Zur Freundlichen Erinnerung | Page 3

Oscar Maria Graf
Schritte in den Raum machte. Während die Wärter die
Brotration auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne
Tasse gossen, stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und
zusammengeschrumpft da. Sie achteten nicht weiter darauf und
schlossen geräuschvoll wieder die Tür.--
Jetzt war Licht. Die Gefängnisuhr schlug sieben.
Peter schaute schüchtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging
stoisch die Wände lang. Immer zehn Schritte der Länge nach und zwölf
Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn
man Essen oder Abendbrot brachte.--
Erst als das Licht beim Hereinbruch der zweiten Nacht verlosch, legte
er sich auf die Pritsche, zog die rauhe Decke üher sich und schlief wie
immer. Jäh erwachte er in der anderen Frühe. Es war stockdunkel. Er
griff in die Gegend des Abortes, als suche er etwas oder wolle Licht
anstecken und stieß dabei so hastig an die Wand der Wasserkanne, daß

dieselbe mit einem Knall auf den Boden fiel und klatschend die
Flüssigkeit aus ihr peitschte. Erschreckt schwang sich Peter von der
Pritsche, hielt seine aufgeknöpften Kleider raffend zusammen und
lauschte aufmerksam.--
Jetzt schlug es fünf. Er atmete auf und begann unsicher und vorsichtig
umherzutasten. Auf einmal fühlte er die Nässe an seinen Füßen.
"Herrgott! Herrgott!" brummte er mürrisch und besann sich. Aber in
diesem Augenblick räkelte wer an der Tür. Ein Atmen wurde
vernehmbar, das Licht in der hohen Decke flammte auf und wieder
standen die kahlen Mauern ringsherum, das kleine Loch glotzte in den
totenstillen Raum.
"Was machen Sie denn da?!... Sind Sie ruhig!" brüllte der Wärter
draußen ärgerlich. Peters Finger streckten sich und ließen von den
Kleidern. Seine Hose fiel langsam herab. Ein Zittern schüttelte seinen
ganzen Körper.
"Es ist schon fünf Uhr vorbei, ich muß weg!" hauchte er gedämpft.
--Aber es war schon wieder dunkel. Und still.--
Erst nach einer Weile brachte Peter die Kraft auf, seine Hose
hochzuziehen, und tastete sich zur Pritsche, legte sich darauf. Sein Herz
schlug hörbar und mit jedem Uhrenschlag erregter. Um sechs Uhr
schwang er sich empor und blieb dann hölzern sitzen.
Das Licht griff endlich wieder von der hohen Decke in den Raum. Die
Tür öffnete sich unter dem Knarren der Schlüssel. Ein Wärter stellte
das Frühstück herein und der andere an der Tür warf den
Aufwischlumpen her und beide brummten und schimpften wegen des
Wasserumschüttens, hießen Peter aufwischen. Fast froh darüber ergriff
dieser den Lappen, kniete hin und wollte alles möglichst in die Länge
ziehen. Aber die Wärter zeterten und trieben zur Eile.
"Vorwärts! Vorwärts! Glauben Sie, wir sind zu Ihrer Unterhaltung
da! ... Marsch! Marsch! ... So ... fertig!"

Sie rissen ihm den Lumpen aus der Hand und waren schon draußen.
Wieder wich die Tür in die Wand zurück. Die Schlüssel knirschten.
Das Guckloch starrte wie ein gräßliches, ausgestochenes Auge in den
kahlen Raum.
Peter kniete benommen da. Lange.
Es war still! Still!!
Fürchterlich still!
Wie ein aufgescheuchtes Tier hob der Kniende plötzlich den Kopf,
schaute scheu um sich und sprang mit einem Satz an den Abort, hob
den Deckel und schloß ihn hastig wieder, hob und schloß.
Die Spülung rauschte. Auf und zu klappte der Deckel. Es krachte,
rauschte. Immer hastiger, schneller, motorisch riß Peter auf und zu, auf
und zu, immerfort, immerzu, nur um die Stille nicht mehr zu hören, hob
und deckte zu, es rauschte, rauschte--bis der Wärter schrie: "Sie!! ... Sie!
Sind Sie verrückt geworden!!--Passen Sie auf! ... Man ist schon mit
anderen fertig geworden! ... Warten Sie, Sie!!"
So erschrocken war Peter, daß er noch lange zitterte, dann ging er
hastig wieder die zehn und die zwölf Schritte. Den ganzen Tag.--
Viele, viele Tage, jedesmal um fünf Uhr früh, erwachte Peter so jäh.
Immer griff er hinüber zum Abortdeckel, wollte Licht anstecken,
sprang auf, brachte seine Kleider in Ordnung,--machte etliche Schritte,
stieß an die kalte Tür und prallte zurück.
Neunzehnunddreiviertel Jahre gleichmäßiges Aufstehen lassen sich
schließlich nicht aus der Gewohnheit auslöschen.
Um sechs Uhr pfiff es. Wenn er am Hebel stand undihn herumriß, fing
der mächtige Koloß der Fabrik zu surren an, die Riemen klatschten,
quietschten, es krachte, bebte, hämmerte....
Peter war so mit dem Kopf an die Tür gestoßen, daß er taumelnd

zurückfiel, glatt auf den Boden und liegenblieb.--
Wo!? Wo war man denn? Wo denn! Wo!!?
Auf der Welt? In der Hölle? Tief in der Erde?--
Es war still!
Nirgends war man! Nirgends! Gar nirgends!
In einem Grab, in einem luftleeren, steinernen Sarg! In einer fressenden
Stille! Und durfte langsam, ganz langsam sterben. Niemand wußte, sah
und hörte etwas. Es war still! Still!!--Still!!!
Doch--man hörte etwas, zeitweilig ein ganz fernes Klopfen, ein Kratzen
in den Wänden. Aus einer anderen Gruft vielleicht?!--Nein! Es waren
Holz--oder Mauerwürmer, die nagten, nagten, weil sie einen Kadaver
witterten.--
Die dann herabfielen wie Tropfen und langsam in den
Leibbohrten,--nagten, nagten und alles auffraßen!--
Das Licht kam wieder. Peter Windel stand
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