West-oestlicher Divan | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
du denn: von Mund zu Ohr
Glaubst du denn: von Mund zu Ohr
Sei ein redlicher Gewinnst?

überliefrung, o du Tor,
Ist auch wohl ein Hirngespinst.
Nun geht erst das Urteil an:
Dich vermag aus Glaubensketten
Der
Verstand allein zu retten,
Dem du schon Verzicht getan.
Und wer franzet oder britet
Und wer franzet oder britet,
Italienert oder teutschet,
Einer will nur
wie der andre,
Was die Eigenliebe heischet.
Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler, noch des einen,
Wenn
es nicht am Tage fördert,
Wo man selbst was möchte scheinen.
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn
nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.
Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,

Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.

Sonst, wenn man den heiligen Koran zitierte
Sonst, wenn man den heiligen Koran zitierte,
Nannte man die Sure,
den Vers dazu,
Und jeder Moslim, wie sich's gebührte,
Fühlte sein
Gewissen in Respekt und Ruh.
Die neuen Derwische wissen's nicht besser,
Sie schwatzen das Alte,
das Neue dazu;
Die Verwirrung wird täglich größer,
O heiliger
Koran! O ewige Ruh'!
Der Prophet spricht
ärgerts jemand, daß es Gott gefallen,
Mahomet zu gönnen Schutz und
Glück,
An den stärksten Balken seiner Hallen,
Da befestig' er den
derben Strick,
Knüpfe sich daran! Das hält und trägt.
Er wird fühlen,
daß sein Zorn sich legt.
Timur spricht
Was? Ihr mißbilliget den kräftgen Sturm
Des übermuts, verlogne
Pfaffen?
Hätt Allah mich bestimmt zum Wurm,
So hätt' er mich als
Wurm geschaffen.
Buch der Sprüche
Hikmet Nameh: Buch der Sprüche
Talismane werd ich in dem Buch zerstreuen;
Das bewirkt ein
Gleichgewicht.
Wer mit gläubger Nadel sticht,
überall soll gutes
Wort ihn freuen,.
Vom heutgen Tag, von heutger Nacht
Verlange nichts,
Als was die
gestrigen gebracht.
Wer geboren in bös'sten Tagen,
Dem werden selbst die bösen
behagen.

Wie etwas sei leicht,
Weiß, der es erfunden und der es erreicht.
Das Meer flutet immer,
Das Land behält es nimmer.
Was wird mir jede Stunde so bang?--
Das Leben ist kurz, der Tag ist
lang.
Und immer sehnt sich fort das Herz,
Ich weiß nicht recht, ob
himmelwärts;
Fort aber will es hin und hin,
Und möchte vor sich
selber fliehn.
Und fliegt es an der Liebsten Brust,
Da ruht's im
Himmel unbewußt.
Des Lebens Strudel reißt es fort,
Und immer
hängt's an einem Ort,
Was es gewollt, was es verlor,
Es bleibt
zuletzt sein eigner Tor.
Prüft das Geschick dich, weiß es wohl warum:
Es wünschte dich
enthaltsam! Folge stumm!
Noch ist es Tag; da rühre sich der Mann!
Die Nacht tritt ein, wo
niemand wirken kann.
Was machst du an der Welt? Sie ist schon gemacht.
Der Herr der
Schöpfung hat alles bedacht,
Dein Los ist gefallen, verfolge die
Weise,
Der Weg ist begonnen, vollende die Reise.
Denn Sorgen
und Kummer verändern es nicht,
Sie schleudern dich ewig aus
gleichem Gewicht.
Wenn der Schwergedrückte klagt,
Hilfe, Hoffnung sei versagt,

Bleibet heilsam fort und fort
Immer noch ein freundlich Wort.
"Wie ungeschickt habt ihr euch benommen,
Da euch das Glück ins
Haus gekommen!"
Das Mädchen hat's nicht übel genommen
Und
ist noch ein paarmal wieder gekommen.
Mein Erbteil wie herrlich, weit und breit!
Die Zeit ist mein Besitz,
mein Acker ist die Zeit.
Gutes tu rein aus des Guten Liebe!
Das überliefre deinem Blut.
Und
wenn's den Kindern nicht verbliebe,
Den Enkeln kommt es doch zu

gut.
Enweri sagt's, ein Herrlichster der Männer,
Des tiefsten Herzens,
höchsten Hauptes Kenner:
"Dir frommt an jedem Ort, zu jeder Zeit

Geradheit, Urteil und Verträglichkeit."
Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,

Denen das Wesen, wie du bist,
Im stillen ein ewiger Vorwurf ist?
Dümmer ist nichts zu ertragen,
Als wenn Dumme sagen den Weisen,

Daß sie sich in großen Tagen
Sollten bescheidentlich erweisen.
Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre,
Als ich bin und als du bist,

Wir hätten beide wenig Ehre;
Der läßt einen jeden, wie er ist.
Gestehts! die Dichter des Orients
Sind größer als wir des Occidents.

Worin wir sie aber völlig erreichen,
Das ist im Haß auf
unsresgleichen.
überall will jeder obenauf sein,
Wie's eben in der Welt so geht,

Jeder sollte freilich grob sein,
Aber nur in dem, was er versteht.
Verschon uns, Gott, mit deinem Grimme!
Zaunkönige gewinnen
Stimme.
Will der Neid sich doch zerreißen,
Laß ihn seinen Hunger speisen.
Sich im Respekt zu erhalten,
Muß man recht borstig sein.
Alles jagt
man mit Falken,
Nur nicht das wilde Schwein.
Was hilft's dem Pfaffenorden,
Der mir den Weg verrannt?
Was
nicht gerade erfaßt worden,
Wird auch schief nicht erkannt.
Einen Helden mit Lust preisen und nennen
Wird jeder, der selbst als
Kühner stritt.
Des Menschen Wert kann niemand erkennen,
Der
nicht selbst Hitze und Kälte litt.

Gutes tu' rein aus des Guten Liebe!
Was du tust, verbleibt dir nicht;

Und wenn es auch dir verblieben
Bleibt es deinen Kindern nicht.
Soll man dich nicht auf's schmählichste berauben,
Verbirg dein Gold,
dein Weggehn, deinen Glauben!
Wie kommt's, daß man an jedem Orte
So viel Gutes, so viel Dummes
hört?
Die Jüngsten wiederholen der ältesten Worte
Und glauben,
daß es ihnen angehört.
Laß dich nur in keiner Zeit
Zum Widerspruch verleiten!
Weise
fallen in Unwissenheit,
Wenn sie mit Unwissenden streiten.
"Warum ist Wahrheit fern und weit?
Birgt sich hinab in tiefste
Gründe?"
Niemand versteht zur rechten Zeit!--
Wenn man zur
rechten Zeit verstünde,
So wäre Wahrheit nah und breit
Und wäre
lieblich und gelinde.
Was willst du untersuchen,
Wohin die Milde fließt!
Ins Wasser
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