Steige hat die 
Sorge und das Leid zum Schlosse gefunden. Er war ein gar 
lebensfreudiger Herr gewesen, der neben dem Fürsten sitzen durfte und 
dessen Schimmel gleich hinter des Kaisers Rappen in das Geschirr 
schäumte, wenn sie prächtig zum Reichstage ritten. Dann hatte ihn eine 
edle Fürstentochter zum Gatten erwählt, und sie hatten ein glückliches 
Jahr in dem weißen Schlosse verlebt und der Forst hatte Ja und Amen 
dazu gerauscht: bis die Tochter Berta geboren ward, ein glückliches 
Ereignis und doch allen Elends Anfang. Denn die junge Mutter verfiel 
in eine schwere, hitzige Krankheit, aus der ihr Leib genas, indes ihr 
Gemüt verwirrt blieb in einer tiefen Schwermut, daraus sie nie wieder 
genesen sollte. 
Sie saß die erste Zeit nach ihrer Krankheit trübselig auf ihrem Lager, 
auf ihre entstellten, schlaffen Brüste niederstarrend oder im Spiegel die 
verlorene Frische ihrer Wangen suchend, als könnte ihre Schönheit 
unmöglich wiederkehren: so tiefe Runen hatten die Schmerzen der 
Geburt und die Leiden ihres Siechtums in ihr zartes, mondscheinblasses 
Gesicht geschrieben. Dann lachte sie traurig auf und barg sich hinter 
dem Linnen, wenn der Graf sie besuchen kam und wollte sich um 
keinen Preis zeigen: so häßlich schien sie sich, so zerstört deuchte sie 
ihr Liebesglück, so abscheulich ihr Körper und ihr Antlitz, daß sie
immer wieder aufjammerte, nun werde der Graf sein Liebesverlangen 
bei schöneren Frauen stillen. Und einmal ward sie von der Amme 
überrascht, da sie sich eben über die Wiege des Kindes beugte mit 
funkelnden, rachegierigen Augen, und dann blitzschnell den Säugling 
in die Höhe hob, wohl um ihn an der Wand zu zerschmettern. Da war 
ihr die starke Bauernmagd noch rechtzeitig in die Arme gefallen und 
hatte das Kind gerettet. Die Gräfin aber wurde von dem Tage an in 
einen fernen Teil des Schlosses gebracht und dort wohl bewacht, daß 
sie nicht mehr zum Kinde kommen konnte. 
Dort lebte die Kranke denn die jungen Jahre ihres Lebens dahin mit der 
Wärterin und späterhin mit der Amme, da das Kind ihrer nicht mehr 
bedurfte, trübselig vor sich hinstarrend und immer seltener in einen 
jener fürchterlichen Wutausbrüche verfallend, daraus sie noch elender 
und siecher hervorging. 
So daß die mutterlose Berta eine traurige und liebeleere Kindheit 
verträumte. 
Denn der Graf hatte wohl die ersten Monate in inniger, liebreicher 
Teilnahme sein verwirrtes Ehegemahl betreut, da er jeden Morgen von 
neuem gehofft hatte, der böse Schleier, der sich um ihr Gemüt gelegt 
hatte, müsse sich endlich heben und die Augen der Gräfin wieder klar, 
heiter und warm zu ihm emporblicken. Aber Tag um Tag, Woche um 
Woche verging, aus den Augen der Kranken starrte ihn ein 
schreckhaftes Nichterkennen, eine böse Angst an, und der Sonnenstrahl, 
der ihre einst so schönen, blauen Augen traf, wurde fahl und grau, 
wenn er aus ihren düsteren Augensternen zurückkehrte; so daß der 
Jammer mit knochigen Fingern immer fester des Grafen Herz umkrallte, 
bis daß er hoffnungslos, gleichgültig und endlich fast feindselig sich 
gegen sein Weib auflehnte und immer seltener das Gemach der 
Kranken aufsuchte. 
Zu Berta hatte er eine verwitwete Verwandte ins Schloß berufen, die in 
Trauerkleidern das verschüchterte Kind leitete und die auch das 
Trauerkleid von ihrer Seele nicht abstreifen konnte, so liebevoll und 
zart sie auch mit dem Kinde umging. Und in den ersten Jugendjahren 
war es für das Kind immer noch ein Fest, wenn die Amme einmal
herüberkam und mit ihr schön tat. Denn der Vater verstand die holde 
Kunst schlecht, eines Kindes Seele zu eröffnen und ihr ein Lachen, ein 
Jubeln, ein Jauchzen zu entlocken, das die eigene Seele wieder jung zu 
machen und ihre Flügel zu lösen vermag. 
So war das Kind zehn Jahre alt geworden und ein kluges, stilles und 
verträumtes Kind mit den tiefsten und klarsten blauen Kinderaugen und 
sah versonnen und traumverloren in die Welt, die ihr aus Zimmern, 
seltsamen Menschen und Waldesrauschen bestand und darin ihr, ohne 
daß sie wußte was, etwas fehlte, das ihre Augen hätte aufleuchten 
lassen. Und es war wieder einmal die Amme bei ihr gewesen und hatte 
ihr abergläubische und wunderbare Märchen erzählt bis in die 
Dämmerung. Berta hatte sich an ihre Kniee geschmiegt und sie 
hundertmal umarmt und ihr immer wieder verstohlen zugeflüstert: 
»Ach, Amme, du bist gut!« Bis einer der Diener von der Gräfin drüben 
sie holte; die sei wieder schlimm geworden. Da war die Amme 
davongeeilt, um nach ihrer Kranken zu schauen. Und hatte nicht 
gemerkt, daß das Kind, durch das Dunkel und die Märchen verwirrt, ihr 
nachschlich, wohl weil seine Liebe es der guten Amme nachdrängte, 
vielleicht auch, weil es etwas ahnte oder fürchtete in seinem erwachten 
Kinderherzen, ein tiefes Geheimnis, das man ihm verbarg, und das es 
entdecken wollte. 
So geschah es, daß Berta auf dem dunklen Gange durch die verbotene 
Tür schlüpfte und plötzlich in einem hohen, erleuchteten Zimmer stand, 
darin eine große Frau mit aufgelösten Haaren schreiend und 
händeringend umherirrte und sich dann    
    
		
	
	
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