Der Sturm | Page 2

William Shakespeare

Sebastian.
Die Geduld ist mir ausgegangen.
Antonio.
Diese Trunkenbolde sind ganz allein Schuld, daß wir
umkommen-- Dieser weitgespaltene Schurke--Ich wollt' er läge so tief
im Meer, daß ihn zehn Fluthen nicht heraus spülen könnten.
Gonsalo.
Er wird doch noch gehangen werden, und wenn jeder
Tropfe Wasser dagegen schwören, und das Maul aufsperren würde, ihn
zu
verschlingen.
(Man hört ein vermischtes Getös hinter der Scene.)
Wir scheitern, wir scheitern, wir sinken unter! Lebet wohl, mein Weib
und meine Kinder! Wir scheitern! wir scheitern!
Antonio.
Wir wollen alle mit dem König versinken.
(Geht ab.)
Sebastian.
Wir wollen Abschied von ihm nehmen.

(Geht ab.)
Gonsalo.
Izt wollt' ich von Herzen gerne tausend Meilen See für eine
Jauchart dürren Boden geben, Heidekraut, Genister, was man wollte--
der Wille des Himmels geschehe! Doch wollt' ich lieber eines troknen
Todes sterben!
(Geht ab.)
Zweyte Scene.
(Verwandelt sich in einen Theil der bezauberten Insel,
unweit der Celle des Prospero.)
(Prospero und Miranda treten auf.)
Miranda.
Wenn ihr, mein theurester Vater, diese wilden Wasser durch
eure Kunst in einen so entsezlichen Aufruhr gesezt habet, o so leget sie
wieder! Der Himmel, so scheint es, würde stinkendes Pech

herunterschütten, wenn nicht die See, die bis an seine Wangen steigt,
das Feuer wieder löschte. O! wie hab' ich mit diesen Unglüklichen
gelidten, die ich leiden sah! Ein schönes Schiff (ohne Zweifel hatte es
einige edle Geschöpfe in sich) ganz in Stüke zerschmettert--O das
Geschrey schlug recht gegen mein Herz an. Die armen Seelen, sie
kamen um! Hätte ich die Macht irgend eines Gottes gehabt, ich wollte
eher das Meer in die Erde hineingesenkt haben, eh es dieses gute Schiff
so verschlungen haben sollte, und die darauf befindlichen Seelen mit
ihm.
Prospero.
Fasse dich, meine Tochter; nicht so bestürzt; sage deinem

mitleidigen Herzen, es sey kein Schaden geschehen.
Miranda.
O! unglüklicher Tag!
Prospero.
Kein Unglük. Was ich gethan habe, hab' ich aus Fürsorge
für dich gethan, für dich, meine Theure, meine Tochter, die du nicht
weißst, wer du bist, oder von wannen ich hieher kam, noch daß ich
etwas bessers bin als Prospero, Herr über eine armselige Celle, und
dein nicht grösserer Vater.
Miranda.
Mir fiel niemals ein, mehr wissen zu wollen.

Prospero.
Es ist Zeit, daß ich dir mehr entdeke. Lehne mir deine Hand,
und ziehe mir dieses magische Gewand ab; so!
(er legt seinen Mantel hin)
lige hier, meine Kunst--Wische du deine Augen, beruhige dich. Dieses
fürchterliche Schauspiel des Schiffbruchs, welches ein so zärtliches
Mitleiden in deinem Herzen erregt hat, hab ich durch die Mittel, die
meine Kunst mir an die Hand giebt, so sicher angeordnet, daß keine
Seele zu Grunde gegangen ist, nein, nicht ein Haar von irgend einem
dieser Geschöpfe, deren Geschrey du hörtest, die du sinken sahst: Seze
dich nieder, denn du must nun noch mehr wissen.
Miranda.
Ihr habt oft angefangen mir sagen zu wollen, was ich sey,
aber wieder inngehalten, und mich einem eiteln Nachsinnen überlassen,
indem ihr allemal damit schlosset, halt! noch nicht--
Prospero.
Die Stund' ist nun gekommen, und es ist keine Minute mehr
zu verliehren. Höre dann und sey aufmerksam. Erinnerst du dich einer
Zeit, eh wir in diese Celle kamen? Ich denke nicht, daß du es kanst;
denn du warst damals noch nicht volle drey Jahre alt.
Miranda.
Ja, mein Herr, ich kan.
Prospero.
Wobey dann? Bey irgend einem Haus oder einer Person?
Sage mir, was es auch seyn mag, dessen Bild in deinem Gedächtniß
geblieben ist.
Miranda.
Es ist in einer tiefen Entfernung, und eher einem Traum als
einer Gewißheit gleich, was mir die Erinnerung vorstellt. Hatte ich
nicht einst vier oder fünf Weiber, die mir aufwarteten?
Prospero.
Du hattest, und mehr, Miranda. Aber wie kommt es, daß
diß noch in deinem Gemüthe lebt? Was siehst du noch mehr in dem
tiefen Abgrund der verflossenen Zeit? Wenn du dich noch an etwas
erinnerst, eh du hieher kamst, so wirst du dich auch erinnern, wie du
hieher kamst.

Miranda.
Nein, das thue ich nicht.
Prospero.
Es sind nun zwölf Jahre seit dieses geschah, Miranda;
zwölf Jahre, seit der Zeit, da dein Vater Herzog von Meiland und ein
mächtiger Fürst war.
Miranda.
Mein Herr, seyd ihr dann nicht mein Vater?
Prospero.
Deine Mutter war ein Muster der Tugend, und sie sagte, du
seyest meine Tochter; und dein Vater war Herzog von Meiland, und du
seine einzige Erbin.
Miranda.
O Himmel! Was für ein schlimmer Streich trieb uns von
dannen? Oder war es unser Glük, daß es geschah?
Prospero.
Beydes, beydes, mein Mädchen! Durch einen schlimmen
Streich, wie du sagst, wurden wir von dort vertrieben, und glüklicher
Weise hieher gerettet.
Miranda.
O! mein Herz blutet, wenn ich an die Sorgen denke, die ich
euch in einer Zeit gemacht haben werde, an die ich mich nicht mehr
besinnen kan. Ich bitte euch, fahret fort.
Prospero.
Mein Bruder, und dein Oheim, Antonio genannt, (ich bitte
dich, merke auf)--daß ein Bruder fähig seyn konnte, so treulos zu
seyn!-- Er, den ich, nächst dir selbst, über alle Welt liebte, und dem ich
die Verwaltung meines Staats anvertraute, der damals unter
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