nur daß 
ich das Kind hatte, das nichts von dem Jammer begriff, außer daß es 
schlecht aß und über Tag heiß hatte; aber dennoch sang es, um mich 
lustig zu machen, daß mich's vollends angriff, die Tränen zu verhalten. 
Erst im dritten Monat wurden wir herausgeholt, es hieß, der Glasbläser 
Orso Danieli sei in Mailand am Fieber gestorben, und wir könnten nach 
Hause gehen. Ich habe es auch von anderen gehört--aber wer das glaubt, 
kennt die Signoria nicht. Gestorben? Stirbt man auch, wenn man Frau 
und Kind unter den Bleidächern sitzen hat und sie herausholen soll? 
Und was meint Ihr, daß aus Eurem Mann geworden sei? fragte der 
Fremde. 
Sie sah mit einem Blick ihm ins Gesicht, der ihn daran gemahnte, daß 
die arme Frau lange Wochen unter den Bleidächern gelebt hatte. Es ist 
nicht richtig, sagte sie. Mancher lebt und kommt doch nicht wieder, 
und mancher ist tot und kommt doch wieder. Aber davon wollen wir 
schweigen. Ja, wenn ich es Euch sagte, wer steht mir dafür, daß Ihr 
nicht hingeht und es vor dem Tribunal ausplaudert? Ihr seht aus wie ein 
Galantuomo; aber wer ist noch rechtschaffen heutzutage? Von tausend 
einer, von hundert keiner. Nichts für ungut, Herr Andrea, aber Ihr wißt 
wohl, wie es in Venedig heißt: 
Mit Lug und Listen kommt man aus, Mit List und Lügen hält man 
haus. 
Es entstand eine Pause. Der Fremde hatte längst den Teller 
weggeschoben und der Witwe gespannt zugehört. 
Ich verdenke es Euch nicht, sagte er, daß Ihr mir Eure Geheimnisse 
nicht anvertrauen wollt. Sie gehen mich auch nichts an, und zu helfen 
wüßt' ich Euch ohnedies nicht. Aber wie kommt es, Frau, daß Ihr dieses 
Tribunal, unter dem Ihr so viel gelitten, dennoch Euch gefallen lasset, 
Ihr und alles Volk in Venedig? Denn ich weiß zwar wenig, wie es hier 
aussieht--ich habe mich nie in politische Fragen vertieft--aber so viel 
habe ich doch gehört, daß erst im vorigen Jahr hier ein Tumult war, um 
das heimliche Tribunal abzuschaffen, daß einer vom Adel selbst 
dagegen auftrat und der Große Rat eine Kommission wählte, die Sache 
zu bedenken, und alles in Bewegung geriet für und wider. Ich hörte 
davon sogar in meiner Schreibstube zu Brescia. Und als endlich alles
beim alten blieb und die Macht des heimlichen Gerichts fester 
gegründet stand als je, warum zündete da das Volk Freudenfeuer an auf 
den Plätzen und verhöhnte die vom Adel, die gegen das Tribunal 
gestimmt hatten und nun seine Rache fürchten mußten? Warum war 
niemand, der es hinderte, daß die Inquisitoren ihren kühnen Feind nach 
Verona verbannten? Und wer weiß, ob sie ihn dort am Leben lassen, 
oder ob die Dolche schon geschliffen sind, die ihn für immer stumm 
machen sollen? Ich--wie gesagt--weiß nur wenig hiervon; ich kenne 
auch jenen Mann nicht, und es ist mir alles sehr gleichgültig, was hier 
geschieht, denn ich bin krank und werde es in dieser bunten Welt 
ohnehin nicht mehr lange treiben. Aber es wundert mich doch, dieses 
wankelmütige Volk zu sehen, das heute diese drei Männer seine 
Tyrannen nennt und morgen frohlockt, wenn die untergehen, welche 
der Tyrannei ein Ende machen wollten. 
Wie Ihr da redet, Herr! sagte die Witwe und schüttelte den Kopf. Ihr 
habt ihn nie gesehen, den Herrn Avogadore Angelo Querini, den sie 
verbannt haben, weil er der heimlichen Justiz den Krieg erklärte? Nun 
wohl, Herr, aber ich habe ihn gesehen und die anderen armen Leute, 
und sie sagen alle, er sei ein rechtschaffener Herr und ein großer 
Gelehrter, der Tag und Nacht die alten Geschichten von Venedig 
studiert hat und die Gesetze kennt, wie der Fuchs den Taubenschlag. 
Aber wer ihn über die Straße gehen oder im Broglio mit seinen 
Freunden stehen sah, so an die Säule gelehnt und die Augen halb 
zugedrückt, der wußte, daß er ein Nobile war von der Feder am Hut bis 
zu den Schuhschnallen, und was er gegen das Tribunal redete und 
handelte, war nicht fürs Volk, sondern für die großen Herren. Den 
Schafen aber ist es gleich, Herr Delfin, ob sie geschlachtet oder vom 
Wolf gefressen werden, und Rauft sich der Habicht mit dem Weih, Ist 
das Feld für die Hühner frei. 
Seht, Lieber, darum war die Schadenfreude groß, als das Tribunal in 
allen Rechten bestätigt wurde und nach wie vor niemandem 
Rechenschaft schulden sollte als am Jüngsten Tage dem Herrgott und 
alle Tage dem Gewissen. Im Kanal Orfano, von Hunderten, die dort ihr 
letztes Ave gebetet haben, liegen zehn von den kleinen Leuten neben 
neunzig von den großen Herren. Aber setzt den Fall, es würden adlige 
Verbrecher und bürgerliche vom Großen Rat öffentlich gerichtet und 
hingerichtet--Misericordia! wir hätten achthundert Henker anstatt drei,
und der große Dieb hängte den kleinen auf. 
Er schien etwas erwidern zu wollen, aber mit einem kurzen Auflachen, 
das die Wirtin für Zustimmung nahm, hatte es sein Bewenden. Indem 
trat Marietta wieder herein,    
    
		
	
	
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