Der Sturm | Page 3

William Shakespeare
allen in
Italien der erste, so wie es Prospero an Ansehen war, und an Ruhm in
den Wissenschaften, die meine einzige Beschäftigung waren. Ich
überließ also die Staatsverwaltung meinem Bruder, und wurd' ein
Fremdling in meinem eignen Lande, so sehr riß mich die Liebe und der
Reiz geheimnißreicher Studien dahin. Dein treuloser Oheim-- Aber du
giebst nicht Acht!
Miranda.
Höchst aufmerksam, mein Herr.
Prospero.
Dein Oheim, sag ich, der in der Kunst ausgelernt war, wie

er ein Gesuch bewilligen oder wie er es abschlagen, wen er befördern
oder wen er wegen eines allzuüppigen Wuchses abschneiden sollte;
schuf alle diejenigen um, die meine Creaturen waren; ich sage, er
versezte sie entweder, oder er gab ihnen sonst eine andre Form; und da
er den Schlüssel zu dem Amt und zu dem Beamteten hatte, stimmte er
alle Herzen in dem Staat, nach dem Ton, der seinem Ohr der
angenehmste war. Solchergestalt war er nun der Epheu, der meinen
fürstlichen Stamm umwand, und sein Mark an sich sog--du giebst nicht
Acht.
Miranda.
Ich thu es, mein werther Herr.
Prospero.
Ich bitte dich, merke wohl auf. Da ich nun alle weltlichen
Dinge so bey Seite sezte, und mich ganz der Einsamkeit und der

Verbesserung meines Gemüths widmete, die in meinen Augen alles
überwog was der grosse Hauffe hochschäzt, so erwachte meines
Bruders schlimme Gemüthsart, und mein Zutrauen brütete eine Untreue
in ihm aus, die so groß war als mein Zutrauen, welches in der That
keine Grenzen hatte. Da er sich in dem Besiz meiner Einkünfte und
meiner Gewalt sah, so machte ers wie einer, der durch häufiges
Erzählen der nemlichen Unwahrheit einen solchen Sünder aus seinem
Gedächtniß macht, daß er selbst nicht mehr weiß, daß es eine
Unwahrheit ist; er hatte so lange die Rolle des Herzogs mit allen ihren
Vorrechten gespielt, daß er sich zulezt einbildete, er sey der Herzog
selbst--Hörst du mir zu?
Miranda.
Eure Erzählung, mein Herr, könnte die Taubheit heilen.
Prospero.
Damit nun aller Unterschied zwischen der Person die er
spielte, und demjenigen, für welchen er sie spielte, aufhören möchte,
wollte er schlechterdings selbst Herzog in Meiland seyn. Mir, armen
Manne, dachte er, wäre mein Büchersaal Herzogthums genug; zu allen
Geschäften eines Fürsten hielt er mich für ganz untüchtig. Er machte
also ein Bündniß mit dem König von Neapolis, und verstuhnd sich, (so
sehr dürstete ihn nach der Herrschaft), ihm einen jährlichen Tribut zu
bezahlen, und ihn als seinen Lehnsherrn zu erkennen, seinen Fürstenhut
der Crone dieses Königs zu unterwerffen, und das bisher unabhängige

Herzogthum (armes Meiland!) unter ein schimpfliches Joch zu beugen.
Miranda.
O Himmel!
Prospero.
Höre nun die Bedingung die er ihm dagegen machte, und
den Ausgang; dann sage mir, ob das ein Bruder war?
Miranda.
Es wäre Sünde, von meiner Großmutter etwas unedels zu
denken; gute Eltern können schlimme Kinder haben.
Prospero.
Nun die Bedingung: Dieser König von Neapel, der mein
alter Feind war, willigte mit Freuden in meines Bruders Begehren,
welches dahin gieng, daß er, gegen die ihm zugestandne
Abhänglichkeit, und ich weiß nicht wie viel jährlichen Tribut,
ungesäumt mich und die meinigen aus dem Herzogthum vertreiben,
und das schöne Meiland mit allen seinen Regalien meinem Bruder zu
Lehen geben sollte. Nachdem sie nun zu Ausführung dieses Vorhabens
eine verrätherische
Kriegsschaar zusammen gebracht, öffnete
Antonio in einer fatalen Mitternacht die Thore von Meiland, und in der
Todesstille der Finsterniß schleppten die Diener seiner bösen That mich
und dein schreyendes Selbst hinweg.
Miranda.
O weh! Ich will izt über diese Gewaltthat schreyen, da ich
mich nicht mehr erinnere, wie ich damals geschrien habe; eine geheime
Nachempfindung preßt diese Thränen aus meinen Augen.
Prospero.
Hör' ein wenig weiter, und dann will ich dich zu der
gegenwärtigen Angelegenheit bringen, die wir vor uns haben, und ohne
welche diese Erzählung sehr unbesonnen wäre.
Miranda.
Warum nahmen sie uns denn das Leben nicht?
Prospero.
Die Frage ist vernünftig, Mädchen; meine Erzählung
veranlaset sie. Sie durften es nicht wagen, meine Theureste, so groß
war die Liebe die das Volk für mich hatte, sie durften es nicht wagen,
ihre Übelthat durch ein blutiges Merkmal der Entdekung auszusezen,
sondern strichen ihre boshaftigen Absichten mit schönern Farben an.

Kurz, sie schleppten uns auf eine Barke, und führten uns etliche Meilen
in die See, wo sie ein ausgeweidetes Gerippe von einem Boot, ohne
Thauwerk, ohne Seegel, und ohne Mast zubereiteten, ein so armseliges
Ding, das sogar die Razen, vom Instinct gewarnet, es verlassen hatten;
und auf diesem elenden Nachen stiessen sie uns in die See, um den
Wellen entgegen zu jammern, die uns heulend antworteten; und den
Winden zuzuseufzen, deren wieder
zurükseufzendes Mitleiden unsre
Angst vermehrte, indem es sie lindern zu wollen schien.
Miranda.
Himmel! wie viel Unruhe muß ich euch damals gemacht
haben!
Prospero.
O! Ein Cherubim warst du, der mich beschüzte. Da ich von
der Last meines Elends niedergedrükt, einen Strom von trostlosen
Thränen in die See hinunter weinte, da lächeltest du mir mit einer vom
Himmel eingegoßnen Freudigkeit entgegen, und erwektest dadurch den
Muth in mir,
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