wenn wir den
Hasenfuß, den Physikus hier hätten, so würde der uns allen den Rang
ablaufen; ein hirschgerechterer Jäger für einen Glückwunsch und
Trinkspruch soll noch gefunden werden; aber er ist über Land geholt.«
»Und wird zu Hause meine Benachrichtigung vorfinden,« sagte
Fräulein Dorette Kristeller.
»Schön,« sprach der Förster, »unter den Umständen kriegen wir ihn
sicherlich noch zu Gesicht. Übrigens würde er es schon ganz aus
Naturanlage gewittert haben, daß wir uns hier rudelten. Bis Mitternacht
bleiben wir ja doch wohl vergnügt beisammen?«
»Natürlich! Hurra!« rief der Apotheker, und der Pastor brachte nun
wirklich in Erwartung Chinesiens, das heißt der Punschbowle, fein,
zierlich und schicklich seine Gratulation gleichfalls an.
Unterdessen hatte sich das ganze Haus mit eigentümlichen, anmutigen
Düften, die den Apothekendunst ihrerseits sieghaft bekämpften, gefüllt.
In des Hauses Küche hatte ein merkwürdig lebendiges Treiben
begonnen; allerlei Gerät rasselte und klirrte fröhlich durcheinander.
Punkt neun Uhr stand die erste dampfende Schale auf dem Tisch, und
nicht sie allein, sondern, was dazu gehörte, ebenfalls. Für fünf Minuten
fand des Apothekers Schwester nun auch Muße, sich zu den Männern
zu setzen und die ersten Belobungen derselben in Empfang zu nehmen.
Die Belobungen kamen zu rechter Zeit; aber dann trat für einige
Augenblicke das Stillschweigen ein, welches immer entsteht, wenn ein
des Nachdenkens würdiges Getränk auf den Tisch gesetzt wird. Daß
dieses Stillschweigen schnell überwunden wird und ein jeder sich
merkwürdig rasch mit der Feierlichkeit des Momentes abzufinden weiß,
ist bekannt.
»Also wirklich bereits ein volles Menschenalter!« rief der geistliche
Herr. »Ich hielt es im Anfang fast für unmöglich; aber nun, da ich im
Stillen nachgerechnet habe, finde ich und gebe zu, daß es sich in der
That also verhält. Ich hatte mich in jenem Jahre gerade mit meiner
guten Friederike in den Stand der heiligen Ehe begeben, und mein
ältester Sohn, der Inspektor, ist wahrlich seitdem bereits
achtundzwanzig Jahre alt geworden.«
»Wahrhaftig, Pastore, und wenn ich daran denke, wie Ihr schlecht bei
Leibe hier ankamt, und Euch ansehe, wie Ihr jetzo da sitzt, so brauche
ich gar nicht an den Fingern abzuzählen, um an die dreißig Jahre zu
glauben. Übrigens empfing ich euch alle hier und machte euch die
Honneurs des Ortes. Zuerst rücktet Ihr ein, Pastore, und heiratetet Eures
Vorgängers Tochter; und nachher kam der gleichfalls noch anwesende
Jubilant, um die gesunde Gegend mit seinen Pillen und Mixturen noch
gesunder zu machen. Den Doktor rechne ich gar nicht; denn ein
Mensch, der erst ein Dutzend Jahre unter uns haust, ist eben gar nicht
zu rechnen.«
»Der liebe Gott hat Euch wirklich in Eurem Einzuge gesegnet, lieber,
alter Freund,« sagte der Pastor zum Hausherrn. »Eure zwei Vorgänger
hatten mit großer Schnelligkeit in diesem Hause Bankerott gemacht;
Ihr aber hattet Glück --«
»Und Verstand,« fiel der Förster Ulebeule ein, »den richtigen Verstand
von der Sache; denn in einer so gesunden Gegend, wie die hiesige zum
Exempel, legt sich der richtige Apotheker eben auf etwas anderes, zum
Beispiel auf einen neuen Magenbitter, wie der >Kristeller< einer ist,
auf die Fruchtsäfte im Großen, auf den Weinhandel und, nicht zu
vergessen, auf den Kräuterhandel durch ganz Deutschland ins
Unermeßliche. Heute Abend ist denn im natürlichen Verlaufe der
Dinge der Alte da in seinem Schlafrocke der allereinzige von uns,
welcher es zu etwas gebracht hat. Der Doktor wird es nie zu etwas
bringen.«
Der geistliche Herr seufzte; aber der Apotheker »zum wilden Mann«,
Herr Philipp Kristeller, seufzte ebenfalls, und als gerade jetzt Wind und
Sturm stärker und böser mit Regen und Schloßen durchs Land fuhren,
sah er wie erschreckt von dem behaglichen Tisch auf das gepeitschte,
klirrende Fenster. Die alte, gute Schwester rückte dichter an ihn heran,
indem sie flüsterte:
»Liebe Herren, man muß niemandem sein Glück vorrücken, es nützt
nichts und hat schon häufig geschadet; das ist meine Meinung. Und ob
meines Bruders Glück gerade so groß gewesen ist, das steht wirklich
noch dahin. Wir haben unser Los und Leben genommen, wie es uns
gegeben wurde, das ist aber auch alles. Auf das Jubiläum aber trinke
ich doch, und jetzt will ich den Spruch ausbringen und sagen: Es lebe
die Apotheke >zum wilden Mann!<«
Sie hatte, während sie redete, die Gläser im Kreise gefüllt, und alle
stießen an, doch mit Nachdenken und Ernst, wie es sich gehörte. Herr
Philipp aber, unruhig auf seinem Stuhle hin- und herrückend, sprach
leise und mehr zu sich selber als zu den andern:
»Es ist eine Nacht dazu -- die rechte Nacht. Es ist mehr als ein
Menschenalter hingegangen, seit das, was ich mein Hauptglück nennen
sollte, an mich kam. Hört nur den Sturm da draußen, wie er sich
unbändig hat, ihr solltet kaum glauben, daß sich morgen vielleicht kein
Lüftchen regen wird, um das letzte Blatt vom Baume zu nehmen. Man
sagt, es verjähre alles; aber es ist nicht wahr. Es kommt alles wieder an
einen, der Sturmwind wie die alte Zeit.

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