ich gehe froher
von euch weg.« 
»Muß es denn am selben Tag sein?« fragte Cajetan. 
»Gewiß, nur dann ist es bindend,« versetzte sie. 
Das Versprechen ward von jedem in ihre Hand geleistet und sie ging. 
Alle schauten ihr betroffen und teilnahmsvoll nach, wie sie fast 
fliegend rasch den umgrünten Pfad hinuntereilte. Sie fuhr am nächsten 
Tag in die Stadt zurück, und kaum eine Woche war vergangen, so 
brachten alle Zeitungen die Neuigkeit, daß Franziska, die schöne 
Schauspielerin, mit Riccardo Troyer verschwunden sei. Die Nachricht 
verursachte schon deshalb Bestürzung, weil man die Heirat Franziskas 
mit dem Fürsten Armansperg als nahe bevorstehend betrachtet und das 
Gewagte einer solchen Verbindung hatte vergessen wollen. Man wußte 
zu sagen, daß der Fürst außer sich und nur mit Mühe verhindert worden 
sei, den Abenteurer polizeilich verfolgen zu lassen. Er war auf das 
Ereignis nicht im mindesten gefaßt gewesen, einzelne Warnungen hatte 
er verächtlich aufgenommen, doch von der Stunde ab zog er sich von 
der Welt zurück und lebte einsam. 
Während alles dies sich abspielte, erhielt Lamberg ein Paket und einen 
Brief Franziskas. Der Brief berührte die eingetretene 
Schicksalswendung mit keiner Silbe und war so kurz wie er überhaupt 
nur sein konnte. »Ich gebe euch, Georg Vinzenz, Heinrich, Rudolf und 
Cajetan zum Abschied und zur Erinnerung den goldnen Spiegel der 
Aphrodite, den mir ein teurer und nun verstorbener Freund geschenkt 
hat. Ich hab euch einmal davon erzählt, schlecht wie mir scheint, sonst 
wäret ihr gekommen, um das wunderbare Ding anzuschauen. Der 
Spiegel soll keinem gehören und jedem, keiner soll ein Vorrecht darauf 
haben, weil ihr mir alle gleich wert seid und es eine frohe Empfindung 
für mich ist, ihn als ein Sinnbild meiner Liebe und Dankbarkeit in 
eurem Besitz zu wissen. Lebt wohl, vergeßt euer Versprechen nicht und 
denkt zuweilen an euer Geschöpf, eure Schwester, eure ewig getreue 
Franziska.« 
Der Spiegel war in der Tat ein ausgezeichnet schönes Stück. Er war um 
das Jahr 1820 in den Ruinen eines kretischen Palastes aufgefunden
worden, kam in die berühmte Sammlung Diatopulos und gelangte 
fünfzig Jahre später in die Hände des Herzogs von Casale. Im Jahre 
1905, nach dem Tod des Herzogs, wurde, um dessen Schuldenlast zu 
tilgen, der Spiegel nebst vielen andern Kunstobjekten zu Paris 
versteigert, und dort hatte ihn der unbekannte Verehrer Franziskas 
erworben. 
Die Freunde einigten sich dahin, daß jeder von ihnen den Spiegel für 
die Dauer von drei Monaten unter seinem Dach beherbergen sollte. 
Wären sie nicht Männer von Geschmack und Geist gewesen, so hätte 
Franziskas Gabe leicht Ärgernis stiften können. Keiner hatte Sicherheit; 
an wen die Reihe kam, der war zum voraus verstimmt über die 
Scheinhaftigkeit seines Rechts. Gemeinhin macht der Besitz die Dinge 
fremder; hier, wo der Gewinn schon den Verlust bedingte, hielt 
Ungewißheit das stets wieder entgleitende Gut doppelt lebendig. Hätte 
Franziska das Geschenk einem unter ihnen zugesprochen, so wäre für 
die andern keine Beunruhigung erwachsen, und der Erwählte hätte den 
Frieden der Gleichgiltigkeit nicht lange entbehrt. So wurde das 
Beschenkt- und Beraubtwerden zur gleichviel bedeutenden Pein. 
Franziska blieb wie verschollen. Unter ihren zahlreichen Bekannten 
hatte niemand von ihr gehört, und der Urlaub, den sie vom Theater 
genommen, war längst überschritten. Es hieß, der Fürst Armansperg 
habe über Riccardo Troyer weitläufige Nachforschungen anstellen 
lassen, die zu einem bedenklichen Ergebnis geführt hätten. Auch davon 
wurde es allgemach still. Im Juli hielt sich Hadwiger einige Zeit in 
Paris auf und hörte, daß Troyer während des spanisch-marokkanischen 
Kriegs als Agent einer englischen Gewehrfabrik in Madrid tätig 
gewesen, daß er Betrügereien verübt und aus dem Land gejagt worden 
sei. Hadwiger konnte nicht vergessen; er war nicht fähig, sich ins 
Unwiderrufliche zu finden. Er grollte der Fügung, sein Gemüt war 
verdunkelt, und um der Gedankenspiele enthoben zu sein, arbeitete er 
Tag und Nacht. 
So ging das kleine und das große Leben weiter. Im Juli bezog Lamberg 
seine Villa im Gebirg. Mit einer Köchin, dem Diener Emil und einem 
Affen verließ er die Stadt. Den Affen hatte er vor kurzem von einem
holländischen Kaufmann erhalten und war förmlich verliebt in ihn. Es 
war ein junger Baam oder Schimpanse, der die Größe eines 
achtjährigen Knaben hatte. Durch die Unterhaltungen mit dem sich 
selbst ernst nehmenden Tier erlangte er Einblick in die Fülle schönen 
Humors, von welcher der sich selbst ernst nehmende Mensch umgeben 
ist. 
In der letzten Woche des August trafen Hadwiger, Borsati und Cajetan 
ein. Sie wohnten diesmal alle drei in dem Gasthaus am See, da Cajetan 
nicht begünstigt zu sein wünschte und das lieblich barocke Hotelchen 
ebensoviele Bequemlichkeiten bot wie Lambergs Junggesellenheim. 
 
Was über den Spiegel beschlossen wurde 
Sieben Seen, zwischen Felsen und Wälder düster gebettet die einen, im 
Schutz freundlicher Hänge leuchtend die andern, konnte das Auge des 
Betrachters von jedem beherrschenden Gipfel aus erblicken. Wege 
zogen hügelauf- und abwärts; feste weiße Wege; durchschnitten und 
umgürteten die langgestreckten Dörfer, begleiteten lärmende Bäche, 
verloren sich in Wiesen, schlüpften über Brücken    
    
		
	
	
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