tiefste Vergangenheit, so ein gelehrtes Wissen von 
nicht gewöhnlichem Umfang verratend. Er sprach von Apoll, wie
dieser bei Laomedon und Admetos die Herden besorgte, ein Knecht 
und ein Hirte war. »Ich möchte wohl wissen, mit welchem Instrument 
er damals seinen Herden Musik machte.« Und als wenn er von etwas 
Wirklichem spräche, schloß er: »Bei Gott, ich hätte ihm gerne 
zugehört.« Das waren die Augenblicke, in denen der zottige Anachoret 
vielleicht den Eindruck erwecken konnte, als wären seine 
Verstandeskräfte nicht eben ganz lückenlos. Andrerseits erfuhr der 
Gedanke eine gewisse Rechtfertigung, als er bewies, wie vielfältig eine 
Herde durch Musik zu beeinflussen und zu leiten sei. Mit einem Ton 
jagte er sie empor, mit anderen brachte er sie zur Ruhe. Mit Tönen 
holte er sie aus der Ferne, mit Tönen bewog er die Tiere, sich zu 
zerstreuen oder, an seine Fersen geheftet, hinter ihm drein zu ziehen. 
Es kamen auch Besuche vor, bei denen fast nichts geredet wurde. Einst, 
als die drückende Hitze eines Juninachmittags bis auf die Almen des 
Generoso gestiegen war, befand sich Ludovico, von seinen lagernden, 
wiederkauenden Herden umgeben, ebenfalls liegend, in einem Zustand 
seliger Dämmerung. Er blinzelte nur den Besucher an und veranlaßte 
ihn durch einen Wink, sich ebenfalls ins Gras zu strecken. Er sagte 
dann unvermittelt, nachdem dies geschehen war und beide eine Weile 
schweigend gelagert hatten, in schleppendem Tone etwa dies: 
»Sie wissen, daß Eros älter als Kronos und auch mächtiger ist. -- 
Fühlen Sie diese schweigende Glut um uns? Eros! -- Hören Sie, wie die 
Grille feilt? Eros!« -- In diesem Augenblick jagten einander zwei 
Eidechsen und huschten blitzschnell über den Liegenden weg. Er 
wiederholte: »Eros! Eros!« -- Und als ob er das Kommando dazu 
gegeben hätte, erhoben sich jetzt zwei starke Böcke und griffen 
einander mit den gewundenen Hörnern an. Er ließ sie gewähren, 
obgleich der Kampf immer hitziger wurde. Das Klappern der Stöße 
erklang immer lauter und ihre Zahl nahm immer zu. Und wieder sagte 
er: »Eros! Eros!« 
Und nun drangen an das Ohr des Besuchers zum erstenmal Worte, die 
ihn ganz besonders aufhorchen ließen, weil sie einigermaßen über die 
Frage Licht verbreiteten oder wenigstens zu verbreiten schienen, 
warum Ludovico im Volksmund »der Ketzer« hieß. »Lieber,« sagte er,
»will ich einen lebendigen Bock oder einen lebendigen Stier, als einen 
Gehängten am Galgen anbeten. Ich lebe nicht in der Zeit, die das tut. 
Ich hasse, ich verachte sie. Jupiter Ammon wurde mit Widderhörnern 
dargestellt. Pan hat Bocksbeine, Bacchus hat Stierhörner. Ich meine 
den Bacchus Tauriformis oder Tauricornis der Römer. Mithra, der 
Sonnengott, wird als Stier dargestellt. Alle Völker verehrten den Stier, 
den Bock, den Widder und vergossen im Opfer sein heiliges Blut. Dazu 
sage ich: ja! -- denn die zeugende Macht ist die höchste Macht, die 
zeugende Macht ist die schaffende Macht, Zeugen und Schaffen ist das 
gleiche. Freilich, der Kultus dieser Macht ist kein kühles Geplärr von 
Mönchen und Nonnen. Ich habe einmal von Sita, dem Weibe Vichnus, 
geträumt, die unter dem Namen Rama ein Mensch wurde. Die Priester 
starben in ihren Umarmungen. Ich habe da vorübergehend etwas von 
allerlei Mysterien gewußt: dem Mysterium der schwarzen Zeugung im 
grünen Gras, von dem der perlmuttfarbenen Wollust, der Entzückungen 
und Betäubungen, vom Geheimnis der gelben Maiskörner, aller Früchte, 
aller Schwellungen, aller Farben überhaupt. Ich hätte brüllen können im 
Wahnsinn des Schmerzes, als ich der unbarmherzigen, allmächtigen 
Sita ansichtig wurde. Ich glaubte zu sterben vor Begier.« 
Während dieser Eröffnung kam sich der Schreiber dieser Zeilen wie ein 
unfreiwilliger Horcher vor. Er stand auf, mit einigen Worten, die 
glauben machen sollten, daß er das Selbstgespräch nicht gehört habe, 
sondern mit seinen Gedanken bei anderen Dingen gewesen sei. Danach 
wollte er sich verabschieden. Ludovico ließ es nicht zu. Und so begann 
denn auf der Bergterrasse abermals eine Gasterei, deren Verlauf aber 
diesmal bedeutsam und unvergeßlich war. 
Der Besucher wurde gleich bei der Ankunft in die Wohnung, den 
Innenraum des schon geschilderten Würfels, eingeführt. Er war 
quadratisch, sauber, hatte einen Kamin und glich dem schlichten 
Arbeitszimmer eines Gelehrten. Vorhanden war Tinte, Feder, Papier 
und eine kleine Bücherei, hauptsächlich griechischer und lateinischer 
Schriftsteller. »Warum soll ich es Ihnen verhehlen,« sagte der Hirt, 
»daß ich aus guter Familie bin, eine mißleitete Jugend und gelehrte 
Bildung genossen habe. Sie werden natürlich wissen wollen, wie ich 
aus einem unnatürlichen Menschen ein natürlicher, aus einem
gefangenen ein freier, aus einem zerstörten und verdrossenen ein 
glücklicher und zufriedener geworden bin? Oder wie ich mich selbst 
aus der bürgerlichen Gesellschaft und der Christenheit ausgeschlossen 
habe?« Er lachte laut. »Vielleicht schreibe ich einmal die Geschichte 
meiner Umwandlung«. Der Besucher, dessen Spannung aufs höchste 
gestiegen war, fand sich plötzlich wiederum weit vom Ziele 
verschlagen. Es konnte ihm dabei wenig helfen, daß der Gastfreund 
zum Schluß erklärte, die Ursache seiner Erneuerung sei: er bete 
natürliche Symbole an. Im Schatten des Felsens, auf der Terrasse, am 
Rande der überfließenden Wanne war, in köstlicher    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
