1320), dem Vater
mindestens ebenbürtig an Talent und auf die Entwickelung der
italienischen Kunst noch von bedeutenderem, nachhaltigerem Einfluß.
Ja obgleich Giovanni der Schüler und langjährige Gehülfe seines
Vaters war, erscheint seine Richtung als die unmittelbare, energische
Reaktion gegen die Kunstweise des Niccolo Pisano. Statt der
klassischen Ruhe des Niccolo sehen wir bei ihm hochgradige Erregung,
statt Schönheit der Form die Bethätigung des seelischen Lebens in
Verbindung mit einem entschieden naturalistischen Streben. Freilich
reicht sein Können, reicht seine Kenntnis der Natur nicht aus, um bei
der Fülle großer und neuer Gedanken, bei dem großartigen
dramatischen Sinn wirklich volle naturalistische Durchbildung zu
erzielen; Giovanni begnügt sich damit, die Natur in großen Zügen
anzudeuten, um desto frischer und überwältigender das innere Leben
zum Ausdruck zu bringen. Daher sind die Proportionen oft sehr
vernachlässigt und selbst falsch, die Körper und Gesichter nicht selten
häßlich und verzerrt, die Ausführung meist flüchtig und zuweilen sogar
roh. Freilich kommt dies zum guten Teil auf Rechnung der Gehülfen,
deren sich der Künstler zur Ausführung der zahlreichen und
umfangreichen Arbeiten, zu denen er in seiner langen Künstlerlaufbahn
in ganz Italien berufen wurde, in großem Umfange bedienen mußte.
Giovanni's Reliefstil ist der seines Vaters: das Hochrelief, welches der
Künstler noch weit malerischer behandelt als sein Vorgänger; freilich
unter Beeinträchtigung der architektonischen Wirkung. Auch im Inhalt
seiner Darstellungen folgt er im Wesentlichen dem Niccolo; nur in der
Auffassung und Wiedergabe ist er grundverschieden von ihm.
Giovanni muß ein sehr frühreifes Talent gewesen sein, da sein Vater
den etwa fünfzehnjährigen Jüngling 1265 im Kontrakt über die Kanzel
für den Dom von Siena schon als Gehülfen mit namhaft machen durfte;
bei dem jugendlichen Alter können wir hier aber die Bethätigung einer
eigenartigen Richtung bei der Arbeit nicht annehmen. Anders ist dies
bei der Ausführung des Brunnens in Perugia, bei welcher Giovanni
1278 neben dem Vater beschäftigt war. Hier läßt sich eine Reihe der
Bildwerke, namentlich verschiedene weibliche Gestalten durch die
Kühnheit der Bewegung, den Ernst des Ausdrucks und die malerische
Gewandbehandlung unschwer als Arbeiten Giovanni's herauserkennen,
der dieselben mit besonderer Sorgfalt ausführte. Als Jugendarbeit
Giovanni's darf wohl auch das ihm in S. Giovanni fuorcivitas zu Pistoja
zugeschriebene Weihwasserbecken gelten, an dem die Gestalten der
Tugenden noch ganz die Großartigkeit der Formen und Haltung haben,
die Niccolo eigentümlich ist. Im Jahre 1278 wurde Giovanni zum Bau
des Campo Santo nach Pisa gerufen; damals entstanden wohl die groß
empfundenen Madonnenstatuen, von denen die eine über einem Portal
des Baptisteriums; die andere, eine Halbfigur, jetzt im Campo Santo
steht. Wieder neue architektonische Aufgaben zogen den Künstler von
Pisa nach Siena, wo er als Dombaumeister zwischen den Jahren 1290
bis 1295 erwähnt wird. Hier gehen die alten Figuren an der Fassade
teilweise noch auf Giovanni zurück, sind aber, mit Ausnahme der
großartigen Gestalt einer Sibylle an der Ecke des Seitenschiffs, derbe
und selbst rohe Arbeiten seiner Werkstatt.
Von Siena scheint der Künstler sich nach Pistoja gewandt zu haben, wo
er 1301 die Kanzel in S. Andrea vollendete. Sie bezeichnet den
Höhepunkt von Giovanni's Kunst; was zur Charakteristik derselben im
Allgemeinen gesagt ist, gilt daher ganz besonders von diesem Werke:
die Kompositionen sind von außerordentlich dramatischer Gewalt, die
Einzelfiguren, namentlich die Gestalten der Sibyllen, erscheinen in der
die innere Begeisterung aussprechenden Bewegung als Vorahnung der
Sibyllen Michelangelo's an der Decke der Sixtina. Gleich nach
Vollendung dieser Kanzel erhielt Giovanni den Auftrag auf eine
ähnliche, noch reichere Kanzel für seine Heimatstadt, deren einzelne
Teile jetzt im Dom und im Campo Santo zerstreut aufgestellt sind; sie
wurde erst 1311 vollendet. Den Bildwerken der Kanzel in S. Andrea
nahe verwandt, sind hier die Reliefs und Freifiguren womöglich noch
dramatischer und bewegter, noch mannigfaltiger in den Motiven,
stärker in den Verkürzungen und reicher in genrehaften
Nebenbeziehungen, aber auch noch flüchtiger in der Ausführung und
willkürlicher in den Proportionen. Der architektonische Aufbau wird
stark beeinträchtigt durch die großen tragenden Figuren, deren Sockel
zum Teil wieder mit Statuen geschmückt sind.
[Abbildung: 23. Madonnenstatuette von Giovanni Pisano.]
Von dieser Kanzel in Pisa stammt ein kleines Lesepult im Berliner
Museum (No. 24), das an der Unterseite zwei Engel mit dem Brustbild
Christi zwischen sich trägt; eine charakteristische Arbeit in der Art der
übrigen Reliefs an der Pisaner Kanzel. Ein zweites Werk des Künstlers
in der Berliner Sammlung, die Marmorstatuette der Madonna (unter
halber Lebensgröße, No. 23), scheint zur Zeit, als er an der Kanzel in
Pistoja arbeitete, gemeißelt zu sein. Wenigstens zeigt sie die nächste
Verwandtschaft zu der Silberstatuette im Dom zu Prato, deren
Entstehung auf die Zeit seiner Thätigkeit hier als Architekt im Jahre
1300 zurückgeführt wird. Im Berliner Privatbesitz befinden sich
außerdem (im Besitz des Herrn A. von Beckerath) ein Paar ebenso
wertvolle Bruchstücke einer anscheinend für Florenz gearbeiteten
Kanzel: zwei sitzende Sibyllen, deren schlichtere Haltung und große
Gewandbehandlung die Entstehung jener Kanzel noch vor die Kanzel
in Pistoja verweist.
In Norditalien war Giovanni anscheinend im

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