beim Herumstöbern in Kisten und 
Kasten, wie es Philipp Unruhs Besuch mit sich brachte, fand sich ein 
vergessener Schmöker vor, benagt von Motten und Mäusen, um alles
Ansehen gebracht durch Liegen und Staub. Der Krämer hatte 
schmunzelnd den Fund verschenkt, welcher die Aufzeichnungen einer 
Marquise Bourguignon enthielt, von einem Kammerherrn, Exzellenz, 
behäbig und schnörkelhaft in das Deutsch des achtzehnten Jahrhunderts 
übertragen. 
Nun sitzt da weltfern und lebensfremd ein Schulmeisterlein in seiner 
engen Kammer und vertieft sich dumpfen und erschrockenen Sinnes in 
die frivolen Erinnerungen der Hofdame. Ein goldgieriger Räuber steigt 
durchs Fenster, aber das Fräulein, fast noch ein Kind, gibt gutlaunig 
Edleres hin. Der würdige Pater im Beichtstuhl zeigt sich nachsichtig 
gegen Sünden, an deren Begehung er teilnehmen darf. Auf der Treppe 
küßt die reizende Marquise ihrem Geliebten das Herz aus dem Leibe, 
während zehn Stufen höher der arme Gatte nach der Lampe ruft. 
Mönch und Nonne, Fürst und Lakai, Bauer und Soldat, Kavalier und 
Bürgerin nehmen teil am übermütigen Tanz der Liebe, ja die Dinge der 
unbelebten Welt sind ergriffen vom heiteren Taumel, der Himmel 
wiederhallt vom frohsinnigen Gelächter, und die graziösen Geister der 
Galanterie werfen jauchzend bunte Tücher über Gräber und 
Schlachtfelder. Was Gesetze, Philosophen, Zukunft, Religion! Kein 
Schauer der Ewigkeit für diese lächelnde Bacchantin und ihre 
Liebeskünste. 
Es sind ja längstvergangene Zeiten, dachte schließlich Philipp Unruh 
furchtsam. Das ist damals so gewesen, durfte damals so sein, denn es 
war eine Zeit der Barbarei, eine wilde, sittenlose Zeit. Heute ist die 
Welt still geworden; nichts ist mehr zu erblicken von solch 
übertriebenem Abenteuerzeug. Ein jeder Mann geht wacker dem 
Geschäfte nach, ein jedes Weib wohnt züchtig in seinem Hause, und es 
regiert die Ordnung. Törichte Leidenschaften der Vergangenheit mit 
eurem Überschwang und eurer Gefährlichkeit, dachte der Lehrer 
mitleidig und war zufrieden damit, einem besseren Jahrhundert 
anzugehören. 
Daneben war aber etwas Unbestimmtes und Hinterlistiges, das ihn 
quälte. Bei all dem Herumdenken suchte er sich heimlich zu 
beschwindeln, und das wußte er. Exzellenz Kammerherr hatte sich da
eine teuflische Sache ausgesucht für seine lahme Feder. Mit böser 
Zähigkeit kamen und gingen Bilder, und Philipp Unruh schaute sie an 
mit wildfremden Gefühlen. Er, der alle Dinge über sich ergehen und 
herabsinken ließ wie Schnee, fühlte plötzlich etwas wie Lebenslast und 
-besinnung. 
Endlich schien es ihm genug des Träumens. Er schloß das Fenster, ging 
noch eine Weile zwischen den leeren Schulbänken auf und ab, trotz der 
Dunkelheit sicher den Weg findend und suchte dann seine Studier- und 
Schlafstube auf, um sich zur Ruhe zu begeben. 
Drittes Kapitel 
Ziemlich viele Menschen waren in der Kantorwohnung versammelt, 
Ortswürdenträger und andere Leute. Es gab auch solche, die nur 
gekommen waren, um für eine Stunde der Winterkälte zu entrinnen. 
Der Auktionator war ein dicker Mann mit einer militärischen 
Fistelstimme. Bei den billigen Gegenständen wurde er herablassend, 
fast gnädig, und sein Würdegefühl stieg um so mehr, je geringer sich 
die Kauflust erwies. Doktor Maspero erstand einen Schreibtisch, der 
Bürgermeister ein Dutzend leere Flaschen, der Trödler Most die 
Gebetbücher, das »Kasino« einen Teppich. 
»Eine Chronik!« rief der Auktionator finster. 
»Eine Chronik für Unruh!« witzelte der Doktor. 
»Eine Chronik der Markgrafschaft Ansbach,« sagte der Auktionator 
streng, wartete, bis das Gelächter zu Ende war und fügte verächtlich 
hinzu: »Zwei Mark zum ersten.« 
»Drei Mark,« murmelte Philipp Unruh schüchtern. Einige kehrten sich 
lächelnd um, denn er stand an der Rückwand des Raums. Die 
Geschäftigkeit hier hatte ihn aus irgend einem Grund betrübt gemacht. 
Alle Gegenstände, die unter den Hammer kamen, hatten einen Schein 
von Persönlichem, von Zusammengehörigkeit, sahen aus wie Glieder 
einer Familie, die in die Welt verstreut werden sollten. Etwas wie 
Todestrauer lag über ihnen, besonders über dem schwarzen Ledersofa
im Winkel. Es war, als säße der alte Kantor unsichtbar darin und 
betrachte mit mürrischem Gesicht die entrückte, kunterbunte Welt. 
Die Fistelstimme rief mit beleidigtem Ausdruck den Taler zum 
zweitenmal ab. 
»Fünf Mark,« sagte jemand, der eben eingetreten war. Alle drehten sich 
um, und die Mienen wurden zurückhaltend und unzufrieden, als man 
den neuen Provisor sah. 
Philipp Unruh erbebte. Er blickte nach Apollonius Siebengeist und 
dachte erbittert: der reine Adonis. Warum er gerade diese Bezeichnung 
wählte, und warum es in einer gehässigen Bedeutung geschah, blieb 
ihm rätselhaft. Der Auktionator nahm das höhere Angebot mit 
erwachendem Interesse zur Kenntnis. 
»Zwei Taler«, erwiderte der Lehrer mit dünner und unsicherer Stimme. 
Die Leute wurden neugierig, drängten sich zusammen und sahen zu, als 
ob ein Hahnenkampf vor sich ginge. Der Lehrer schämte sich wie 
jemand, der auf irgend eine Weise Interesse erregt, ohne es 
rechtfertigen zu können. 
»Drei Taler,« sagte Siebengeist mit kaltem Lächeln. Er stand an den 
Pfosten gelehnt, beide Hände in den Taschen seines Pelzmantels, in der 
nachlässigen Haltung eines Mannes von Welt. In Philipp Unruh 
erwachte ein trüber Zorn. Doch wie alle schwachen Menschen, die sich 
beleidigt oder übervorteilt sehen, hatte er den Wunsch, dem Gegner 
sein Anrecht logisch und herzlich zu beweisen. Er    
    
		
	
	
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