schöne Weibchen wiedersehen sollte. Um zehn Uhr war ich schon 
am bestimmten Orte. Ich fand die Türe, die sie mir bezeichnet hatte, 
sogleich, aber verschlossen und im ganzen Hause Licht, das sogar von 
Zeit zu Zeit wie eine Flamme aufzulodern schien. Ungeduldig fing ich 
an zu klopfen, um meine Ankunft zu melden; aber ich hörte eine 
Mannsstimme, die mich fragte, wer draußen sei. 
Ich ging zurück und einige Straßen auf und ab. Endlich zog mich das 
Verlangen wieder nach der Türe. Ich fand sie offen und eilte durch den
Gang die Treppe hinauf. Aber wie erstaunt war ich, als ich in dem 
Zimmer ein paar Leute fand, welche Bettstroh verbrannten, und bei der 
Flamme, die das ganze Zimmer erleuchtete, zwei nackte Körper auf 
dem Tische ausgestreckt sah. Ich zog mich eilig zurück und stieß im 
Hinausgehen auf ein paar Totengräber, die mich fragten, was ich suchte. 
Ich zog den Degen, um sie mir vom Leibe zu halten, und kam nicht 
unbewegt von diesem seltsamen Anblick nach Hause. Ich trank 
sogleich drei bis vier Gläser Wein, ein Mittel gegen die 
pestilenzialischen Einflüsse, das man in Deutschland sehr bewährt hält, 
und trat, nachdem ich ausgeruhet, den andern Tag meine Reise nach 
Lothringen an. 
Alle Mühe, die ich mir nach meiner Rückkunft gegeben, irgend etwas 
von dieser Frau zu erfahren, war vergeblich. Ich ging sogar nach dem 
Laden der zwei Engel; allein die Mietleute wußten nicht, wer vor ihnen 
darin gesessen hatte. 
Dieses Abenteuer begegnete mir mit einer Person vom geringen Stande, 
aber ich versichere, daß ohne den unangenehmen Ausgang es eins der 
reizendsten gewesen wäre, deren ich mich erinnere, und daß ich 
niemals ohne Sehnsucht an das schöne Weibchen habe denken 
können." 
 
Ferdinands Schuld und Wandlung 
Erzählung aus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten 
(1795) 
Man kann in Familien oft die Bemerkung machen, daß Kinder sowohl 
der Gestalt als dem Geiste nach bald vom Vater, bald von der Mutter 
Eigenschaften an sich tragen, und so kommt auch manchmal der Fall 
vor, daß ein Kind die Naturen beider Eltern auf eine besondere und 
verwundernswürdige Weise verbindet. 
Hievon war ein junger Mensch, den ich Ferdinand nennen will, ein 
auffallender Beweis. Seine Bildung erinnerte an beide Eltern, und ihre
Gemütsart konnte man in der seinigen genau unterscheiden. Er hatte 
den leichten und frohen Sinn des Vaters, so auch den Trieb, den 
Augenblick zu genießen, und eine gewisse leidenschaftliche Art, bei 
manchen Gelegenheiten nur sich selbst in Anschlag zu bringen. Von 
der Mutter aber hatte er, so schien es, ruhige überlegung, ein Gefühl 
von Recht und Billigkeit und eine Anlage zur Kraft, sich für andere 
aufzuopfern. Man sieht hieraus leicht, daß diejenigen, die mit ihm 
umgingen, oft, um seine Handlungen zu erklären, zu der Hypothese 
ihre Zuflucht nehmen mußten, daß der junge Mann wohl zwei Seelen 
haben möchte. 
Ich übergehe mancherlei Szenen, die in seiner Jugend vorfielen, und 
erzähle nur eine Begebenheit, die seinen ganzen Charakter ins Licht 
setzt und in seinem Leben eine entschiedene Epoche machte. 
Er hatte von Jugend auf eine reichliche Lebensart genossen, denn seine 
Eltern waren wohlhabend, lebten und erzogen ihre Kinder, wie es 
solchen Leuten geziemt, und wenn der Vater in Gesellschaften, beim 
Spiel und durch zierliche Kleidung mehr, als billig war, ausgab, so 
wußte die Mutter als eine gute Haushälterin dem gewöhnlichen 
Aufwande solche Grenzen zu setzen, daß im Ganzen ein Gleichgewicht 
blieb und niemals ein Mangel zum Vorschein kommen konnte. Dabei 
war der Vater als Handelsmann glücklich; es gerieten ihm manche 
Spekulationen, die er sehr kühn unternommen hatte, und weil er gern 
mit Menschen lebte, hatte er sich in Geschäften auch vieler 
Verbindungen und mancher Beihülfe zu erfreuen. 
Die Kinder, als strebende Naturen, wählen sich gewöhnlich im Hause 
das Beispiel dessen, der am meisten zu leben und zu genießen scheint. 
Sie sehen in einem Vater, der sichs wohl sein läßt, die entschiedene 
Regel, wornach sie ihre Lebensart einzurichten haben, und weil sie 
schon früh zu dieser Einsicht gelangen, so schreiten meistenteils ihre 
Begierden und Wünsche in großer Disproportion der Kräfte ihres 
Hauses fort. Sie finden sich bald überall gehindert, um so mehr, als 
jede neue Generation neue und frühere Anforderungen macht und die 
Eltern den Kindern dagegen meistenteils nur gewähren möchten, was 
sie selbst in früherer Zeit genossen, da noch jedermann mäßiger und
einfacher zu leben sich bequemte. 
Ferdinand wuchs mit der unangenehmen Empfindung heran, daß ihm 
oft dasjenige fehle, was er an seinen Gespielen sah. Er wollte in 
Kleidung, in einer gewissen Liberalität des Lebens und Betragens 
hinter niemanden zurückbleiben, er wollte seinem Vater ähnlich 
werden, dessen Beispiel er täglich vor Augen sah und der ihm doppelt 
als Musterbild erschien: einmal als Vater, für den der Sohn gewöhnlich 
ein günstiges Vorurteil hegt, und dann wieder, weil der Knabe sah, daß 
der Mann auf diesem Wege ein vergnügliches und genußreiches Leben 
führte und dabei von jedermann geschätzt und geliebt wurde. Ferdinand 
hatte hierüber, wie    
    
		
	
	
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