Reise durch England und Schottland | Page 2

Johanna Schopenhauer
Luft und Sonne kein
Hindernis finden. Dennoch ist es nicht heiß in den Zimmern, teils weil
es überhaupt in England nicht heiß ist, teils wegen der wenigen Fenster,
die aber so verständig angebracht sind, daß jeder Teil des Gebäudes
sein hinlängliches Licht hat.
Die äußere Ansicht der englischen Landhäuser ist aus unzähligen
Kupferstichen bekannt genug. Selten herrscht ein ganz reiner
Geschmack darin, oft sind sie mit Verzierungen überladen. Die
Hauptfassade ist gewöhnlich mit Säulen geziert. Sind gleich die
Verhältnisse derselben nicht immer die richtigsten, scheinen sie oft
müßig dazustehen, so gewähren sie doch immer ein angenehmes,
schattiges Plätzchen vor dem Hause, von welchem man recht behaglich
ins Freie über den grünen Wiesenplan hinaussieht. Unter und vor
diesen Säulen stehen unzählbare fremde Gesträuche und Blumen in
Vasen, teils auf schönen Gestellen übereinander getürmt, teils auf den
Stufen des Eingang und den Geländern zierlich geordnet. Der Luxus,
den man mit diesen Pflanzen treibt, ist unglaublich. Täglich müssen die
verblühten hinweggeschafft und andere an ihre Stelle gesetzt werden.
Höchst reizend ist der Anblick dieser Shrubberies. Florens Schätze
werden aus allen Ländern der Welt hierher gezaubert. Doch auch über
diese schönsten Kinder der Natur herrscht in England das eiserne
Zepter der Mode. In der Zeit, aus welcher diese Beschreibung stammt,

hatte sie gerade die Eriken oder Heidekräuter ihrer besonderen Huld
gewürdigt. Man gab wohl fünfzig und mehr Guineen für so ein geruch-,
oft farbenloses Kraut hin, wenn es nur aus einem recht entfernten
Winkel der Erde herstammte. Große Orangerien sind in England, außer
in den königlichen Gärten, selten anzutreffen.
Die innere Einrichtung der Häuser richtet sich hier, wie überall, nach
dem Reichtum und Geschmacke des Erbauers, des Bewohners und des
Zeitalters, in welchem sie entstand. Die meisten haben große,
vollkommen erleuchtete und hohe Souterrains, in welchen sich die
Küche, die Gewölbe zur Bewahrung der Vorräte nebst den
Bedientenzimmern befinden. Letztere sind durchaus gut möbliert, ja die
der Haushälterin und des Haushofmeisters (in England Butler genannt)
sogar elegant, hübsch tapeziert, mit Mahagonimöbeln und guten
Fußteppichen. Auch bei den Bedienten wird die englische Sitte
beobachtet, daß sie außer ihren Schlafzimmern noch Wohnzimmer und
Speisezimmer haben.
Aus dem Garten tritt man gewöhnlich zuerst in eine große, hohe, öfters
von oben beleuchtete Halle, die mit Gemälden oder Statuen, Basreliefs
oder Vasen geziert ist. Zu beiden Seiten liegen die verschiedenen Putz-
und Wohnzimmer; ein langes Zimmer enthält die Bibliothek, deren
schöne Schränke und zierliche Einbände sie zu einem der elegantesten
Zimmer des Schlosses machen. In vielen Häusern ist es Sitte, daß die
Familie sich zum Frühstück darin versammelt. Sonst gibt es noch
Frühstückszimmer, Arbeitszimmer, Musikzimmer,
Gesellschaftszimmer, (Drawingrooms), Wohnzimmer (Parlours),
Speisezimmer, Spielzimmer in Menge, doch selten von ausgezeichneter
Größe. Überall einfache Pracht, Fußböden, Treppen und Vorplätze mit
schönen Teppichen belegt.
In vielen Häusern wechselt man im Sommer die warmen
Winterteppiche mit kühlen, von gemalter Wachsleinwand, welche von
beträchtlicher Dicke eigens dazu fabriziert wird. Mahagoniholz sieht
man meistens nur an Treppengeländern, großen Eßtischen, Bettstellen;
die Möbel in den herrschaftlichen Zimmern sind von fremden
köstlicheren oder kunstreich lackierten Hölzern.

Man findet es bürgerlich, unmodisch, lächerlich, die Möbel an den
Wänden hinzustellen, wie es in Deutschland gebräuchlich ist; in den
Wohn- und Gesellschaftszimmern stehen alle in einem großen Kreis
umher, so daß noch ein beträchtlicher Raum zum Spazieren zwischen
den Stühlen, Sofas, Tischen und den Wänden übrig bleibt. Die
Schreibtische sowohl als die Pianofortes sind immer mitten im Zimmer,
wo eben das Licht am günstigsten fällt und man nicht von der Hitze
nahe am Kamin oder vom Zug nahe am Fenster leidet. Noch müssen
wir der Kamine gedenken, die, künstlich in Marmor gearbeitet oder mit
brillantiertem Stahl geschmückt, eine der größten Zierden der Zimmer
ausmachen. Schöne Vasen und prächtige Kandelaber prangen auf ihren
Gesimsen. Der zweite Stock enthält die Schlafzimmer, welche indessen
den Fremden nur selten gezeigt werden. Diese, besonders die der
Damen, sind ein Heiligtum, in welches kein sterbliches Auge dringen
darf. Oft hörten wir Engländerinnen mit wahrem Grausen von der Sitte
der Französinnen sprechen, welche gerade ihre Schlafzimmer zum
Besuchszimmer vorzugsweise erwählen.
So viel von der inneren Einrichtung der englischen Villen im
allgemeinen. Kehren wir jetzt zurück zu den nächsten äußeren
Umgebungen derselben.
Die Obst- und Gemüsegärten, die Treibhäuser liegen mit allen zur
inneren Ökonomie gehörigen Gebäuden ganz nahe am herrschaftlichen
Hause, werden aber durch mancherlei Vorkehrungen dem Auge
entzogen. Diese Bezirke sind es, was der Engländer eigentlich Gärten
(Gardens) nennt. Der zur Fußpromenade bestimmte Teil der Besitzung
heißt Pleasure-Ground und liegt ganz nahe am Hause. Hier trifft man
Ähnlichkeit mit den deutschen Parks: Gänge, die sich bald durch dichte
Schatten, bald mehr im Freien hinschlängeln, Tempel, Säulen,
Denkmäler, Ruheplätze und den ganzen architektonischen Reichtum
der neueren Gartenkunst. Alle Gebäude sind von Stein, alle Geländer
und Türen von schönem eisernen Gitterwerk. Hier blühen und grünen
die vielen einheimischen Gesträuche, Bäume und Blumen neben den
aus fremden Ländern herübergebrachten, die stark genug sind, den
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