Die Italienische Plastik | Page 7

Wilhelm Bode
in Italien die antiken Reste schon früher, ja regelmäßig
im Mittelalter das Vorbild für die bildnerische Thätigkeit gewesen;
aber diese hatte aus eigenem Unvermögen in halb unbewußter,
sklavischer Weise die alten Vorbilder nachzuahmen gestrebt. Bei
Niccolo Pisano ist der Anschluß an die Antike, deren Schönheit er
zuerst wieder klar erfaßte, ein völlig bewußter; erwählt die Vorbilder
aus den antiken Monumenten und bildet ihre Gewandung, ihre Technik
nach, wie er sie für seine Zwecke verwenden zu können glaubt. Der
Weg zum Verständnis und zur Wiedergabe der Natur geht bei Niccolo
durch die Antike; die Abhängigkeit von derselben verhindert ihn, sich
zu wirklichem Naturverständnis durchzuarbeiten; daher die
Erscheinung, daß der Künstler im ersten Ergreifen seiner Aufgabe am
größten und freiesten erscheint, in seinen späteren Arbeiten zum Teil
handwerksmäßiger und manierierter wird. Verhängnisvoll war ihm in
seinem Streben der Umstand, daß seine klassischen Vorbilder, zumeist
Sarkophagreliefs, die heute noch im Campo Santo zu Pisa erhalten sind,
schon der Zeit des tiefen Verfalls der antiken Kunst angehören, daß sie
handwerksmäßige Nachbildungen aus dritter und vierter Hand nach
schlecht verstandenen Originalen sind. Die Eigentümlichkeiten dieser
antiken Vorbilder finden sich daher auch bei Niccolo: das starke
Hochrelief, die Überfüllung der Kompositionen, die ungleichen
Verhältnisse der Figuren unter einander wie die derbe, untersetzte
Bildung derselben, die dicken gleichmäßigen Stoffe der Gewänder mit
antikem Schnitt und der einförmige brüchige Faltenwurf, die starke
Anwendung des Bohrers und die Vorliebe für das Stehenlassen der
Bohrlöcher, namentlich in den Haaren. Mit jenen Vorbildern hat der
Künstler dafür auch die Schönheit der Formen und die Größe der
Erscheinung gemein; seine Madonna ist eine thronende Juno, seine
Könige in der »Anbetung« erscheinen wie antike Göttergestalten, sein
Priester in der »Darstellung im Tempel« ist die Gestalt des indischen
Bacchus, und unter den Tugenden finden wir, als Stärke, einen nackten
Herkules. Je mehr sich der Künstler der Antike nähern kann, je direkter
er aus ihr seine Gestalten entnimmt, desto größer und tüchtiger

erscheint er; je mehr sich dagegen das Motiv von der Antike entfernt,
desto geringer sind regelmäßig seine Leistungen. Dies zeigt sich
namentlich in den Darstellungen der Passion Christi. In solchen
Kompositionen macht sich auch der Mangel an dramatischem Sinn und
die Leere in Ausdruck und Empfindung als Folge jenes engen
Anschlusses an die Antike am stärksten geltend.
Urkundlich begegnen wir Niccolo Pisano zuerst an der Kanzel im
Baptisterium zu Pisa, die er 1260 vollendete; nach dem Charakter der
Arbeit und dem Gange seiner späteren Beschäftigung ist es aber sehr
wahrscheinlich, daß die Skulpturen am Domportal in Lucca der Pisaner
Kanzel vorausgehen, also etwa um die Mitte des Jahrhunderts
entstanden. Am Architrav sind (leider sehr zerstört) die Verkündigung,
die Anbetung der Hirten und die Könige aus dem Morgenlande
vereinigt; Kompositionen so klar und ausdrucksvoll wie keines dieser
Motive in seiner späteren Zeit wiederkehrt. Die Abnahme vom Kreuz
im Tympanon ist in der Anordnung im Raum, in den Proportionen, in
der großen, teilweise selbst fein empfundenen Auffassung die
bedeutendste Schöpfung des Niccolo.
In der Kanzel zu Pisa fällt diesen Arbeiten gegenüber der engere
Anschluß an die antiken Vorbilder in seinen Vorzügen und Nachteilen
ins Auge. Was über den Künstler im Allgemeinen gesagt ist, gilt für
dieses sein Hauptwerk im Besonderen. Wenn ihm Mangel an
Innerlichkeit in den einzelnen Darstellungen vorgeworfen werden muß
und dadurch die Auffassung als eine wenig kirchliche erscheint, so ist
dafür die Kanzel in dem Zusammenhang der Darstellungen, in dem
Ideengehalt ihres Bilderschmuckes um so mehr durchdacht, um so
tiefer und gewaltiger. Das Evangelium von der Erlösung ist der
Grundgedanke, der in allen seinen Teilen hier zum ersten Mal völlig
klar durchgeführt ist, von den Verheißungen durch die Propheten an,
dann in den einzelnen geschichtlichen Thatsachen bis zu den
Wirkungen, die in den Gestalten der christlichen Tugenden verkörpert
sind und in den Tieren als Träger der Säulen und Lesepulte ihren
symbolischen Ausdruck erhalten. Der Inhalt der Predigt, für welche die
Kanzel geschaffen ist, ist wohl nie wieder so eindringlich der gläubigen
Gemeinde bildnerisch zur Anschauung gebracht worden.

Der Kanzel in Pisa soll der Figurenschmuck am Marmorschrein des hl.
Dominicus in S. Domenico zu Bologna gefolgt sein; die Reliefs mit
Darstellungen aus dem Leben des Heiligen wurden bis 1267 fertig
gestellt. Auf die Besichtigung aus der Nähe berechnet, sind sie
gleichmäßiger, ja fast zu zierlich durchgeführt und glücklicher in den
Verhältnissen; sie bleiben auch einfacher in der Auffassung, was wohl
die Aufgabe von Darstellungen aus der Zeitgeschichte mit sich brachte.
Niccolo stand bei der Arbeit ein junger Schüler, Fra Guglielmo, zur
Seite; der abweichende Charakter der Bildwerke macht es sogar nicht
unwahrscheinlich, daß Guglielmo dieselben allein ausführte.
Noch vor Beendigung dieses Monuments übernahm Niccolo wieder die
Ausführung einer Kanzel: die für den Dom von Siena, welche er in der
außerordentlich kurzen Zeit zwischen dem März 1266 und dem
November 1268 fertigstellte. Als Gehülfen Niccolo's werden Arnolfo,
Lapo und Donato schon im Kontrakt namhaft gemacht und
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