Die Italienische Plastik | Page 6

Wilhelm Bode
Bemalung; herbe im Ausdruck, gebunden in Haltung und
regelmäßiger Faltenbildung, aber von einer eigentümlich strengen
Größe der Erscheinung.
Ihren eigenen plastischen Stil bilden sodann die Marmorarbeiter aus,
welche die wirkungsvollen zierlichen Inkrustationsarbeiten der
toskanischen Fassaden und der Innendekoration in weißem Marmor
und tiefgrünem Serpentin auszuführen hatten. Während gleichzeitig die
römischen Cosmaten nicht einmal den Versuch zu figürlicher
Darstellung machten, wurden diese toskanischen Marmorarbeiter durch
die allgemeine Richtung auf figurale Skulptur und den Wunsch,
dieselbe als Erklärung des Dogmas für die gläubige Gemeinde zu
benutzen, bald zu einer Einbeziehung figürlicher Darstellungen in ihre
Steinmosaiken gebracht; namentlich an den Kanzeln. Schon die Kanzel
in San Miniato (wohl nicht viel früher als der von 1207 datierte

Fußboden der Kirche) zeigt an passender Stelle wenigstens eine Figur.
In der etwas jüngeren Kanzel in San Lionardo vor Florenz sind die
figürlichen Kompositionen schon die Hauptsache. Während sie aber
hier noch auf dem inkrustierten Grunde wie aufgeleimt erscheinen, sind
sie in der Kanzel des Domes zu Volterra wie in Meister Guido's Kanzel
in S. Bartolommeo in Pantano zu Pistoja (vom Jahre 1250) und in der
ähnlichen, noch jüngeren Kanzel in Barga frei aus dem Grunde
gearbeitet, so daß die Steinintarsia auf die Einrahmung beschränkt oder
ganz verdrängt ist. Man merkt diesen Bildwerken, selbst noch denen
des Meisters der Kanzel in Pistoja, Guido Bigarelli aus Como, die
Hand des Ornamentisten an, der auch die menschliche Gestalt mit
schematischer Regelmäßigkeit und zierlicher Sauberkeit behandelt,
statt sie frisch nach dem Leben zu schaffen. Der Komposition kommt
aber diese Regelmäßigkeit und der Geschmack in der Anordnung und
Ausfüllung des Raumes entschieden zu gute, und ebenso ist die saubere
Durchbildung ein Vorzug gegenüber jenen älteren romanischen
Bildwerken.
Auf Meister Guido geht in Pistoja noch die gedrungene Gestalt des
Erzengels Michael am Oratorio S. Giuseppe zurück; in Pisa hat er 1246
das prachtvolle, mit reicher Marmorintarsia geschmückte Taufbecken
vollendet, und in seiner Art sind auch schon die Skulpturen am
Hauptportal des Domes zu Lucca: Christus im Limbus und am
Architrav die Apostel und Maria, vom Meister Guidetto (in dem man
neuerdings den jungen Guido Bigarelli hat erblicken wollen). Diese
Arbeiten in Lucca sind seit 1204 ausgeführt; die Fortsetzung derselben
an der Fassade seit dem Jahre 1233 fiel Kräften zu, die bei aller
Verwandtschaft mehr plastischen Sinn hatten als Meister Guido. Der
Monatscyklus und die Darstellungen aus der Geschichte des hl. Martin
stehen dem Guido noch am nächsten, die Skulpturen der Reguluspforte
haben schon eine über ihn hinausgehende Vornehmheit der
Erscheinung, Freiheit der Bewegung und Feinheit der Empfindung. Das
große Reiterstandbild des hl. Martin, der mit dem Bettler seinen Mantel
teilt, ist die letzte und zugleich die schwierigste Aufgabe, welche diese
lombardisch-toskanische Steinmetzen- und Bildnerschule in Lucca zu
lösen hatte. Einer der ersten Versuche, eine Freifigur zu geben, und seit
dem Altertum das erste Reiterbild, ist dieses Bildwerk ausgezeichnet

durch die vornehme Ruhe der schönen Gestalten, durch die feine
Empfindung für Proportionen und teilweise selbst durch naturalistische
Wahrheit: aber zu freier Bewegung, zu naturalistischer Durchbildung,
zu einer Auffassung der Figuren als Gruppe oder nur als richtige
Freifiguren vermag sich der Künstler noch nicht zu erheben. In der
Anlehnung an die Kirchenwand, in der Einhaltung der äußeren Fläche
verrät sich vielmehr der an die Reliefdarstellung gewöhnte Künstler.

Niccolo Pisano und die Protorenaissance (um 1250 bis 1300).
Die Bildwerke, in denen der plastische Schmuck der Portale des Domes
zu Lucca seinen Abschluß erhielt: die Kreuzabnahme in der Lünette,
die Geburt Christi und die Anbetung der Könige am Architrav des
linken Seitenportals, verraten einen Künstler ganz anderer, ganz neuer
Art. Hier herrscht echt plastischer Sinn und große, ja in der
Kreuzabnahme eine fast gewaltige Auffassung; daneben erscheinen
selbst die wenig älteren Skulpturen des anderen Seitenportals nur als
befangene Leistungen fleißiger Steinmetzen. Vasari bezeichnet als
Künstler dieser Arbeiten den Niccolo Pisano (um 1206 bis nach 1280);
mit vollem Recht, wie der Vergleich mit seinen beglaubigten Arbeiten,
namentlich mit der 1260 vollendeten Kanzel im Baptisterium zu Pisa
beweist.
[Abbildung: Kanzel des Niccolo Pisano im Baptisterium zu Pisa.]
Der Bildhauer Niccolo di Piero, der sich nach seinem Geburtsort
Pisano nennt, steht auf den Schultern jener älteren
lombardisch-toskanischen Bildnerschule: speziell hat er in den
Arbeiten an der Domfassade zu Lucca seine unmittelbaren Vorläufer.
Dies gilt sowohl für die plastische Gestaltung wie für den geistigen
Inhalt seiner Kunstwerke, während die dekorative, an byzantinischen
Vorbildern großgezogene Plastik Süditaliens, mit der man den Niccolo
(wegen der fragwürdigen Herkunft seines Vaters aus Apulien) hat in
Verbindung bringen wollen, im vollen Gegensatze zu Niccolo's Kunst
steht. Aber auch gegenüber jener älteren Plastik, aus der er hervorgeht,
erscheint der Künstler recht eigentlich als Reformator. Niccolo Pisano

ist kein Naturalist wie die Meister des Quattrocento; er steht den
Künstlern des Cinquecento weit näher, denn sein höchstes Streben ist
klassische Schönheit, der er durch das Studium und gelegentlich selbst
durch unmittelbare Nachbildung der Antike nahe zu kommen sucht.
Freilich waren
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