Venetianische Epigramme | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
nicht; aber der Andre
Lächelt über den Ernst dieses
Gepränges gewiß.
X.
Warum treibt sich das Volk so, und schreit? Es will sich ernähren,

Kinder zeugen, und die nähren, so gut es vermag.
Merke dir,
Reisender, das, und thue zu Hause desgleichen!
Weiter bringt es kein
Mensch, stell' er sich, wie er auch will.
XI.
Wie sie klingeln, die Pfaffen! Wie angelegen sie's machen,
Daß man
komme, nur ja plappre, wie gestern so heut!
Scheltet mir nicht die
Pfaffen: sie kennen des Menschen Bedürfniß! Denn wie ist er beglückt,
plappert er morgen wie heut!
XII.
Mache der Schwärmer sich Schüler, wie Sand am Meere - der Sand ist
Sand, die Perle sey mein, du, o vernünftiger Freund!
XIII.
Süß den sprossenden Klee mit weichlichen Füßen im Frühling, Und die
Wolle des Lamms tasten mit zärtlicher Hand;
Süß voll Blüthen zu
sehn die neulebendigen Zweige,
Dann das grünende Laub locken mit
sehnendem Blick.
Aber süßer, mit Blumen dem Busen der Schäferinn
schmeicheln; Und dies vielfache Glück läßt mich entbehren der May.
XIV.
Diesem Ambos vergleich' ich das Land, den Hammer dem Herrscher:
Unter dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt.
Wehe dem
armen Blech! wenn nur willkürliche Schläge
Ungewiß treffen, und
nie fertig der Kessel erscheint.
XV.
Schüler macht sich der Schwärmer genug, und rühret die Menge, Wenn
der vernünftige Mann einzelne Liebende zählt.
Wunderthätige Bilder
sind meist nur schlechte Gemählde:
Werke des Geist's und der Kunst
sind für den Pöbel nicht da.

XVI.
Mache zum Herrscher sich der, der seinen Vortheil verstehet: Doch wir
wählten uns den, der sich auf unsern versteht.
XVII.
Noth lehrt beten, man sagt's; will einer es lernen, er gehe Nach Italien!
Noth findet der Fremde gewiß.
XVIII.
Welch ein heftig Gedränge nach diesem Laden! Wie emsig
Wägt man,
empfängt man das Geld, reicht man die Waare dahin! Schnupftaback
wird hier verkauft. Das heißt sich selber erkennen! Nieswurz holt sich
das Volk, ohne Verordnung und Arzt.
XIX.
Jeder Edle Venedigs kann Doge werden; das macht ihn
Gleich als
Knaben so fein, eigen, bedächtig und stolz.
Darum sind die Oblaten
so zart im katholischen Welschland;
Denn aus demselbigen Teig
weihet der Priester den Gott.
XX.
Ruhig am Arsenal stehn zwey altgriechische Löwen;
Klein wird
neben dem Paar Pforte, wie Thurm und Kanal.
Käme die Mutter der
Götter herab, es schmiegten sich beyde
Vor den Wagen, und sie
freuete sich ihres Gespanns.
Aber nun ruhen sie traurig; der neue
geflügelte Kater
Schnurrt überall, und ihn nennet Venedig Patron.
XXI.
Emsig wallet der Pilger! Und wird er den Heiligen finden?
Hören und
sehen den Mann, welcher die Wunder gethan?
Nein, es führte die Zeit
ihn hinweg: du findest nur Reste,
Seinen Schedel, ein Paar seiner

Gebeine verwahrt.
Pilgrime sind wir Alle, die wir Italien suchen;

Nur ein zerstreutes Gebein ehren wir gläubig und froh.
XXII.
Jupiter Pluvius, heut erscheinst du ein freundlicher Dämon; Denn ein
vielfach Geschenk gibst du in Einem Moment:
Gibst Venedig zu
trinken, dem Lande grünendes Wachsthum;
Manches kleine Gedicht
gibst du dem Büchelchen hier.
XXIII.
Gieße nur, tränke nur fort die rothbemäntelten Frösche,
Wäss're das
durstende Land, daß es uns Broccoli schickt.
Nur durchwässer' mir
nicht dies Büchlein; es sey mir ein Fläschchen Reinen Araks, und
Punsch mache sich jeder nach Lust.
XXIV.
Sanct Johannes im Koth heißt jene Kirche; Venedig
Nenn' ich mit
doppeltem Recht heute Sankt Markus im Koth.
XXV.
Hast du Bajä gesehn, so kennst du das Meer und die Fische.
Hier ist
Venedig; du kennst nun auch den Pfuhl und den Frosch.
XXVI.
Schläfst du noch immer? Nur still, und laß mich ruhen; erwach' ich,
Nun, was soll ich denn hier? Breit ist das Bette, doch leer. Ist überall ja
doch Sardinien, wo man allein schläft;
Tibur, Freund, überall, wo
dich die Liebliche weckt.
XXVII.
Alle Neun, sie winkten mir oft, ich meine die Musen;
Doch ich

achtet' es nicht, hatte das Mädchen im Schoß.
Nun verließ ich mein
Liebchen; mich haben die Musen verlassen, Und ich schielte, verwirrt,
suchte nach Messer und Strick.
Doch von Göttern ist voll der Olymp;
du kamst mich zu retten, Langeweile! du bist Mutter der Musen
gegrüßt.
XXVIII.
Welch ein Mädchen ich wünsche zu haben? Ihr fragt mich. Ich hab' sie,
Wie ich sie wünsche, das heißt, dünkt mich, mit Wenigem Viel. An
dem Meere ging ich, und suchte mir Muscheln. In einer
Fand ich ein
Perlchen; es bleibt nun mir am Herzen verwahrt.
XXIX.
Vieles hab' ich versucht, gezeichnet, in Kupfer gestochen,
Oel
gemahlt, in Thon hab' ich auch Manches gedruckt,
Unbeständig
jedoch, und nichts gelernt noch geleistet;
Nur ein einzig Talent
bracht' ich der Meisterschaft nah:
Deutsch zu schreiben. Und so
verderb' ich unglücklicher Dichter In dem schlechtesten Stoff leider
nun Leben und Kunst.
XXX.
Schöne Kinder tragt ihr, und steht mit verdeckten Gesichtern, Bettelt:
das heißt, mit Macht reden ans männliche Herz.
Jeder wünscht sich
ein Knäbchen, wie ihr das Dürftige zeiget, Und ein Liebchen, wie
man's unter dem Schleyer sich denkt.
XXXI.
Das ist dein eigenes Kind nicht, worauf du bettelst, und rührst mich; O,
wie rührt mich erst die, die mir mein eigenes
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