Timon von Athen | Page 2

William Shakespeare
seht diesen Zusammenfluß, diese grosse Fluth von
Besuchern--Ich habe in diesem rohen Werk einen Mann entworffen,
den diese Unterwelt mit überschwenglicher Hochachtung umfaßt, und
in die Arme schließt. Meine freye Absicht hält keinen besondern Lauf,
sondern bewegt sich selbst in einer weiten See von Wachs; keine
gesäurte Bosheit vergiftet ein einziges Comma in dem Lauf den ich
halte: sondern er fliegt einen Adler-Flug, kühn, in einem fort, und läßt
keine Spur zurük.
Mahler. Wie soll ich euch verstehen?
Poet. Ich will es euch aufrigeln. Ihr seht wie alle Stände, wie alle Arten
von Leute, sowohl die von glatter und schlüpfriger als die von spröder
und herber Beschaffenheit, ihre Dienste zu den Füssen des Lord Timon
legen: Sein grosser Reichthum, der an seiner leutseligen und gütigen
Gemüthsart hängt, überwältigt alle Arten von Herzen, und macht sie zu
seinen freywilligen Unterthanen; ja, von dem Spiegelartigen
Schmeichler bis zum Apemanthus, der wenige Dinge so sehr liebt als
sich selbst zu verabscheuen; aber auch dieser gießt sich auf die Knie
vor ihm hin, und kehrt vergnügt, und durch ein Kopfniken des Timons,
in seinen Gedanken, höchst glüklich von ihm zurük.

Mahler. Ich sah sie mit einander reden.
Poet. Ich dichte also das Glük, auf einem hohen und anmuthigen Hügel
gethront. Der Fuß des Berges ist mit allen Arten von Personen und
Verdiensten dicht umgeben, die sich bestreben sich auf dem Busen
dieser Sphäre festzusezen. Unter allen diesen Wesen, deren Augen auf
diese allgewaltige Beherrscherin geheftet sind, personificire ich einen
in Timons Gestalt, den Fortuna mit ihrer elfenbeinernen Hand zu sich
winkt, und durch diese Gunst in ebendemselben Augenblik alle seine
Nebenbuhler zu seinen Dienern und Sclaven macht.
Mahler. Eine mahlerische Idee! Dieser Thron, diese Fortuna und dieser
Hügel, mit einem Manne, dem aus den übrigen untenstehenden
emporgewinkt wird, und der sein Haupt gegen den schrofen Berg beugt,
um zu seinem Glük hinaufzuklettern, würde, nach unsrer Kunst, wohl
ausgesonnen seyn.
Poet. Nein, hört mich nur weiter: Alle diese, die so kürzlich erst seines
gleichen waren, einige besser als er, folgen in diesem Augenblik seinen
Schritten, drängen sich aufwartsam um ihn her, regnen flüsternde
Schmeichlereyen in sein Ohr, machen sogar seine Schuhriemen zu
einem Heiligthum, und trinken die freye Luft durch ihn.
Mahler. Zum Henker, was wollt ihr mit diesen?
Poet. Sobald nun Fortuna, in einem Anstoß von Wankelmuth den, der
kaum ihr Liebling war, mit Füssen tritt; so seht ihr, wie alle seine
Verehrer, die mit Knien und Händen sich auf den Gipfel des Berges
hinaufarbeiteten, ihn hinunter schlüpfen lassen, ohne daß nur ein
einziger seinen ausglitschenden Fuß begleiten wollte.
Mahler. Das ist gemein; ich kan euch tausend moralische Gemählde
zeigen, die dergleichen plözliche Glüks-Streiche weit lebhafter
vorstellen sollen, als Worte. Doch thut ihr wohl, dem Lord Timon zu
zeigen, daß es schon begegnet ist, daß erniedrigte Augen den Fuß über
dem Kopf gesehen haben. * Unser Autor hat, wie der Augenschein
zeigt, seinen Poeten in diesem Stüke zu einem schlechten Kerl gemacht.
Damit sein Charakter aber nicht der Profeßion selbst nachtheilig sey, so

hat er ihn zu einem eben so schlechten Poeten gemacht, als er ein
schlechter Mann ist. Ein untrügliches Kennzeichen von dem falschen
Geschmak und unreiffen Urtheil, so er ihm beylegt, ist seine Liebe zu
allem was seltsam, erstaunlich und abentheurlich, und eine Verachtung
alles dessen, was gewöhnlich oder der Natur gemäß ist. Warbürton.
(Inspicere tanquam in speculum jubeo)-- (Terent.)

Zweyte Scene. (Trompeten. Timon tritt auf, und wendet sich auf eine
leutselige Art an die verschiednen Personen, die ihm die Aufwartung
machen.)
Timon (zu einem Boten.) Er sizt im Gefängniß, sagt ihr?
Bote. Ja, gnädiger Herr; Seine Schulden belauffen sich auf fünf Talente,
seine Mittel sind sehr knapp, seine Glaubiger sehr dringend; er bittet
euch, an diejenige, die ihn eingesezt haben, zu seinem Behuf zu
schreiben, und würde ohne allen Trost seyn, wenn ihr ihm diese Gunst
versagen würdet.
Timon. Der edle Ventidius! Gut! Ich bin nicht von der Art, meinen
Freund zu verlassen, wenn er meiner am meisten nöthig hat. Ich weiß,
er ist ein Edelmann, der wohl verdient, daß man ihm aushelfe; ich will
es thun, ich will die Schuld bezahlen, und ihn befreyen.
Bote. Euer Gnaden verpflichtet sich ihn auf ewig.
Timon. Empfehlt mich ihm; ich will ihm seine Ranzion schiken, und
ihn, wenn er wieder frey seyn wird, zu mir einladen. Es ist nicht genug,
dem Schwachen aufzuhelfen, man muß ihm auch den Arm zum Gehen
leyhen. Lebt wohl.
Bote. Ich wünsche Euer Gnaden tausend Wohlergehen.
(Geht ab.)
(Ein alter Athenienser tritt auf.)

Alter Athenienser. Lord Timon, hört mich reden.
Timon. Rede frey, mein guter alter Vater.
Alter Athenienser. Du hast einen Diener, namens Lucilius.
Timon. So ist's; was soll er dann?
Alter Athenienser. Sehr edler Timon, laß diesen Mann sogleich vor
dich kommen.
Timon. Ist er hier oder nicht?--Lucilius!--(Lucilius tritt auf.)
Lucilius. Hier, was befehlen Euer Gnaden?
Alter Athenienser.
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