Finger von dem armen 
Myrtenfräulein mit; nur das zehnte Fräulein hatte nicht mitgeholfen
und nur immer gejammert und geweint, wofür sie sie dann einsperrten 
und nun auf demselben Wege entwichen. 
Als der Kammerdiener des Prinzen, welchem dieser bei Lebensstrafe 
befohlen hatte, die Myrte täglich zu begießen und täglich die Stube 
aufzuräumen, als wenn der Prinz da wäre, zu seiner Verrichtung 
hereintrat, war sein Entsetzen unbeschreiblich, da er das zerfleischte 
Myrtenfräulein in dem Blute an der Erde herumliegen und den 
Myrtenbaum zerknickt und entblättert sah. Er wußte nicht, was dies 
sein konnte, denn er wußte von dem Myrtenfräulein nichts; da erzählte 
ihm das junge Fräulein, welches weinend in einer Ecke saß, alles. Sie 
nahmen unter bittern Tränen alle Glieder und Knochen der 
Unglücklichen zusammen und begruben sie unter dem zerstörten 
Myrtenbaum in das Gefäß, so daß alles einen kleinen Grabhügel bildete; 
sodann wuschen sie den Boden so rein sie konnten, und begossen den 
Baum mit dem blutverschmierten Wasser, räumten die Stube auf, 
schlossen sie zu, und flohen in großer Angst miteinander; doch nahm 
das Fräulein eine Locke der unglücklichen Gemordeten zum Andenken 
mit. 
Unterdessen waren die Vorbereitungen zu der Hochzeit beinahe fertig, 
und der Prinz, der das wilde Schwein vergebens aufgesucht hatte, 
kehrte nach der Stadt zurück. Sein erster Gang war zu dem guten 
Töpfer und seiner Frau, welchen er seine Geschichte mit dem 
Myrtenfräulein erzählte und sie um die Hand ihrer Tochter bat. Die 
guten Leute waren vor Entzücken fast außer sich, als sie vernahmen, 
daß in ihrem Myrtenbaum ihnen eine Tochter erwachsen sei, und 
wußten nun, warum sie denselben so ungemein liebgehabt hatten. 
Freudig willigten sie in die Bitte des Prinzen ein und begleiteten ihn in 
das Schloß, um ihre wunderbare Tochter zu sehen. Als sie nun 
zusammen in das Zimmer traten, wo die Myrte stand, sahen ihre Augen 
ein trauriges Schauspiel:--am Boden noch viele blutige Spuren, und der 
geliebte Baum entblättert und verletzt, neben ihm aber ein Grabhügel. 
Der Prinz rief, der Töpfer rief, die Töpferin rief: "O meine geliebte 
Braut! o mein teures Kind! mein einziges liebes Töchterchen! o wo bist 
du, laß dich sehen vor deinen unglücklichen Eltern!" Aber nichts rührte 
sich, und ihre Verzweiflung war unbegrenzt. Die drei armen
Unglücklichen saßen nun ganze Tage und begossen den Myrtenbaum 
mit ihren Tränen, und das ganze Land war bestürzt und traurig. 
Unter solchen Schmerzen pflegten und warteten der Prinz und der 
Töpfer nebst seiner Frau den kranken Myrtenbaum aufs zärtlichste, und 
er begann wieder Zweige zu treiben, worüber sie sehr erfreut wurden, 
und er war schon wieder ganz hergestellt, nur fehlten ihm an dem 
Wipfel einige Blätter und an einem seiner beiden Hauptäste die 
äußersten fünf Sprossen und an dem andern vier, neben welchen der 
fünfte zu keimen anfing. Diesen fünften Sproß beobachtete der Prinz 
alle Tage, und wie entzückt war er nicht, als er eines Morgens diesen 
Sproß ganz erwachsen und den Ring, den er dem Myrtenfräulein 
gegeben, an demselben wie an einem Finger befestigt sah. Sein 
Entzücken war unbeschreiblich; denn er glaubte nun, das 
Myrtenfräulein müsse noch leben. In der nächsten Nacht saß er mit 
dem Töpfer und der Töpferin bei dem Baum, und sie flehten die Myrte 
so zärtlich um ein Lebenszeichen an, daß der Baum endlich zu säuseln 
begann und folgende Worte sang: 
Habt Erbarmen, An zwei Armen Fehlen mir neun Fingerlein. Lieber 
Prinz! in deinem Reiche Wachsen jetzt neun Myrtenzweige, Und sie 
sind mein Fleisch und Bein. Habt Erbarmen, Schafft mir Armen 
Wieder die neun Fingerlein. 
Der Prinz und die Eltern waren durch dies traurige Lied sehr gerührt, 
und der Prinz ließ den andern Tag im ganzen Lande bekanntmachen, 
wer ihm die schönsten Myrtenzweige bringe, den wolle er mit seiner 
königlichen Hand belohnen. Dieses kaum auch zu den Ohren der 
Mordfräulein, welche die arme Myrte so schrecklich gemartert hatten, 
und sie waren sehr froh darüber: denn sie hatten die neun Finger des 
Myrtenfräuleins, jede den ihren, in einen Topf mit Erde vergraben, und 
es waren kleine Myrtensprosse daraus erwachsen. Sie putzten sich 
gleich schön an und kamen eine nach der andern mit ihren 
Myrtenzweigen ins Schloß; denn sie glaubten, die Worte des Prinzen 
wollten soviel sagen, als wolle er die Überbringerin der schönsten 
Myrte heiraten. Der Prinz ließ ihnen die Myrtenzweige abnehmen und 
versprach ihnen seiner Zeit Antwort sagen zu lassen; sie möchten sich
nur zum Feste vorbereiten. Als er nun alle die neun Zweige neben den 
großen Baum gestellt hatte, sprach die Stimme aus dem Baum: 
Willkomm, willkomm, neun Zweigelein! Willkomm, willkomm, neun 
Fingerlein! Willkomm, willkomm, mein Fleisch und Bein! Willkomm, 
willkomm, zum Topf herein! 
Da begrub der Prinz die neun Zweige und die neun Finger unter die 
Myrte, welche noch denselben Tag die neun fehlenden Sprossen trieb. 
Nun aber kam noch das jüngste Fräulein, welche nur die Haarlocke 
genommen und ihr den Ringfinger gelassen hatte, und warf sich dem 
Prinzen zu Füßen und    
    
		
	
	
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