschwülste an?« 
»Aber sie ist ja operirt«, rief der Commerzienrath, der zu glauben 
schien, daß sie ihn noch nicht recht verstanden habe, »und eben das 
Zunähen da --« 
»Ich schreie um Hülfe, wenn Sie nicht aufhören«, unterbrach ihn die 
Dame und wurde wirklich todtenbleich dabei. »Herr, ich habe Ihnen ja 
schon gesagt, daß ich die ekelhaften Beschreibungen nicht mitanhören 
kann. Behalten Sie Ihre Lebern und Geschwülste für sich oder ich setze 
mich hinaus zum Conducteur auf den Bock. -- Jesus Maria, meine 
Nerven!« 
»Darf ich Ihnen vielleicht ein wenig Eau de Cologne anbieten?« sagte 
der Commerzienrath schüchtern, der solche Einwendungen gegen seine 
Leiden gar nicht vermuthet hatte, indem er in die Tasche griff nach 
seinem kleinen Flacon zu suchen, »das thut Ihnen vielleicht gut.« 
»Ich danke Ihnen, ja«, sagte die    
    
		
	
	
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