Dieser Bursche hier, Lord Timon, dieser dein Diener 
besucht des Nachts mein Haus. Ich bin ein Mann, der von der Jugend 
an sich Müh gegeben hat, etwas zu erwerben, und mein Vermögen 
erheischt einen gewichtigern Erben, als einen der auf einem hölzernen 
Teller ißt. 
Timon. Gut; was weiter? 
Alter Athenienser. Ich hab' eine einzige Tochter, und sonst keinen 
Anverwandten, dem ich vermachen könnte was ich erworben habe. Das 
Mädchen ist hübsch, so jung als eine Braut seyn kan, und ich habe 
keine Kosten gespart, sie zu den besten Eigenschaften zu erziehen. 
Dieser dein Diener bewirbt sich um ihre Liebe; ich bitte dich, edler 
Lord, vereinige dich mit mir, ihm ihren Umgang zu untersagen; ich 
selbst hab' es fruchtlos gethan. 
Timon. Der Mann ist ein ehrlicher Mann. 
Alter Athenienser. So wird er's auch hierinn seyn, Timon. Seine 
Ehrlichkeit belohnt ihn durch sich selbst, sie soll ihm nicht meine 
Tochter kuppeln. 
Timon. Liebt sie ihn?
Alter Athenienser. Sie ist jung und mannbar; unsre eigene ehmalige 
Leidenschaften lehren uns, wie leichtsinnig die Jugend ist. 
Timon (zu Lucilius.) Liebt ihr das Mädchen? 
Lucilius. Ja, mein Gnädiger Herr, und sie ist es zufrieden. 
Alter Athenienser. Wenn sie einander ohne meine Einwilligung 
heurathen, so rufe ich die Götter zu Zeugen, daß ich meinen Erben aus 
den Bettlern auf der Strasse wählen, und ihnen alles entziehen will. 
Timon. Wieviel soll sie zum Brautschaz haben, wenn sie einen Mann 
heurathete, der ihr an Vermögen gleich wäre? 
Alter Athenienser. Drey Talente fürs Gegenwärtige, und künftig alles. 
Timon. Dieser wakere Mann hat mir lange gedient; um sein Glük zu 
machen, will ich mich ein wenig angreiffen; es ist eine Pflicht der 
Menschlichkeit. Gieb ihm deine Tochter; so viel du ihr giebst, will ich 
ihm auch geben, um zu machen, daß er so viel wägen soll als sie. 
Alter Athenienser. Sehr edler Lord, verspreche mir das auf euer 
Ehrenwort, so soll er sie haben. 
Timon. Hier hast du meine Hand, mein Ehrenwort ist mein 
Versprechen. 
Lucilius. Ich danke Euer Gnaden demüthigst; nimmer möge mir das 
Glük gedeyhen, welches ich nicht eurer Güte schuldig zu seyn erkenne. 
(Lucilius und der Alte Athenienser gehen ab.) 
 
Poet. Nehmet diese Arbeit so gütig auf, als die Wünsche, die ich für 
Euer Gnaden langes Leben thue. 
Timon. Ich danke euch, ihr sollt gleich mehr von mir hören; geht nicht 
weg-- Was habt ihr hier, mein Freund?
Mahler. Ein Gemählde, welches ich Euer Gnaden bitte anzunehmen. 
Timon. Mahlerey ist mir allezeit willkommen. Seitdem die Falschheit 
mit der Natur des Menschen ein Gewerbe treibt, ist ein gemahlter 
Mensch soviel als ein natürlicher; gemahlte Figuren sind gerade das, 
wofür sie sich geben. Euer Werk gefällt mir, und ihr sollt finden, daß es 
mir gefällt; wartet, bis ihr wieder von mir hört. 
Mahler. Die Götter erhalten euch! 
Timon. Lebt wol, mein Herr; gebt mir eure Hand, wir müssen heute mit 
einander zu mittagessen. Mein Herr, euer Juweel hat von allzugrossem 
Lob gelitten. 
Juweelen-Händler. Wie, Milord? Ist es mißfällig? 
Timon. Es ist mir bis zum Ekel angepriesen worden. Wenn ich es 
bezahlen sollte, wie es geschäzt wird, so müßte ich mich zu Grunde 
richten. 
Juweelen-Händler. Gnädiger Herr, es ist so geschäzt wie diejenige, die 
es verkauffen, es gerne gäben; ihr wißt aber wol, daß Dinge von 
gleichem Werth, wenn sie ungleiche Eigenthümer haben, nach ihren 
Besizern geschäzt werden; glaubt mir, Gnädiger Herr, das Juweel 
würde einen noch grössern Werth erhalten, wenn ihr es trüget. 
Timon. Ihr scherzet mit mir, mein guter Mann. 
Kauffmann. Nein, Gnädiger Herr, er redt nur die gemeine Sprache, die 
alle Leute mit ihm reden. 
Timon. Seht, wer hier kommt--Wollt ihr ausgescholten seyn? 
 
Dritte Scene. (Apemanthus)* (zu den Vorigen.) 
{ed.-* Sehet diesen Character eines Cynikers, sehr fein vom Lucian in 
seinem Ausruf der Philosophen gezeichnet, und wie gut Shakespear ihn
copirt hat. Warbürton.} 
Juweelen-Händler. Wir wollen's mit Euer Gnaden theilen. 
Kauffmann. Er wird keinen verschonen. 
Timon. Guten Morgen, mein angenehmster Apemanthus. 
Apemanthus. Warte du auf einen Gegengruß, bis ich angenehm werde. 
Poet. Wenn werden wir das Glük haben, das zu erleben? 
Apemanthus. Wenn du Timons Hund seyn wirst, und diese Schelmen 
ehrlich. 
Timon. Warum nennst du sie Schelme? Du kennst sie nicht. 
Apemanthus. Sind sie nicht Athenienser? 
Timon. Ja. 
Apemanthus. So nehm' ich mein Wort nicht zurük. 
Juweelen-Händler. Ihr kennt mich, Apemanthus. 
Apemanthus. Du weißst daß ich dich kenne, ich nannte dich bey 
deinem Namen. 
Timon. Du bist stolz, Apemanthus. 
Apemanthus. Auf nichts so sehr, als das ich dem Timon nicht ähnlich 
bin. 
Timon. Wo willt du hin? 
Apemanthus. Einem ehrlichen Athenienser das Hirn ausschlagen. 
Timon. Das wär' eine That, wofür du sterben müßtest.
Apemanthus. Richtig, wenn das Gesez eine Todesstrafe auf nichts thun 
sezt. 
Timon. Wie gefällt dir dieses Gemählde, Apemanthus? 
Apemanthus. Am besten, weil es nichts böses thut. 
Timon. Arbeitete der nicht gut, der es mahlte? 
Apemanthus. Der arbeitete noch besser, der den Mahler machte; und 
doch ist    
    
		
	
	
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