Myrtenkrönchen; 
sie hatte ein grünes Gewand an, mit Silber gestickt, und ihre Hände 
gefaltet wie ein Engelchen. Lange betrachtete er seine Freundin und
Lehrerin mit stummen Erstaunen, dann konnte er seine Freude nicht 
mehr fassen, er brach in lautem Jubel aus und rief: "O Tugend! o 
Weisheit! wie schön ist deine Gestalt; wer kann leben ohne dich, wenn 
er dich einmal erblickte." Dann ergriff er ihre Hand und steckte ihr 
seinen Siegelring an den Finger und sprach: "Erwache, o meine 
holdselige Freundin! nimm meinen Thron und meine Hand und 
verlasse mich nie wieder." Da erwachte das Myrtenfräulein, und als es 
das Licht erblickte, errötete es über und über, und blies die Lampe aus. 
Dann klagte sie, daß er sie gefangen habe, und sagte, daraus wird gewiß 
Unglück kommen; aber der Prinz bat sie so sehr um Vergebung, bis sie 
ihm verzieh und versprach, die Fürstin seines Landes zu werden, wenn 
ihre Eltern es erlaubten, er sollte nur alle Anstalten zur Hochzeit 
machen und dann ihre Eltern fragen; bis dahin sollte er sie aber nicht 
wiedersehen. Der Prinz willigte in alles ein und fragte sie, wie er sie 
rufen solle, wenn er alle Anstalten getroffen habe, und sie sagte: 
"Befestige eine kleine Silberglocke an die Spitze meines Bäumchens, 
und sobald du klingelst, werde ich erscheinen." Nun zerriß sie das Netz, 
der Baum rauschte, und fort war das Myrtenfräulein. 
Der Tag war kaum angebrochen, als der Prinz auch schon alle seine 
Minister und Räte zusammenberief und ihnen bekannt machte, daß er 
sich nächstens zu vermählen gedenke und daß sie alle Anstalten zu dem 
prächtigsten Hochzeitsfeste treffen sollten, das jemals im Land 
gewesen. Die Räte waren sehr erfreut darüber und fragten ihn 
untertänigst um den Namen der Braut, damit sie ihren Namenszug bei 
der Illumination anbringen könnten. Da sagte der Prinz: "Der erste 
Buchstabe ihres Namens ist M und es sollen beim Feste überall 
Myrtenzweige hingemalt werden, wo es sich schickt." Da wollten die 
Herren ihn schon verlassen, als plötzlich eine Botschaft kam, daß ein 
wildes Schwein in dem fürstlichen Tiergarten toll geworden wäre und 
in dem darin befindlichen gläsernen Lusthause alles chinesische 
Porzellan zertrümmert habe; es sei äußerst nötig, es sogleich zu erlegen, 
damit es nicht andere Schweine beiße und auch toll mache, welche 
dann leicht die ganze Stadt Porzellania über den Haufen werfen 
könnten. Da durfte der Prinz nicht länger zaudern; er befahl seinen 
Räten, einstweilen die Hochzeit zuzubereiten, und zog mit seinen 
Jägern hinaus auf die Jagd.
Als der Prinz aus dem Schloß ritt, lagen die neun bösen Fräulein, 
welche sich nicht mit gefreut hatten, als Myrte so feierlich in die Stadt 
gebracht wurde, sehr schön geputzt am Fenster, in der Hoffnung, der 
Prinz werde sie bemerken und grüßen; aber vergebens, wenn sie sich 
gleich so weit herauslegten, daß sie leicht hätten auf die Straße fallen 
können: der Prinz tat nicht, als wenn er sie bemerkte. Hierüber 
aufgebracht, kamen sie zusammen und faßten den Entschluß, sich zu 
rächen. Die Geschichte mit dem tollgewordenen wilden Schwein war 
auch nur von ihnen ausgesprengt, damit der Prinz, der sich gar nicht 
mehr sehen ließ, über die Straße reiten sollte: sie hatten das chinesische 
Porzellan in dem Lusthaus durch ihre Diener zerschlagen lassen. Als 
sie eben versammelt waren, trat der Vater der Ältesten, der einer der 
Minister war, herein, und machte den Damen bekannt, sie möchten sich 
zum Hochzeitsfest des Prinzen vorbereiten; der Prinz werde eine 
Prinzessin M. heiraten, auch sei von vielen Myrtenverzierungen bei der 
Illumination die Rede. Kaum waren sie wieder allein, als sie ihrem 
ganzen Zorn den Lauf ließen; denn sie hatten sich alle neun eingebildet, 
den porzellanenen Thron zu besteigen. Sie ließen sich einen Maurer 
kommen, der mußte ihnen einen unterirdischen Gang bis in die Stube 
des Prinzen machen; denn sie wollten sehen, wen er dort versperrt habe. 
Als der Gang fertig war, beredeten sie noch ein zehntes junges Fräulein, 
der sie jedoch ihr Vorhaben verschwiegen, mitzugehen, welche es auch 
tat, doch nur aus Neugier und nicht aus bösem Willen; sie nahmen sie 
aber nur mit, um sie dort zurückzulassen, als habe sie alles getan. 
Hierauf begaben sie sich in einer Nacht mit Laternen versehen durch 
den Gang in die Stube des Prinzen und suchten alles durch, sehr 
verwundert, nichts Besonderes darin zu finden außer der Myrte. An 
dieser ließen sie nun allen ihren Grimm aus, rissen ihr Zweige und 
Blätter ab, und als sie auch den Wipfel herunterrissen, klingelte das 
Glöckchen, und das Myrtenfräulein, welches glaubte, es sei dies das 
Zeichen zu ihrer Hochzeit, trat plötzlich in dem schönsten Brautkleide 
aus der Myrte. Anfangs verwunderten sich die bösen Geschöpfe, aber 
bald waren sie einig, dieses müßte die künftige Fürstin sein, und somit 
fielen sie über sie her und ermordeten sie auf die unbarmherzigste 
Weise, indem sie das arme Myrtenfräulein mit ihren Messern in viele 
kleine Stücke zerhackten; jede nahm sich einen    
    
		
	
	
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