und Stege und
klommen windungsreich an den kraftvoll gestalteten Bergen empor.
Hier ein Garten, daneben eine Wildnis, da eine Ruine, drüben eine
gewaltige Wand, im Norden kahle Steinriesen, im Süden ein erhabenes
Gletscherhaupt; so wurde das Bild geschlossen, das harmonisch im
einzelnen wie groß im ganzen war.
Dem Gletscher fern gegenüber, um die ganze Weite eines Tals, eines
ausgedehnten Plateaus und einer tiefen Senkung hinter dem Plateau
von ihm entfernt, lag die Villa Lambergs. Der Mond stand am Himmel,
und durch die offenen Fenster drangen die eifrig sprechenden Stimmen
in die Stille der Landschaft, die durch die vereinfachenden Linien der
Nacht geisterhaft entrückt schien. Das Abendessen war vorüber,
Borsati, Cajetan und Lamberg saßen noch am Tisch, Hadwiger ging in
sichtlicher Aufregung hin und her. Er nahm es den Freunden übel, daß
sie so gleichmütig waren, -- denn heute war der Tag, für den Franziska
sie alle zum Stelldichein gebeten hatte. Sie war nicht gekommen, und
es bestand wenig Grund zu der Hoffnung, daß sie noch kommen würde,
jetzt, in den Stunden der Nacht. Wer weiß, wo sie ist; wer weiß, ob sie
lebt, dachte er bekümmert. Dann grübelte er darüber nach, wie er es
anfangen könnte, um das Gespräch auf die Erwägungen zu lenken, die
ihn so schmerzhaft beschäftigten. Hatte er doch während der Dauer
eines Jahres diesem Tag entgegengelebt, nichts weiter, und das Wort
Franziskas war ihm für beide Teile als so unwiderruflich erschienen,
daß kein Zweifel sich in sein Zutrauen mischte. Nun war es Abend, und
es war ein Tag vergangen wie viele andere Tage vor ihm. Warum
sprechen sie nicht von ihr? dachte er; ist es Verstellung oder Kälte? Das,
was sie Haltung nennen oder jene Herzensglätte, die sie mir oft so
fremd macht?
Er blieb vor dem goldenen Spiegel stehen, der auf seiner Runde seit
einigen Wochen zu Lamberg zurückgekehrt war, und betrachtete in
dumpfer Verlorenheit das Wunder aus alter Zeit.
Es war eine kreisrunde Scheibe aus ermattetem Gold; sie wurde mit
hocherhobenen Armen von der Figur einer Göttin getragen, die auf
einer köstlich gearbeiteten Schildkröte stand. Die Rückseite der
Scheibe zeigte die Figur eines Jünglings, offenbar eines Narzissos, der
in lässig schöner Art auf einem Felsblock saß, zwei lange Stäbe im
rechten Arm und in kaum angedeutetem, nur mit wenigen Strichen
graviertem Wasser die Umrisse seines Bildes beschaute. Tief am Rand
war in griechischen Lettern das Wort Leäna eingeritzt, welches der
Name der Hetäre sein mochte, die einst den Spiegel als Eigentum
besessen hatte. Das ganze Kunstwerk war ungefähr zwei Handlängen
hoch.
Cajetan erhob sich, trat zu Hadwiger und legte den Arm mit jovialer
Geberde auf dessen Schulter. »Die weibliche Figur steht
unvergleichlich da«, sagte er. »Sie trägt wirklich; jeder einzelne Muskel
ihres Körpers trägt. Finden Sie nicht, Heinrich? Dabei ist doch
Leichtigkeit in der Bewegung, wie man etwas hält, dessen Besitz die
Kräfte erhöht.«
»Es ist eine edle Form«, bestätigte Lamberg, »und um zu ermessen, wie
die Alten solche Dinge gearbeitet haben, muß man nur die Schildkröte
ansehn. Welche Feinheit! Da fehlt kein Zug der Natur und doch gibt sie
vor allem die Idee eines Postaments.«
»Man ist überzeugt, daß die Last für diesen Panzer gar nicht wiegt«,
versetzte Cajetan.
»Mich dünkt bisweilen«, warf Borsati ein, »daß sich das Gesicht der
Aphrodite durch einen fahleren Glanz von der Färbung des übrigen
Gusses abhebt.«
Lamberg erwiderte, er habe es auch schon beobachtet. »Nur weiß ich
eben nicht, was daran die Zeit verschuldet hat«, fuhr er fort. »Bekannt
ist jedenfalls, daß der Bildhauer Silanion Silber in das Erz mischte, aus
dem das Antlitz der Jokaste bestand, um durch die bleichere
Schattierung den Tod anzudeuten. Und um die Raserei des Athanas
auszudrücken, tat Aristonidas Eisen in die Masse, wodurch er eine
charakteristische Rostfarbe erzeugte. Sieht es nicht aus, als ob die Züge
der Venus von einem imaginären Mond bestrahlt seien?«
Hadwiger, der für diese Erörterungen wenig Interesse bewies, sah nach
der Uhr. Lamberg fing den Blick auf und lächelte. »Warum lächeln
Sie?« fragte ihn Hadwiger stirnrunzelnd. -- »Wo ich Ungeduld bemerke,
muß ich stets lächeln«, antwortete Lamberg mit herzlichem Ton. --
»Und Sie empfinden keine? Sie erwarten nichts?« Lamberg schüttelte
den Kopf. -- »Und ihr erwartet auch nichts?« wandte sich Hadwiger
schüchtern und erstaunt an die andern beiden. »Ich habe Franziskas
Wunsch schon damals für eine Laune gehalten«, bekannte Cajetan. --
»Warum sind Sie dann gekommen?« fragte Hadwiger fast schroff. --
»Erstens, weil ich mit Vergnügen hier bin, zweitens, weil ich durch
mein gegebenes Wort genötigt war, die Laune ernst zu nehmen«, war
die Erwiderung. -- »Und Sie auch, Rudolf?« -- »Ich glaube nie an
Programme und bin mißtrauisch gegen Verabredungen, weil sie fesseln
und meist einseitig verpflichten«, sagte Borsati.
Cajetan brachte das Gespräch auf Riccardo Troyer. Er war dem
berüchtigten Ausländer mehrmals in der Gesellschaft begegnet und
rühmte ihn als einen Mann von großer Welt, der einer souveränen

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