es heißt, sie könnten sich in die Stadt flüchten. 
Unsere Kavallerie wird ihnen nachsetzen, und Sie können sicher sein, 
daß unser Volk sie gebührend empfangen wird; jetzt, wo sie 
davonlaufen. [Sie geht auf den Balkon hinaus, schließt die Außenläden 
und tritt dann in das Zimmer zurück.] 
Raina: Ich wollte, unsere Leute wären nicht so grausam. Was ist das für 
ein Ruhm, arme Flüchtlinge niederzumachen? 
Katharina [geschäftig, sich ihrer häuslichen Pflichten erinnernd]: Ich 
muß zusehen, daß unten alles in Sicherheit gebracht wird. 
Raina [zu Louka]: Laß die Läden so, daß ich sie schnell schließen kann, 
sobald ich irgendwelchen Lärm höre. 
Katharina [strenge, während sie ihren Weg nach der Tür fortsetzt]: O 
nein, mein Kind, die Läden müssen verriegelt bleiben; du würdest 
sicher darüber einschlafen und sie offen lassen. Riegele sie ganz zu, 
Louka. 
Louka: Jawohl, gnädige Frau. [Sie schließt sie.] 
Raina: Sei ohne Sorge meinetwegen, sobald ich einen Schuß höre, 
werde ich die Kerzen auslöschen, mich in mein Bett verkriechen und 
die Decke über die Ohren ziehen. 
Katharina: Das klügste, was du tun kannst, liebes Kind. Gute Nacht.
Raina: Gute Nacht, Mama. [Sie küssen einander, und Rainas 
Ergriffenheit kehrt für einen Augenblick zurück.] Beglückwünsche 
mich zu der schönsten Nacht meines Lebens--wenn nur die Flüchtlinge 
nicht wären. 
Katharina: Geh zu Bett, Liebling, und denk nicht daran. [Geht ab.] 
Louka [heimlich zu Raina]: Wenn Sie die Läden offen haben wollen, 
stoßen Sie nur ein wenig--so! [Sie stößt ein wenig gegen die Läden, die 
Läden gehen auf, dann schließt sie sie wieder.] Der eine müßte unten 
verriegelt werden, aber der Riegel ist abgebrochen. 
Raina [würdevoll, mißbilligend]: Danke, Louka, aber wir müssen tun, 
was uns befohlen wird. [Louka schneidet ein Gesicht.] Gute Nacht! 
Louka [nachlässig]: Gute Nacht. [Sie stolziert ab.] 
Raina [allein gelassen, gebt nach der Kommode und betet das darauf 
befindliche Bild mit Empfindungen an, die über jeden Ausdruck sind. 
Sie küßt es weder, noch preßt sie es ans Herz, noch gibt sie ihm 
irgendein Zeichen von körperlicher Zärtlichkeit, aber sie nimmt es in 
die Hände und hebt es empor, wie eine Priesterin.--Das Bild 
betrachtend]: Oh, ich werde mich nie mehr deiner unwert zeigen. Held 
meiner Seele--nie, nie, nie! [Sie setzt das Bild ehrfürchtig zurück, dann 
wählt sie einen Roman aus dem kleinen Bücherstoß. Verträumt blättert 
sie darin, findet, wo sie stehen geblieben ist, biegt das Buch an dieser 
Stelle nach außen zusammen, und mit einem glücklichen Seufzer sinkt 
sie auf das Bett, um sich in den Schlaf zu lesen. Bevor sie sich jedoch 
ihrem Roman überläßt, blickt sie noch einmal auf, gedenkt der seligen 
Wirklichkeit und murmelt]: Mein Held! mein Held! [Ein entfernter 
Schuß durchbricht draußen die Stille der Nacht. Sie fährt horchend 
auf,--da fallen noch zwei Schüsse aus viel größerer Nähe. Sie erschrickt, 
stürzt aus dem Bett und bläst die Kerze auf der Kommode rasch aus. 
Dann läuft sie, mit den Händen an den Ohren, zum Toilettetisch, bläst 
die Kerze auch dort aus und eilt im Dunkeln in ihr Bett zurück, man 
unterscheidet nichts mehr in der Stube als einen Lichtschimmer aus der 
durchbrochenen Metallkugel vor dem Christusbilde und das 
Sternenlicht, das durch die Spalten der Fensterläden glänzt. Abermals 
fallen Schüsse, ein fürchterliches Gewehrfeuer ist ganz nahe. Während 
man noch das Echo der Salve hört, werden die Fensterläden von außen 
aufgestoßen, für einen Augenblick flutet in einem Rechteck das 
schneeige Sternenlicht plötzlich herein, von dem sich die dunkle
Silhouette einer männlichen Gestalt abhebt. Dann schließen sich die 
Läden wieder, und das Zimmer liegt abermals im Dunkeln. Aber jetzt 
wird das Schweigen durch ein keuchendes Atemholen unterbrochen, 
dann hört man ein Kratzen, und die Flamme eines Streichholzes wird in 
der Mitte des Zimmers sichtbar.] 
Raina [aufs Bett gekauert]: Wer ist da? [Das Streichholz verlischt 
sofort wieder.] Wer ist da--wer ist da? 
[Eines Mannes Stimme gedämpft aber drohend]: Scht! Schreien Sie 
nicht, sonst schieße ich! Bleiben Sie ruhig, und es wird Ihnen nichts 
geschehen. [Man hört, wie sie ihr Bett verläßt und nach der Tür tastet.] 
Nehmen Sie sich in acht, es hilft Ihnen nichts, wenn Sie davonlaufen 
wollen. Merken Sie sich, sobald Sie Ihre Stimme erheben, wird mein 
Revolver losgehen. [Befehlend:] Machen Sie Licht und lassen Sie sich 
sehen! Hören Sie! [Noch ein Augenblick der Stille und Dunkelheit, 
während Raina an den Toilettetisch zurücktritt. Dann zündet sie die 
Kerze an, und das Rätsel löst sich.--Ein Mann von ungefähr 
fünfunddreißig Jahren, in bejammernswürdigem Zustande, mit Kot, 
Blut und Schnee bespritzt, steht vor ihr. Sein Degengehänge und der 
Riemen seiner Revolvertasche halten die Fetzen des blauen 
Waffenrocks eines serbischen Artillerieoffiziers zusammen. Alles was 
man beim Kerzenlichte aus dem ungewaschenen, verwahrlosten 
Aussehen des Mannes halbwegs erkennen kann, ist, daß er mittelgroß, 
von nicht sehr vornehmem Aussehen, breitschultrig und starkknochig 
ist. Sein rundlicher, eigensinnig aussehender Kopf ist mit kurzen 
braunen Locken bedeckt. Er hat klare, bewegliche, blaue Augen, 
gutmütige Brauen und einen freundlichen Mund, eine hoffnungslos 
prosaische Nase wie    
    
		
	
	
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