Abwesenheit der Bewegung, Mangel des 
Lebens, also Tod, Starrheit, gleichförmiges Einerlei. Solcher Ruhe 
"erfreut" sich der Stein gegenüber der Pflanze, die durch Entziehung 
der Wärme erstarrte Natur gegenüber der lebendigen. Ein ander Mal ist 
"Ruhe" gleichbedeutend mit "Ausruhen". Solches Ausruhen ist nicht 
Mangel des Lebens, sondern ungestörter Ablauf desselben; nicht 
aufgehobene Bewegung, sondern ungetrübtes Gleichmaß vorhandener 
Bewegung. Jene Ruhe hat nichts Erfreuliches; mit Bewegung und 
Leben ist ja auch das Fühlen aufgehoben. Diese schließt eine eigene 
und beglückende Art des Lebens- und Selbstgefühls in sich. Nur wenn 
man mit logischer Taschenspielerkunst jenem negativen Begriff der 
Ruhe diesen positiven Begriff unterschiebt, kann man auch jenen mit 
scheinbarem positivem Inhalte erfüllen. 
Noch schlimmer steht es mit den anderen, an Stelle des "Nichts"
gesetzten Begriffen. Aufgehobene Disharmonie ist nicht ohne weiteres 
Harmonie, sie ist an sich bloß nicht vorhandene Disharmonie, Leere, 
ein Nichts an Stelle der Disharmonie. Nicht, wo nichts mehr erklingt, 
sondern wo Klänge ungestört zusammenklingen, ist Harmonie. Und 
solche Harmonie muß da sein, wo Disharmonie in Harmonie 
"aufgelöst" werden soll. Ohne die nachfolgende Harmonie ist die 
"Auflösung" ein leeres Wort, eine sonderbare Erschleichung.--Und 
nicht anders ist es mit dem "Frieden", der "Versöhnung". Ich frage, ist 
es recht, solchen Begriffsbetrug zu üben? Oder wie glaubt man 
dergleichen logischen Leichtsinn verantworten zu können? 
Jener "Weltanschauung" aber soll nun auch die Tragödie zur 
Bestätigung dienen. Wir erfahren: in der Tragödie vollziehe der Held 
die Abwendung vom Dasein und Leben; daraus gewinne der Zuschauer 
den Trost, daß auch ihm ein Gleiches zu thun offen stehe. Die Tragödie 
erschließe so dem Geiste "seine wahre Heimat und die Aussicht auf den 
stillen Hafen hinter der sturmbewegten See des Lebens." 
Hier haben wir zunächst neue Worte an Stelle des "Nichts". Schade, 
daß sie, so poetisch auch immer, und so wohlgeeignet die Leere des 
Nichts gefällig zu verschleiern, doch auch nicht das Nichts in ein Etwas, 
wohl gar in ein beglückendes Etwas zu verwandeln vermögen. Man 
könnte meinen, trotz der schönen Worte bleibe der Gedanke an jene 
Leere vielmehr der erschrecklichsten einer, und jene "trostreiche" 
Aussicht sei alles eher als trostreich. 
Doch streiten wir darüber nicht.--Der Zuschauer soll jenen trostreichen 
Gedanken haben. Gemeint kann aber doch wohl nur der Zuschauer sein, 
der an die pessimistische Lehre glaubt, und auch der nur unter der 
Voraussetzung, daß er im Trauerspiel, das ja von allerlei redet, nur 
nicht von ihm und seinen persönlichen und realen Interessen, noch die 
Zeit findet, zu diesen Interessen abzuschweifen. Oder wo pflegen 
Tragödien von Zuschauern und ihren Wünschen und Aussichten zu 
handeln? Welche Tragödie fällt so aus der Rolle? 
Ich fürchte nicht, daß man den Sinn und die Bedeutung dieser Frage 
verkenne. Die Fabel mag ausdrücklich enden mit dem "Fabula docet", 
der Nutzanwendung, die sich an den Leser oder Hörer wendet; das
Gleichnis mag sagen: "Gehe hin und thue desgleichen". Und wenn sie 
es nicht ausdrücklich thun, so sollen wir doch die Lehre oder 
Nutzanwendung aus ihnen ziehen. Beide sind eben Belehrungen in 
künstlerischer Form, nicht reine Kunstwerke. Dagegen will das reine 
Kunstwerk nicht belehren, am wenigsten über unsere "Aussichten". 
Oder was würde man sagen, wenn jemand aus dem Lustspiel, in dem 
der Held durchs große Loos aus materieller Not befreit wird, den 
tröstlichen Gedanken zöge, daß auch ihm dergleichen begegnen könne. 
Was würde man sagen, wenn er uns gar erklärte, dieser tröstliche 
Gedanke sei eben der Grund und eigentliche Inhalt seines 
Kunstgenusses? Nun, genau dasselbe muß man von demjenigen sagen, 
der den Genuß am tragischen Kunstwerk auf irgend welche trostreiche 
Aussicht gründet, die er für sich daraus zieht. 
Das darstellende Kunstwerk will wirken durch das, was es darstellt, 
durch die Gestalten, die es uns vorführt, und das, was diese Gestalten 
innerhalb des Kunstwerkes,--nicht irgend jemand sonst, am wenigsten 
wir selbst, außerhalb desselben,--sind und denken, thun und erleiden. 
In die Gestalten, in ihr Denken, Thun und Leiden sollen wir uns in 
unserer Phantasie hineinversetzen und unser reales Ich mit seinen 
Wünschen und Aussichten, und damit zugleich die ganze sonstige Welt 
der Wirklichkeit nicht hineinmengen, sondern vergessen. Die Welt des 
darstellenden Kunstwerkes ist nicht eine wirkliche, sondern eben eine 
dargestellte; eine Welt der bloßen Vorstellung, der Phantasie, des 
Scheins. Sie ist jedesmal eine Welt für sich, von der Welt, in der wir 
existieren, durch eine absolute Kluft getrennt. Diese Welt und sie allein 
geht uns an, wenn wir uns dem Kunstwerk hingeben; aus ihr allein 
können wir schöpfen, was wir aus dem Kunstwerke schöpfen wollen. 
Es besteht aber gerade das Besondere des darstellenden Kunstwerkes, 
dasjenige, was es vor dem Schönen der Wirklichkeit jederzeit voraus 
hat, darin, daß es eine solche Welt für sich bildet, aller wirklichen Welt 
transcendent, völlig losgelöst von unseren Wirklichkeitsinteressen; es 
ist das Auszeichnende des Genusses am darstellenden Kunstwerke, daß 
das Schöne in ihm zur Geltung kommt und wirkt, wie es an sich ist, 
genossen wird in dem Werte, den es an sich hat, nur verflochten in    
    
		
	
	
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