Der Sturm | Page 4

William Shakespeare
alles zu ertragen, was über mich kommen würde.
Miranda.
Wie kamen wir denn ans Land?
Prospero.
Durch Göttliche Vorsicht! Wir hatten einigen Vorrath von
Speise und frischem Wasser, womit uns Gonsalo, ein Neapolitanischer
Edelmann, dem die Ausführung dieses Geschäfts anbefohlen war, aus
Gutherzigkeit und Mitleiden versehen hatte. Er hatte uns auch mit
reichen Kleidern, leinen Geräthe und andern Nothwendigkeiten
beschenkt, die uns seither gute Dienste gethan haben; und da er wußte
wie sehr ich meine Bücher liebte, so verschafte mir seine Leutseligkeit
aus meinem eignen Vorrath einige, die ich höher schäze als mein
Herzogthum.
Miranda.
Wie wünscht' ich diesen Mann einmal zu sehen!
Prospero.
Nun komm ich zur Hauptsache. Bleibe sizen, und höre das
Ende meiner Erzählung. Wir kamen in dieses Eiland, und hier hab' ich,
durch meine Unterweisungen, dich weiter gebracht als andre Fürsten
können, die nur für ihre Lustbarkeiten Musse haben, und die Erziehung
ihrer Kinder nicht so sorgfältigen Aufsehern überlassen.

Miranda.
Der Himmel danke es euch! Aber nun bitte ich euch mein
Herr, (denn ich höre dieses Ungewitter noch immer in meiner
Einbildung) was war die Ursache, warum ihr diesen Sturm erreget
habt?
Prospero.
So wisse denn, daß durch einen höchst seltsamen Zufall,
das mir wieder günstige Glük meine Feinde an dieses Ufer gebracht hat:
Meine Vorhersehungs-Kunst sagt mir, daß ein sehr glüklicher Stern
über meinem Zenith schwebt; allein sie sagt mir auch, daß wenn ich die
wenigen Stunden seines günstigen Einflusses ungenüzt
entschlüpfen
lasse, mein Glük auf immer verscherzt seyn werde--Hier frage nicht
weiter; du bist schläfrig; es ist eine heilsame Betäubung, gieb ihr nach;
ich weiß daß du nicht anders kanst.
(Miranda schläft ein.)
Herbey, mein Diener, herbey; ich bin fertig. Nähere dich, mein
Ariel--Komm!
Dritte Scene.
(Ariel zu Prospero.)
Ariel.
Heil dir, mein grosser Meister! Ehrwürdiger Herr, Heil dir! ich
komme deine Befehle auszurichten; es sey nun zu fliegen oder zu
schwimmen, mich in die Flammen zu tauchen, oder auf den krausen
Wolken zu reiten; Ariel und alle seine Kräfte sind zu deinem mächtigen
Befehl.
Prospero.
Hast du, o Geist, den Sturm so ausgerichtet, wie ich dir
befahl?
Ariel.
Bis auf den kleinsten Umstand. Ich kam an Bord des
Königlichen Schiffes, und sezte, in Flammen eingehüllt, bald das
Vordertheil, bald den Bauch, das Verdek und jede Cajüte in Schreken.
Zuweilen theilt' ich mich, und zündet' es an etlichen Orten zugleich an,
flammte in abgesonderten Klumpen Feuers auf dem Bramsteng, den
Segelstangen und dem Bögs-Priet-Mast; dann floß ich wieder
zusammen. Jupiters Blize selbst, die Vorläuffer fürchterlicher

DonnerSchl äge, sind nicht behender zu leuchten und wieder zu
verschwinden; das schmetternde Gebrüll der schweflichten Flammen
schien den allmächtigen Neptunus zu belagern, und seine kühne
Woogen zittern zu machen, ja seinen furchtbaren Dreyzak selbst zu
erschüttern.
Prospero.
Mein wakrer, wakrer Geist! War einer unter diesen Leuten
gesezt und standhaft genug, bey einem solchen Getöse Meister von sich
selbst zu bleiben?
Ariel.
Keine einzige Seele, die nicht, von fieberhaften Schauern

geschüttelt, in irgend einen Ausbruch von Verzweiflung fiel. Alle, bis
auf die Schiffleute, verliessen das Schiff, das ganz von mir in Flammen
stuhnd, und stürzten sich in das schäumende Salzwasser. Ferdinand,
des Königs Sohn, war der erste, der mit berg an
stehendem Haar, eher
Binsen als Haaren ähnlich, in die See sprang. Die Hölle ist leer, schrie
er, und alle Teufel sind hier.
Prospero.
Gut, das ist mein Geist! Aber war es nahe genug am Ufer?
Ariel.
Ganz nah, mein Gebieter.
Prospero.
Sind sie alle errettet, Ariel?
Ariel.
Es ist nicht ein Haar umgekommen, und auf ihren Kleidern ist
nicht ein Fleken, sondern sie glänzen frischer als zuvor. Wie du mir
befohlen hast, hab' ich sie truppenweise um die Insel her zerstreut: den
Sohn des Königs hab ich ganz allein ans Land gebracht, und ihn in
einem düstern Winkel der Insel verlassen, wo er mit
verschlungnen
Armen traurig dasizt, und die Luft mit seinen Seufzern abkühlt.
Prospero.
Was hast du denn mit dem Schiffsvolk auf dem königlichen
Schiffe, und mit dem ganzen Rest der Flotte gemacht?
Ariel.
Des Königs Schiff ist unbeschädigt in Sicherheit gebracht. Ich
hab es in eine tiefe Bucht der Bermudischen Inseln verborgen, wohin
du mich einst um Mitternacht schiktest, Thau zu holen. Die


Schiffleute, alle in den Raum zusammen gedrängt, habe ich in einen
bezauberten Schlaf versenkt; die übrigen Schiffe der Flotte die ich
zerstreut hatte, fanden sich wieder zusammen, und sind auf der
mittelländischen See im Begriff traurig wieder heim nach Neapel zu
segeln, in der Meynung, daß sie des Königs Schiff scheitern, und seine
hohe Person umkommen gesehen haben.
Prospero.
Ariel, du hast meinen Auftrag pünctlich ausgerichtet; aber
es ist noch mehr Arbeit; wie viel ist es am Tage?
Ariel.
Höchstens zwey Stunden nach Mittag.
Prospero.
Die Zeit zwischen izt und Sechse muß von uns beyden als
höchst kostbar angewendet werden.
Ariel.
Ist noch mehr zu thun? Da du mir so viel Mühe auflegest, so
verstatte daß ich dich an etwas erinnre, so du mir versprochen und noch
immer nicht gehalten hast.
Prospero.
Wie? du bist übel aufgeräumt? Was verlangst du denn?
Ariel.
Meine
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