Zur Freundlichen Erinnerung | Page 9

Oscar Maria Graf
zwitscherte eine überhelle Stimme.
"Huw, dieses Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" ließ sich
zwischendurch vernehmen. Und wieder: "Kritisch gewertet--: Eine
Glanzleistung in Regie und Spiel!" Dann das laute, aufdringliche
Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche Rüschenkleid,
Mama!--Hast du gesehen,--den Sonnenschirm!--und das
Biedermeierkostüm im dritten Akt? Entzückend!--Du Lilly, weißt du

was! So gehen wir heuer im Fasching!--Gell Mammi! Gell!"
Es plätscherte fort und fort, oben, unten, überall. Abschiednehmen,
Handküsse, Einladungen für das morgige Festessen, Lachen,
Autovor--und Abfahren--alles wie ein flimmernder Hexentanz!--
Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor gelangt.
Noch eine geschickte Finte und er hatte für heute nacht ein Dach über
dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben in seine
froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den
aufeinandergedrängten Gestalten vorbei und fühlte auf einmal Raum
und Wärme. Er lugte spähend nach dem betreßten Portier, duckte sich
mehr noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand
entlang.
Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps.
Er zerteilte sich und jäh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende
Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem
Gesicht auf ihn zu.
"Was suchen Sie denn da?--He! Sie! Sie!" schrie der Türhüter. Karl
Pruvik zog wie ein gezüchtigter Hund die Schultern hoch und verbarg
den Kopf völlig in seiner schlotternden Brust.
"Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte
ihn heftig am Arm, riß ihn zurück. Ohne Wort und ohne Abwehr ließ
sich der Eingedrungene von dem belfernden Türhüter und zwei
inzwischen herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm,
sowas?--Sich ins Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den
Stehengebliebenen und schüttelte den Kopf. Der ins Stocken geratene
Menschenhaufe bekam wieder Bewegung und drängte sich durch den
Ausgang. Die Tore schlossen sich finster. Schwätzendtrabten die
letzten Paare vorüber.
Karl Pruvik stand zögernd und benommen im glitzernden
Schneegeflock. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe
sich sein Körper, als hole er zu einem Satz aus und wolle in die
vorbeigleitenden, duftenden, rauschenden, geschwätzigen Menschen

springen, aber schließlich torkelte er doch üher die verschneite
Freitreppe hinunter und bog in die Seitengasse ein, die vom
Theaterplatz abzweigte. Ein letztes Auto surrte weg. Die Stimmen
verloren sich in der Ferne. Die erleichternde Helligkeit, die die
Beleuchtung des Theaterpalastes nach allen Seiten him verbreitet hatte,
verlosch lautlos. Es war wieder ringsherum die fahle, unwirkliche
Düsternis der Winternacht.--
Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm
ragte etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie
schwebend von der Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der
Erscheinung.
Lange ging er so.
Es mußte schon tief nach Mitternacht sein. Trist gähnten die
menschenleeren Straßen und Plätze.
Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt
verschwand zwischen den Bäumen.
In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war
viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumäste lasteten schwer herab.
Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich ließen
sich eingemummte Bänke erkennen. Auf einer solchen hockte die
zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war.
Stoisch ließ sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer
plötzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe
Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Körper aneinander. "Kalt,"
murmelte es kaum hörbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust
herabglitt.
"Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloß seine Augen. Auch
sein Kopf sank herüber auf das Genick des anderen.
Kein Schnee fiel mehr. Es war seltsam--: Jetzt, da man schonungslos
der Kälte ausgeliefert war, wußteman nicht mehr, war's eine rasende
Hitze oder eine gänzliche Eisigkeit, was in den Gliedern brütete. Der

ganze Körper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er
durch eine unsäglich friedliche Stille.... Auf einmal drückte etwas
Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch
Nebelschwaden, dann näher. Es rüttelte stärker. Das Geschrei schwoll.
Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm.
Karl Pruvik öffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne
stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte.
"He!--He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riß erregt am Arm.
"Was ist denn das! Auf! Auf!!"
Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen rührten sich,
schmerzten, als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich
wie in einem geplatzten Gipsverband klappernd von dannen.
Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, daß noch einer
neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten
die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an.
Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tür und das Licht war
aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken
gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Wärme kam
langsam. Von Zeit zu Zeit berührten sich Arm oder Fuß.
Nach langer Zeit hörte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte
Luft huschte üher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte
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