die
Beschäftigung seines noch nicht erwachsenen Sohnes Giovanni wurde
ihm freigestellt. Der architektonische Aufbau wie der Ideengang in den
Darstellungen (die hier um zwei Relieftafeln bereichert sind, weil die
Kanzel achteckig ist) bleibt im Wesentlichen der gleiche wie in Pisa;
doch macht sich in diesen Kompositionen die Überfüllung mit Figuren,
der Mangel an Klarheit im Aufbau und eine ungleichmäßigere
Durcharbeitung empfindlich geltend, und es fehlt den Gestalten meist
die klassische Größe der Erscheinung, welche in jener ersten Kanzel so
überraschend wirkt. Dafür sind die Köpfe hier jedoch ausdrucksvoller,
die Figuren richtiger in den Verhältnissen und naturwahrer, die Scenen
lebendiger und bewegter als in Pisa.
Wenn hier schon der abweichende Charakter durch die verschiedenen
Mitarbeiter Niccolo's wesentlich mit bedingt sein wird, so läßt sich dies
um so mehr für die letzte beglaubigte Arbeit des bejahrten Künstlers,
für die Skulpturen am großen Brunnen in Perugia, annehmen, welche
um 1280 unter Beihülfe von Arnolfo und Giovanni Pisano vollendet
wurden: am unteren Becken fünfzig Tafeln mit Einzelgestalten und
kleinen Kompositionen in ziemlich flachem Relief, am oberen Becken
vierundzwanzig Statuetten der Sibyllen, Tugenden u. s. f.; zumeist
ausgezeichnet durch gute Verhältnisse und saubere Arbeit, einzelne
auch durch tiefere dramatische Auffassung. Diese besten Arbeiten
lassen sich leicht als Werke Giovanni's erkennen.
[Abbildung: 22. Relief eines Lesepultes von Niccolo Pisano.]
Die Berliner Sammlung besitzt ein aus Pistoja stammendes
Marmorrelief, das den Anspruch auf eine Arbeit des Niccolo erheben
darf: zwei Engel, welche das Brustbild des Bischofs Beato Buonacorso
von Pistoja in einem Tuche zwischen sich emporhalten (No. 22);
ursprünglich wohl die Unterseite eines Lesepultes, welches vielleicht
während der Restauration eines Altars in Pistoja, die Niccolo 1272
übernahm, entstanden ist. Die vollen Gestalten, die Typen, die
Faltenbildung, sogar so auffallende Eigentümlichkeiten, wie die
flatternden Zipfel des Tuches, stimmen mit den beglaubigten Arbeiten
des Künstlers, namentlich mit der Verkündigung an der Kanzel zu Pisa
so sehr überein, daß wohl nur auf Niccolo als Urheber dieser Arbeit
geschlossen werden kann.
* * * * *
Der enge Anschluß des Niccolo Pisano an die Antike sollte eine weitere
Entwickelung der italienischen Plastik im Sinne der Renaissance
erwarten lassen. Gerade das Gegenteil ist der Fall: schon seine Schüler
wenden sich vom Studium der Antike ab, und sein eigener Sohn
Giovanni schlägt eine Richtung ein, welche von der des Vaters
wesentlich verschieden ist. Sie beherrscht die italienische Plastik ein
volles Jahrhundert; offenbar weil Niccolo's Nachahmung der Antike
ohne tieferes Naturstudium eine äußerliche blieb und einer tieferen
Auffassung, wie sie die christlichen Stoffe verlangten, entbehrte.
Unter den Schülern und Mitarbeitern des Niccolo sind uns zwei in
eigenen Werken bezeugt, welche ohne höhere Eigenart die Pfade ihres
Meisters wandern, Fra Guglielmo und Arnolfo di Cambio; beide
namentlich dadurch von Bedeutung, daß sie die Kunstweise ihres
Lehrers über Italien verbreiteten. Der Dominikaner Fra Guglielmo
d'Agnolo aus Pisa (um 1238 bis nach 1313) war Niccolo's Mitarbeiter
an der Arca des hl. Dominicus in Bologna gewesen, an deren Reliefs
ihm außer der Ausführung vielleicht sogar die Erfindung mit gebührt.
Nach der Verwandtschaft dieser Arbeiten mit den Reliefs an der von
einem Meister Guglielmo ausgeführten Kanzel in S. Giovanni
fuorcivitas in Pistoja hat man diese mit Recht ebenfalls als ein Werk
des Dominikaners Fra Guglielmo in Anspruch genommen. Einfacher
und dadurch klarer in der Komposition wie Niccolo, zeigt er in seinen
Gestalten den ähnlichen klassischen Zug in den Typen, in der
Gewandung und Bewegung; freilich kaum aus direktem Studium der
Antike, sondern nach den Vorbildern seines Lehrers. Wenn er diesen in
der Eigenartigkeit wie in der Größe der Erscheinung lange nicht
erreicht, so hat er doch feinere Empfindung und eine gewisse Innigkeit
im Ausdruck vor ihm voraus, die sich gelegentlich (wie in der
Beweinung Christi) selbst auf die Bewegung und ganze Komposition
ausdehnt.
Der Florentiner Arnolfo di Cambio (1232 bis 1315), Niccolo's Gehülfe
an der Kanzel in Siena wie am Brunnen zu Perugia und, wie Guglielmo,
in seiner späteren Zeit namentlich als Architekt hervorragend thätig,
steht in den beiden von ihm bekannten plastischen Monumenten
gleichfalls ganz unter des Meisters Einfluß, ist aber noch weniger
selbständig als Fra Guglielmo. Die Statuetten und kleinen Reliefs am
Grabmal des Kardinals de Braye ({~DAGGER~} 1280) in S.
Domenico zu Orvieto sowie an dem gemeinsam mit einem Künstler
Paulus ausgeführten Tabernakel in S. Paolo fuori le mura in Rom sind
gut in den Verhältnissen, einfach und ernst in Ausdruck und Haltung,
in der Gewandung sogar geschmackvoller und naturwahrer als bei
Niccolo, aber sie erscheinen unbedeutend und werden durch den
architektonischen Aufbau unterdrückt. Sowohl in jenem Tabernakel
wie namentlich in dem Grabmal hat Arnolfo, soweit bisher bekannt,
das Vorbild für den Aufbau ähnlicher Monumente gegeben, welches
für die plastische Entwickelung im Trecento, namentlich in Siena,
verhängnisvoll wurde.
Giovanni Pisano und die Kunst des Trecento (um 1300 bis 1400).
Der einzige völlig eigenartige Künstler, den Niccolo großgezogen hat,
ist sein Sohn Giovanni Pisano (um 1250 bis nach

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