lächelnde Blick sagen, daß man die Erde wohl und heiter zu 
betrachten habe; sie gibt Gelegenheit zur Nahrung; sie gewährt 
unsägliche Freuden; aber unverhältnismäßige Leiden bringt sie. Wenn 
einer sich körperlich beschädigte, verschuldend oder unschuldig, wenn 
ihn andere vorsätzlich oder zufällig verletzten, wenn das irdische 
Willenlose ihm ein Leid zufügte, das bedenk' er wohl: denn solche 
Gefahr begleitet ihn sein Leben lang. Aber aus dieser Stellung befreien 
wir unsern Zögling baldmöglichst, sogleich wenn wir überzeugt sind, 
daß die Lehre dieses Grads genugsam auf ihn gewirkt habe; dann aber 
heißen wir ihn sich ermannen, gegen Kameraden gewendet nach ihnen 
sich richten. Nun steht er strack und kühn, nicht etwa selbstisch 
vereinzelt; nur in Verbindung mit seinesgleichen macht er Fronte gegen 
die Welt. Weiter müßten wir nichts hinzuzufügen." 
"Es leuchtet mir ein!" versetzte Wilhelm; "deswegen liegt die Menge 
wohl so im argen, weil sie sich nur im Element des Mißwollens und 
Mißredens behagt; wer sich diesem überliefert, verhält sich gar bald 
gegen Gott gleichgültig, verachtend gegen die Welt, gegen 
seinesgleichen gehässig; das wahre, echte, unentbehrliche Selbstgefühl 
aber zerstört sich in Dünkel und Anmaßung. Erlauben Sie mir 
dessenungeachtet", fuhr Wilhelm fort, "ein einziges einzuwenden: Hat 
man nicht von jeher die Furcht roher Völker vor mächtigen 
Naturerscheinungen und sonst unerklärlichen, ahnungsvollen 
Ereignissen für den Keim gehalten, woraus ein höheres Gefühl, eine 
reinere Gesinnung sich stufenweise entwickeln sollte?" Hierauf 
erwiderten jene: "Der Natur ist Furcht wohl gemäß, Ehrfurcht aber 
nicht; man fürchtet ein bekanntes oder unbekanntes mächtiges Wesen, 
der Starke sucht es zu bekämpfen, der Schwache zu vermeiden, beide 
wünschen es loszuwerden und fühlen sich glücklich, wenn sie es auf 
kurze Zeit beseitigt haben, wenn ihre Natur sich zur Freiheit und
Unabhängigkeit einigermaßen wieder herstellte. Der natürliche Mensch 
wiederholt diese Operation millionenmal in seinem Leben, von der 
Furcht strebt er zur Freiheit, aus der Freiheit wird er in die Furcht 
getrieben und kommt um nichts weiter. Sich zu fürchten ist leicht, aber 
beschwerlich; Ehrfurcht zu hegen ist schwer, aber bequem. Ungern 
entschließt sich der Mensch zur Ehrfurcht, oder vielmehr entschließt 
sich nie dazu; es ist ein höherer Sinn, der seiner Natur gegeben werden 
muß und der sich nur bei besonders Begünstigten aus sich selbst 
entwickelt, die man auch deswegen von jeher für Heilige, für Götter 
gehalten. Hier liegt die Würde, hier das Geschäft aller echten 
Religionen, deren es auch nur dreie gibt, nach den Objekten, gegen 
welche sie ihre Andacht wenden." 
Die Männer hielten inne, Wilhelm schwieg eine Weile nachdenkend; 
da er in sich aber die Anmaßung nicht fühlte, den Sinn jener 
sonderbaren Worte zu deuten, so bat er die Würdigen, in ihrem 
Vortrage fortzufahren, worin sie ihm denn auch sogleich willfahrten. 
"Keine Religion", sagten sie, "die sich auf Furcht gründet, wird unter 
uns geachtet. Bei der Ehrfurcht, die der Mensch in sich walten läßt, 
kann er, indem er Ehre gibt, seine Ehre behalten, er ist nicht mit sich 
selbst veruneint wie in jenem Falle. Die Religion, welche auf Ehrfurcht 
vor dem, was über uns ist, beruht, nennen wir die ethnische, es ist die 
Religion der Völker und die erste glückliche Ablösung von einer 
niedern Furcht; alle sogenannten heidnischen Religionen sind von 
dieser Art, sie mögen übrigens Namen haben, wie sie wollen. Die 
zweite Religion, die sich auf jene Ehrfurcht gründet, die wir vor dem 
haben, was uns gleich ist, nennen wir die philosophische: denn der 
Philosoph, der sich in die Mitte stellt, muß alles Höhere zu sich herab, 
alles Niedere zu sich herauf ziehen, und nur in diesem Mittelzustand 
verdient er den Namen des Weisen. Indem er nun das Verhältnis zu 
seinesgleichen und also zur ganzen Menschheit, das Verhältnis zu allen 
übrigen irdischen Umgebungen, notwendigen und zufälligen, 
durchschaut, lebt er im kosmischen Sinne allein in der Wahrheit. Nun 
ist aber von der dritten Religion zu sprechen, gegründet auf die 
Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist; wir nennen sie die christliche, 
weil sich in ihr eine solche Sinnesart am meisten offenbart; es ist ein 
Letztes, wozu die Menschheit gelangen konnte und mußte. Aber was 
gehörte dazu, die Erde nicht allein unter sich liegen zu lassen und sich
auf einen höhern Geburtsort zu berufen, sondern auch Niedrigkeit und 
Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod als 
göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen nicht als 
Hindernisse, sondern als Fördernisse des Heiligen zu verehren und 
liebzugewinnen. Hievon finden sich freilich Spuren durch alle Zeiten, 
aber Spur ist nicht Ziel, und da dieses einmal erreicht ist, so kann die 
Mehrheit nicht wieder zurück, und man darf sagen, daß die christliche 
Religion, da sie einmal erschienen ist, nicht wieder verschwinden kann, 
da sie sich einmal göttlich verkörpert hat, nicht wieder aufgelöst 
werden mag." 
"Zu welcher von diesen Religionen bekennt ihr euch denn 
insbesondere?" sagte Wilhelm. "Zu allen dreien", erwiderten jene; 
"denn sie zusammen bringen eigentlich die wahre Religion hervor; aus 
diesen drei Ehrfurchten entspringt die oberste Ehrfurcht,    
    
		
	
	
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