die 
Beziehungen, in die es im Kunstwerke verflochten erscheint.
Dagegen hebt jede Einmischung eines Gedankens, der sich auf das 
bezieht, was außerhalb des Kunstwerkes liegt, jede Herzubringung 
eines Interesses außer dem Interesse am Kunstwerk selbst und seinem 
Inhalte das eigentliche Wesen des Kunstwerkes auf. Die Vermengung 
ist nicht klüger als die von Traum und Wirklichkeit, der Versuch vor 
allem, "trostreiche" Gedanken für die Wirklichkeit aus dem 
Kunstwerke zu ziehen, nicht geistreicher als der Versuch, das Kapital, 
das man im Traume gewonnen, im wachen Leben auf Zinsen zu legen. 
Doch weiter. Aus gewissen Bedingungen folgt jedesmal in der 
Tragödie das Preisgeben des Daseins seitens des Helden. Er wendet 
sich vom Leben--wenn er es thut--nicht auf Grund einer 
philosophischen Reflexion über die Vortrefflichkeit der Nichtexistenz, 
sondern weil ein großes Leid, ein unlösbarer Konflikt über ihn 
hereingebrochen ist. Warum dies? 
Man sagt uns, der Held müsse durch die Unlösbarkeit des Konfliktes 
erst dazu gebracht werden, die Welt zu überwinden, die instinktive 
Todesfurcht abzuschütteln, das Nichtsein begehrenswert zu finden. Wie 
ihm das Leiden, so solle uns der Anblick des Leidens die 
Vortrefflichkeit des Nichtseins im Vergleich zu den Leiden des Daseins 
zum Bewußtsein bringen. Auch sei die Preisgabe des Lebens für den 
Helden erst auf Grund der Unlösbarkeit des Konfliktes verzeihlich. 
Denn von Hause aus habe der Einzelne die Pflicht sich dem Leben und 
seinen Aufgaben zu erhalten, obgleich diese Aufgaben zuletzt auf 
nichts anderes hinauslaufen, als darauf, auch die übrige Welt zur 
Abkehr vom Leben reif zu machen. 
Aber ist damit nicht die ganze "tröstliche Aussicht" wiederum 
illusorisch gemacht? Angenommen der Held entschlösse sich zur 
Preisgabe des Daseins ohne besondere Veranlassung, etwa unter 
Recitation einiger "Lichtstrahlen" aus pessimistischen Werken. Dann 
könnten wir vielleicht aus seinem Verhalten die tröstliche Zuversicht 
gewinnen, daß auch uns, denen einstweilen die besondere Veranlassung 
fehlt, ein gleiches Verhalten möglich sei. Wie aber, wenn das Gegenteil 
dieser Annahme stattfindet? 
Daß die Veranlassung zur Preisgabe des Daseins beim Helden der
Tragödie eine besondere, daß die Bedingungen seines Unterganges 
außerordentliche zu sein pflegen, das tut ja doch wohl keine Frage. 
Man hat sogar diese Besonderheit oder Außerordentlichkeit über 
Gebühr gesteigert. Der tragische Konflikt, sagte man, setze jederzeit 
eine "Überhebung" seitens des Helden voraus. Dies bezweifle ich. Ich 
wüßte wenigstens nicht, worin die Überhebung einer EMILIA 
GALOTTI bestehen sollte. Aber lassen wir diesen Punkt hier noch 
unentschieden. Uns genügt, daß unter Voraussetzung gewisser, nicht 
alltäglicher Bedingungen, und nur unter Voraussetzung derselben, der 
tragische Held sich vom Leben abzuwenden pflegt. 
Diese Bedingungen müssen gewiß, so wenig alltäglich immer, 
mögliche und naturgemäße, sie müssen "normale" Bedingungen sein. 
Ob sie dagegen irgend einmal wirklich waren, oder größere oder 
geringere Aussicht haben, wirklich zu werden, hat wiederum mit dem 
Kunstwerke nichts zu thun. Angenommen aber, wir können es nun 
einmal nicht lassen, in die Phantasiewelt des Kunstwerkes die wirkliche 
Welt hineinzumengen, insbesondere Nutzanwendungen auf uns selbst 
zu machen. Dann ist zum mindesten gefordert, daß die Nutzanwendung 
dem entspreche, woraus sie gezogen ist. Nun liegt im Gedanken, daß 
wir können, was der Held kann, ein Vergleich des Helden mit uns. 
Dieser Vergleich hat, wie bei Vergleichen üblich, auch seine Kehrseite. 
Der unlösbare Konflikt besteht jetzt für uns nicht. Wir müssen auch die 
Möglichkeit, bzw. die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit 
zugeben, daß die Bedingungen, die ihn notwendig herbeiführen, für uns 
nicht eintreten werden. Natürlich muß dieser Gedanke unsere 
"tröstliche Zuversicht" stören. Die Möglichkeit oder 
Wahrscheinlichkeit, daß wir nie in eine Lage kommen werden, in der 
die Abwendung vom Leben auch für uns unvermeidlich und darum 
verzeihlich wäre, die uns zugleich von der "instinktiven Todesfurcht" 
befreite, so daß wir das Nichtsein dem Dasein auch praktisch vorziehen 
könnten, diese Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit muß uns sogar mit 
umso größerem Schmerz und Neid erfüllen, je tröstlicher jene 
"tröstliche Aussicht" für uns sein würde. 
Daran ändert auch die Behauptung nichts, daß in jedem Menschen 
Konflikte "ruhen", die ihrer Natur nach unversöhnlich sind, und daß es
nur der Zufälligkeit der Verhältnisse zu danken sei, wenn sie nicht zum 
Ausbruch kommen. Denn die ruhenden, nicht aufgebrochenen 
Konflikte, das sind eben doch Konflikte, die thatsächlich nicht bestehen. 
Vielleicht brechen sie einmal aus. Aber die Unsicherheit, ob sie 
ausbrechen werden, ob wir also Aussicht haben, es dem Helden einmal 
nachmachen zu können oder nicht, das Hangen und Bangen zwischen 
dieser Aussicht und der gänzlichen Aussichtslosigkeit muß uns in einen 
Zustand marternder Unruhe versetzen, der erst recht das Gegenteil ist 
von der erhebenden Wirkung des tragischen Kunstwerks. 
Lassen wir auch diesen Punkt. Wenn wenigstens die Voraussetzung 
dieser wunderbaren Theorie zuträfe; wenn wenigstens der Held der 
Tragödie wirklich überall resigniert vom Leben sich abkehrte. 
Thatsächlich ist ja auch dies nicht der Fall. Oder wo ist in 
ANTIGONEs herzzerreißender Klage, daß sie das Leben verlassen 
müsse, diese Abkehr? Wo ist die Resignation, das Abschütteln der 
Todesfurcht, das Wegwerfen des Daseins als eitel und wertlos? Was 
kann es auch nur für einen Sinn haben, von    
    
		
	
	
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