lieben, blauen 
Augen -- alles so hübsch, mein armes Kind.« 
Es mußte ihn doch übermannt haben, denn er schloß sein Weib in beide
Arme und küßte es zärtlich auf die Lippen. Die Kranke schmiegte sich 
befriedigt an seine Brust und für einen Augenblick schien sie beglückt 
und hoffnungsfreudig. Wenigstens wandte sie sich bald auf die Seite 
und forderte ihn mit ihrer erregten Stimme auf: »Wilms, gib mir die 
Bibel von dem Tisch -- so, und nun geh -- geh nur und schlag ein Auge 
auf die Wirtschaft -- es muß ja doch sein.« 
Da ging der Mann schwerfällig hinaus; allein als sich die Tür 
geschlossen hatte, blieb er stehen und lauschte zurück. 
Und trübe schüttelte er den Kopf. -- Mit welch fieberhafter, 
leidenschaftlicher Glut sein Weib dort drinnen las. Sie sang beinahe; -- 
ekstatisch, wie berauscht tönten die heiligen Worte: 
'Und siehe, ein Weib, das zwölf Jahre siech war, trat zu ihm und rührete 
seines Kleides Saum an. 
Da wandte sich Jesus um und sahe sie und sprach: Sei getrost, meine 
Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zur 
selbigen Stunde.' 
»Und ward gesund zur selbigen Stunde,« wiederholte es drinnen, wie 
verzückt. Dann einen Moment Stille, aber plötzlich mit 
herzzerreißendem Schluchzen: »O Gott -- und ward gesund -- lieber -- 
lieber -- Gott.« 
 
II. 
Als Wilms auf den Hof heraustrat, atmete er tief auf. Hier wehte doch 
frische Luft, hier beengte ihn die Hitze der Krankenstube nicht mehr, 
und erfrischend rieselte der Regen auf sein entblößtes Haupt. 
Merkwürdig. -- Er hatte doch schon so oft mitten auf seinem Gehöft 
gestanden, aber heute befiel ihn zum erstenmal der Gedanke, daß all 
sein Hab, Häuser und Scheunen, Ställe und Gerätschaften, Menschen 
und Vieh wie von einem drückenden Traum befangen wären.
Es zerfiel und zerbröckelte alles, es wurde morsch und verging. -- Und 
er selbst? 
Erschreckt fuhr er auf. 
Drüben in dem Strohdach der Kornscheuer klaffte eine beträchtliche 
Spalte. Ungehindert floß der Regen hindurch und machte ihm die 
Wintersaat faulen. Keiner meldete ihm den Schaden, er selbst hatte ihn 
nicht bemerkt. 
Früher war er als der werktätigste Landwirt Vorpommerns bekannt 
gewesen; er allein wußte, wie durch Zauber, dem fetten Boden dreifach 
die goldigen, Nahrung bringenden Körner abzugewinnen; jetzt stand es 
anders. -- Es ging bergab mit ihm. 
Ein Lastwagen lag in einer Ecke des Hofes auf drei Rädern. Das vierte 
gebrochen daneben. -- Ob man nach dem Stellmacher geschickt hatte? 
Gerade schlich ein Knecht hinter dem Gefährt träge dahin, Wilms rief 
ihn laut an; aber der Mann wußte von nichts, und schon wollte ihn der 
Landwirt mit einem kräftigen Fluch zurechtweisen, da dachte er an die 
Kranke, und beinahe flüsternd befahl er dem Manne, den Stellmacher 
zu holen. 
Der Knecht trottete davon, und Wilms setzte seine grobe Mütze auf und 
schritt schwerfällig die Landstraße entlang. Zu beiden Seiten dehnten 
sich seine Felder. 
Auf das braunschollige Ackerland rauschte hörbar der Regen, und nur 
allmählich vermochte der Landwirt seine Leute zu erkennen, so dicht 
wogte der schwere Nebel um sie herum. Grau und gespenstig tauchten 
Männer und Frauen aus den Wolken hervor, und verschwanden bald 
wieder, als hätte sie der Boden eingesogen. 
»Wie steht's mit den Kartoffeln, Karl?« fragte Wilms endlich einen 
jungen, flachsköpfigen Burschen, der tiefgebückt die gesammelten 
Knollen in einen Korb warf.
»Der Herr weiß ja -- der Regen -- es dauert schon zu lang.« 
»Ja, ja« -- Wilms ballte die Fäuste, und in sein ernstes, ehrliches Antlitz 
gruben sich tiefe Falten. Wie er sich jetzt langsam und ermüdet auf 
einen eisernen Pflug niederließ, der auf dem kotigen Acker herumlag, 
da hätte man ihn für einen alten, gebrochenen Mann halten können. 
Und er zählte doch erst zweiunddreißig Jahre und stand in der Blüte der 
Kraft. 
Und die Nebel krochen um ihn herum, formten sich, ballten sich, und 
es war, als ob sie ein häßliches, graues Weib bildeten, zahnlos, mit 
wackelndem Kopf -- eine dürre Vettel, wohlbekannt allen Bedrückten 
-- die Not, die grinsende Not, und sie hinkte auf ihn zu und streichelte 
ihn. 
Er sank immer tiefer in sich zusammen und ließ seine Leute schaffen, 
was sie wollten. 
Da klang Wagengerassel die Landstraße herab. Ein elendes, ächzendes 
Gefährt näherte sich, und herab stieg ein wohlbeleibter Mann mit 
grauem Stoppelbart, und in den Stoppeln saß ein sehr rotes, 
verschwollenes Gesicht, aus dem ein Paar wässerige Äuglein und eine 
Hakennase lustig hervorlugten. Der Ankömmling hieß »Herr 
Rosenblüt«, klimperte im Augenblick mit einer dicken goldenen Kette 
und war der Kompagnon einer in dem Landstädtchen Grimmen sehr 
angesehenen Viehexportfirma. -- Ein gesetzter, umgänglicher Mann. 
Heute zeigte sich der Viehhändler indes sehr aufgeregt. Er schritt gleich 
auf den Landmann zu und pflanzte sich prustend und atemholend vor 
ihm auf. 
»Herr Wilms,« begann er unvermittelt und fuchtelte mit seinem Stock 
hin und her. »Was soll das heißen? -- Was ist denn geschehen -- bei 
Ihnen zu Haus?    
    
		
	
	
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