Mitschuld nötigt. Denn in 
gewissem Sinn ist das Drogenproblem tatsächlich nur ein 
besonders markantes Symptom dafür, daß wir Älteren - 
allgemein gesprochen - nur mangelhaft dazu in der Lage sind, 
die nachwachsende Generation von den Chancen einer sinn- 
vollen menschlichen Erfüllung in unserer Gesellschaft zu 
überzeugen, die wir ihnen präsentieren. Es sind ja nicht die 
Kinder, die aus freien Stücken in die Drogenszene oder in 
fragwürdige Jugendsekten davonlaufen, sondern es ist die 
Generation der Eltern, die ihnen - obschon ungewollt und 
unbewußt - die soziale Entfaltung und die Unterstützung 
versagt, welche die Kinder schließlich in jenen Subkulturen 
suchen. Weithin ist es üblich, die Kinder gar nicht mehr mit 
ihren Problemen wahrzunehmen und ihnen zuzuhören. Statt 
dessen beschweren die Eltern ihrerseits die Kinder immer 
mehr mit den unbewältigten eigenen Konflikten, welche die 
Kinder mittragen oder, oft sogar, stellvertretend für die Eltern 
lösen sollen. An Christiane z. B. ließe sich sehr genau
psychologisch nachzeichnen, wie das Mädchen unbewußt von 
Mutter und Vater deren Ressentiments und deren ungestillte 
Sehnsuchtsträume übernimmt - und schließlich an dieser 
Überlastung auf andere Art als die Eltern scheitern muß. 
Grundfalsch ist jedenfalls die Unterstellung, die Kinder berei- 
teten sich ihre ausweglose Isolation erst mit ihrem Abtauchen 
in die »Szene«. Die Isolation bestand immer schon vorher. 
Nicht eine irgendwie geartete Kommunikationsunwilligkeit 
der Kinder steht also am Anfang, sondern gerade umgekehrt 
die schmerzhafte Entbehrung einer verläßlichen Verbunden- 
heit mit denen, auf deren Zuwendung und Halt sie angewiesen 
wären. 
Aber man macht es sich wiederum zu leicht, wenn man nur 
diese Mutter und jenen Vater persönlich anprangert. Durch 
die Eltern hindurch und aus dem weiteren sozialen Umfeld 
wirken viele übergreifende Umstände als schädliche Ursachen 
mit: Verhängnisvoll ist, wie es Christiane mit seltener Prä- 
gnanz beschreibt, eine Stadtplanung, die den Kommunika- 
tionszerfall unter den Menschen geradezu systematisch pro- 
grammiert. Die Betonwüsten vieler moderner »Sanierungsge- 
biete« stapeln Menschen in einer ganz und gar künstlichen, 
kalten, maschinenhaften Umwelt, die alle Konflikte, welche 
die meisten Familien ohnehin hierher mitschleppen, katastro- 
phal verschärft. Gropiusstadt ist nur ein Beispiel für zahlrei- 
che lediglich nach technisch funktionalen Prinzipien, aber an 
den emotionalen menschlichen Bedürfnissen vorbeigeplanten 
Neubausiedlungen, die als Brutstätten für psychische Krank- 
heiten und Verwahrlosung wirken und nicht zufällig zu 
Brennpunkten von kindlichem Drogenelend und Alkoholis- 
mus geworden sind. Hinzu tritt dann der Faktor eines 
strukturlosen Massenbetriebes in den Schulen, bestimmt 
durch Anonymität, Isolation und brutales hektisches Konkur- 
rieren. Und wenn dann impulsive Kinder, die sich nicht 
resignativ und abgestumpft fügen können, heimlich in eine 
träumerisch verklärte Nebenwelt flüchten und nur noch 
äußerlich formal an den familiären und schulischen Ritualen 
teilnehmen, dann fallen sie damit oft kaum auf. Es ist überaus 
charakteristisch, wie lange Christiane unbemerkt ihr Doppel- 
leben führen und mit ihrer Scheinanpassung diejenigen täu- 
schen kann, die zu dieser Zeit immer noch große Chancen
gehabt hätten, sie durch energisches hilfreiches Zugreifen vor 
dem vollständigen Absacken zu bewahren. 
Hier ist der eine Punkt, der zu den praktischen Lehren führt, 
die dieser beklemmende Bericht vermitteln sollte: Fast immer 
verläuft das Abgleiten als ein allmählicher, langdauernder 
Prozeß, der Eltern und Lehrern an sich genügend Anhalts- 
punkte dafür liefern könnte, sich hilfreich einzuschalten. Es 
wäre in jedem Fall zu merken, wenn Kinder nicht mehr »ganz 
da« sind und nur noch äußerlich automatenhaft im familiären 
Betrieb mitspielen; wenn sie allmählich denen »fremd« er- 
scheinen, die sich vorher sicher gefühlt hatten, zu spüren, was 
im kindlichen Inneren vor sich geht. Dann kommt es freilich 
darauf an, ob Eltern, Lehrer, Heimerzieher den inneren 
Rückzug der Kinder als etwas Gefährliches erkennen wollen 
oder ob sie die partielle Abwendung etwa ganz gern wegen 
des Vorteils übersehen, von solchen Kindern nicht mehr mit 
besonderen belastenden Ansprüchen behelligt zu werden. 
Der nächste Punkt betrifft das Angebot rascher und gründli- 
cher Therapie im frühestmöglichen Stadium. Wenn Eltern, 
Berater oder Therapeuten und möglichst auch Lehrer eng 
miteinander in einem konsequenten Betreuungskonzept zu- 
sammenarbeiten, ist eine Behandlung in Form einer »Fami- 
lientherapie« in einer frühen Gefährdungsphase, in der noch 
keine körperliche Abhängigkeit besteht, durchaus aussichts- 
reich. Natürlich ist Therapie erst recht notwendig, obschon 
zunehmend schwierig, wenn erst einmal eine echte Fixierung 
an harte Drogen vorliegt. Und es ist ein unverantwortlicher 
Mißstand, wie sehr die Schaffung geeigneter Therapieeinrich- 
tungen und die Förderung vorhandener bewährter Therapie- 
angebote vernachlässigt wird. Die von gewisser politischer 
Seite propagierte Strategie des »Drogenknasts«, die lediglich 
auf Einsperren und Verwahren setzt (wie es heute bereits 
massenhaft geschieht), bedeutet nichts anderes als eine end- 
gültige zynische Aufgabe der jungen Menschen. Trotz aller 
therapeutischen Probleme gibt es für eine humane Gesell- 
schaft keine Alternative zu einer Mobilisierung aller erdenkli- 
chen sinnvollen Hilfen zu einer Behandlung der Drogen- 
krankheit. Es gibt genügend Erkenntnisse, wie man die 
Motivation Betroffener stärken und wie man schließlich 
Motivierte durch Langzeittherapie in bestimmten Modellen
von therapeutischen Wohngemeinschaften oder Heimen 
selbst aus einer desolaten Verfassung wieder herausführen 
kann. Freilich geht es in vielen Fällen um nichts weniger, als 
junge Menschen    
    
		
	
	
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