Siegfried, der Held | Page 2

Rudolph Herzog
greulichen
Lindwurm, im Berge gehütet wurden und der erobernden Heldenfaust
harrten.
Da ward's dem lauschenden Knaben heiß und hoch zu Sinn, und er fand
in der Nacht keinen Schlaf und stand auf, kleidete sich an und trat vors
Burgtor. Hui, riß ihm der Sturmwind die Mütze vom Kopf, und er lief
mit dem Sturmwind um die Wette, sie zu fangen, und jagte durch die
schauernden Wiesen in die nachtdunklen Wälder hinein, die sich
unermeßlich dehnten und in denen es schrie, jauchzte und winselte von
tausend Stimmen der Nacht.
Siegfried aber lachte, daß es durch den Wald hallte, denn das gefiel ihm
wohl. Und er packte einen jungen Eichbaum, bog ihn nieder, riß ihn
mitsamt der Wurzel aus und erschlug mit ihm, was sich in der
Finsternis gegen ihn warf: einen schnaufenden Eber mit gleißenden
Hauern, ein gewaltiges Einhorn mit glühenden Augen und eine
Schlange, deren Lindwurmkopf rote Flammen und giftgrüne Dämpfe
spie.
Und Siegfried schrie in den Sturm hinein: »Das ist ein Leben! Ha, das
ist ein Leben!«
Die Nebel brodelten auf, zerfetzten sich in den Kronen der Bäume und
ließen den dämmernden Tag in den Wald hinein. Siegfried schaute sich
um. Er mußte über die Grenze in ein fremdes Land geraten sein, denn
er fand sich nicht mehr zurecht. Das machte ihn noch einmal von
Herzen lachen, denn nun konnte er wohl seine Tapferkeit vor den
Menschen beweisen. Aber wie er weiter und weiter durch Dickicht und
Gestrüpp den Weg sich bahnte, verspürte er plötzlich einen Hunger, der

immer grimmiger in ihm wütete. Da lugte er, wo er den höchsten Baum
fände, und kletterte bis in den Wipfel, Ausschau nach einer
Menschensiedelung zu halten, und seine scharfen Augen entdeckten
bald den Rauch einer Hütte, die an einem fließenden Wasser in einer
Waldlichtung lag. Dorthin sprang er in weiten Sätzen.
Es stand ein Schmied vor der Tür, und Siegfried staunte ihn an. Denn
der Mann hatte einen schweren, kurzgefügten Körper mit einem großen
Höcker zwischen den Schultern und einen verwitterten Kopf. Daß ein
Mensch so häßlich sein konnte, tat dem schönen Knaben leid, und er
wünschte dem verwachsenen Schmied recht fröhlich einen guten
Morgen.
Gerade hatte der Kleine mit Armen, die stark waren wie Hebebäume,
einen Eisenbalken auf den Amboß gewälzt, als Siegfried ihn anrief. Er
richtete sein wirrbärtiges Gesicht auf, packte einen ungefügen Hammer
und fragte: »Was willst du hier?«
»Ei,« rief Siegfried, »was wird ein nüchterner Magen wollen? Eine
Morgensuppe will er, wie sie dort auf Eurem Herde so appetitlich
duftet.«
»Hand weg,« sagte drohend der Schmied. »Müßiggänger brauchen
nicht zu essen.«
»Ich will's Euch wohl beweisen, ob ich das Essen verdiene,« zürnte
Siegfried. »Habt Ihr was zu schaffen für mich?«
Der Schmied reichte ihm den ungefügen Hammer und wies auf den
Eisenbalken, der über dem Amboß lag.
»Wenn dein Arm so stark ist wie dein Mundwerk --«
Da hob Siegfried wütend den Hammer und ließ ihn auf den
Eisenbalken niedersausen, daß der in Stücken durch die Lüfte flog und
der Amboß eine Klafter tief in die Erde fuhr.
»Was ist das für ein Kinderspielzeug?« rief der starke Siegfried. »Gebt

mir Männerarbeit!«
Mit weitgeöffneten Augen starrte der Schmied auf den Zornigen. »Nun
könnt Ihr mich morden, Jungherr, denn Ihr habt die Waffe in der
Hand.«
Siegfrieds Zorn aber war schon verraucht. »Da habt Ihr sie wieder. Ich
kämpfe nicht mit Waffenlosen. Auch scheint die Natur Euch Armen so
schwer mißhandelt zu haben, daß man Euch mit Liebe begegnen muß.«
Der Mißgestaltete sah ihn noch immer an. Aber in seinen Augen war
ein warmes Aufleuchten.
»Reicht mir die Hand. Ihr könnt nur Siegfried sein, der junge Held, von
dessen Stärke schon heute die Sänger Kunde tun. Nun aber weiß ich,
daß Ihr in Wahrheit ein Ritter seid. Denn Ihr habt ein reines und gütiges
Herz.«
»Und wer seid Ihr?« fragte Siegfried.
»Ich bin Mime, der Schmied. Bleibt bei mir, so lange es Euch gefällt,
und ich will Euch viele Künste lehren.«
Da blieb Siegfried bei Mime im Walde und wußte nicht, daß es ein Jahr
ward und ein zweites und drittes, so lief die Zeit dahin wie ein Wunder
und wurde von Meister und Schüler weidlich genützt. War Siegfried als
Knabe stark gewesen, so wurde er als Jüngling ein Hüne an Kraft und
doch geschmeidig wie der schnellfüßigste Hirsch. Er lernte den Bären
mit den Fäusten fangen und ihn am Bratfeuer ohne Messer und Spieß
zerreißen und zerlegen. Das frische Blut trank er wie einen Becher
Rotwein und genoß zum Wildbret eine Fülle von saftigen Wurzeln und
Kräutern, die ihn vor jeder Krankheit bewahrten. Täglich aber
unterrichtete ihn Mime in der höchsten Kunst des Waffenhandwerks
und lehrte ihn die feinsten Handgriffe und die Vollendung in Ansturm
und Abwehr, so daß ein einzelner leicht ein Dutzend bestände.
Es stand ein Roß im Stall, das stammte von den Rossen Wotans, auf
denen einst
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