Macht über die Menschen in jedem Fall und bis zur Frivolität sicher sei
und, ob er nun geächtet oder bewundert werde, Merkmale einer
dämonischen Besonderheit so deutlich an sich trage, daß man sich
seinem Einfluß nicht entziehen könne. Borsati tadelte das Wort von der
dämonischen Besonderheit als einen jugendlichen Galimathias; nach
seiner Erfahrung seien die sogenannten dämonischen Menschen
unverschämte Komödianten, sonst nichts. Aber Cajetan fuhr unbeirrt
fort und sagte, er habe das Wesen nicht begriffen, das um Franziskas
letzte Liaison gemacht worden, zumal die Ehe mit dem alten
Armansperg keineswegs zu gutem Ende hätte führen können.
»Aber nie zuvor hat sie sich weggeworfen«, rief Hadwiger aus.
»Sie hat es auch in diesem Fall nicht getan«, antwortete Cajetan ernst
und bestimmt. »Eine Frau wie sie folgt untrüglichen Instinkten, und
selbst wenn sie den Weg ins Verderben wählt, liegt mehr Schicksal
darin als wir ahnen. Sie hat sich niemals weggeworfen, das ist wahr.
Wer sich hingibt, kann sich nicht wegwerfen, und es existiert eine
Treue gegen das Gefühl, die von höherem Rang ist als die Treue gegen
die Person.«
Es war elf Uhr geworden, und die drei Hotelbewohner verabschiedeten
sich von Lamberg. Dieser stand auf dem Balkon und lauschte noch
lange ihren in der Nacht verhallenden Stimmen. Weit drunten auf der
Landstraße rasselte ein Wagen. Georg Vinzenz trat ins Freie, befühlte
das Gras und, da er es trocken fand, prophezeite er im stillen für den
morgigen Tag schlechtes Wetter. Er ging dann in das obere Stockwerk
des Hauses, öffnete die Tür zu einer dunklen Kammer und rief:
»Quäcola!« Das war der Name, den er dem Schimpansen gegeben hatte.
Das Tier ließ einen freudigen kleinen Schrei hören. Lamberg riegelte
den Käfig auf, und der Affe folgte ihm aus dem Gemach, die Treppe
hinab, in das beleuchtete Speisezimmer. Er setzte sich mit schlau
betonter Bravheit und blickte lüstern nach einer mit Früchten gefüllten
Schale, die auf dem Tische stand. Lamberg nickte und der Affe langte
zu, ergriff eine Pflaume und biß hinein. Indessen hatte sich das Rollen
jenes fernen Wagens genähert, Georg Vinzenz lauschte, eilte ans
Fenster, hierauf vor die Türe, die Kutsche hielt, und Franziskas bleiches
Gesicht sah aus dem Schlag. Georg Vinzenz begrüßte sie voll stummer
Überraschung, und, nachdem er den Diener gerufen, damit er das
Gepäck versorge, führte er sie ins Haus. »Du bist pünktlich wie ein
Mitternachtsgespenst«, sagte er lächelnd und forschte in ihren Zügen,
ob sie zu einem so scherzhaften Gesprächsbeginn aufgelegt sei. Sie
erwiderte, an dem Gespensterhaften trüge nur die Eisenbahn schuld,
und da sie eine weite Reise hinter sich habe, sei es unvermeidlich
gewesen, daß sie erst in der Nacht ans Ziel gelangt sei. »Aber warum
hast du mich nicht benachrichtigt?« fragte er, und als sie verwundert
schien, fügte er rasch hinzu: »Ich hätte dich sonst am Bahnhof
erwartet.«
Sie trug ein dunkles Gewand. Ihre Sprache war leiser geworden, die
Hand, die sie beim ersten Gruß in die seine gelegt, schmaler, kälter und
schwerer. Der Mund sah wie von vielen vergeblichen Worten ermüdet
aus, und unter den übermäßig strahlenden Augen befanden sich zwei
fahle Schatten. Lamberg schaute sie immer aufmerksamer an, sie wich
unter seinem Blick, sie erkundigte sich, ob sie einige Tage in seinem
Hause bleiben könne, und nachdem er eifrig bejaht hatte, ergriff sie mit
beiden Händen seine Rechte und stammelte bittend: »Aber frag' mich
nicht! Nur nicht fragen!«
Er merkte selbst, wie wichtig es sei, nicht zu fragen. Das war nicht
mehr Franziska; nicht mehr die schalkhafte, sprühende Franziska, die
lebenshungrige. Es war eine Satte, eine Sieche, eine Hinfällige, eine
mit letzten Kräften sich aufrecht Haltende, und ihr war eine Rast
notwendig. Wie sie auf das Sopha hinfiel, den Kopf in die Arme wühlte
und schluchzte! So hätte die unverwandelte Franziska niemals geweint;
nicht durch Tränen, höchstens durch Lachen hätte sie Quäcola, den
Schimpansen, zu einer bestürzten Flucht in den Winkel des Zimmers
veranlaßt.
Lamberg ging umher und dachte: hinter diesem Jammer liegen dunkle
Wirklichkeiten. Aber er fragte mit keinem Blick seines Auges. Es wird
die Stunde kommen, wo es ihr Herz zersprengt, wenn sie schweigt,
sagte er sich. Seinem sanften Zuspruch gelang es, sie zu beruhigen.
Sie saßen noch lange beisammen in dieser Nacht. Der Heuduft von den
Wiesen, die Harzgerüche aus dem Wald, das weitheraufklingende
Rauschen der Traun, all das trug dazu bei, daß sie sich sammeln und
besinnen konnte, denn sie glich einem Menschen, der aus schweren
Träumen erwacht ist.
Lamberg teilte ihr mit, daß die andern Freunde hier seien, daß sie den
Abend bei ihm zugebracht. Franziska hatte den goldenen Spiegel von
seinem Gestell gehoben und blickte zerstreut auf das matte Metall der
Scheibe. Plötzlich trat eine erschrockene Spannung auf ihre Züge, und
sie flüsterte beengt: »Werden sie mich nicht fragen?« Lamberg, der
zum offenen Fenster gegangen war, entgegnete, ohne sich umzukehren:
»Nein, Franzi, sie werden nicht fragen.«
Franziska seufzte und ließ den

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