stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider
hingen, vorgezogen war. - Näher - immer näher dröhnten die Tritte - es 
hustete und scharrte und brummte seltsam draußen. Das Herz bebte mir 
vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der Türe ein scharfer Tritt - 
ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tür springt rasselnd auf! - Mit 
Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann 
steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der 
Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fürchterliche 
Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu 
Mittage ißt! 
Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen erregen 
können, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen großen 
breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem 
Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar 
grünliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, großer, starker über die 
Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum 
hämischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote 
Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton fährt durch die 
zusammengekniffenen Zähne. Coppelius erschien immer in einem 
altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und 
gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit 
kleinen Steinschnallen. Die kleine Perücke reichte kaum bis über den 
Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch über den großen roten 
Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem 
Nacken weg, so daß man die silberne Schnalle sah, die die gefältelte 
Halsbinde schloß. Die ganze Figur war überhaupt widrig und 
abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine großen knotigten, 
haarigten Fäuste zuwider, so daß wir, was er damit berührte, nicht mehr 
mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend ein 
Stückchen Kuchen, oder eine süße Frucht, die uns die gute Mutter 
heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu 
berühren, daß wir, helle Tränen in den Augen, die Näscherei, der wir 
uns erfreuen sollten, nicht mehr genießen mochten vor Ekel und 
Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein 
klein Gläschen süßen Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell 
mit der Faust herüber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen 
Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Ärger nur leise 
schluchzend äußern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen
Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns 
geben und verwünschten den häßlichen, feindlichen Mann, der uns 
recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die 
Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwärtigen Coppelius zu hassen; 
denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefangenes 
Wesen umgewandelt in traurigen, düstern Ernst. Der Vater betrug sich 
gegen ihn, als sei er ein höheres Wesen, dessen Unarten man dulden 
und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten müsse. Er durfte 
nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene 
Weine kredenzt. 
Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in 
meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann sein 
könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem 
Ammenmärchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur 
Atzung holt - nein! - ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, 
wo er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt. 
Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich 
dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend 
durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius 
feierlich. »Auf! - zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender 
Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen 
Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo 
sie die hernahmen, hatte ich übersehen. Der Vater öffnete die Flügeltür 
eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange dafür 
gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Höhlung 
war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue 
Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Geräte 
stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer 
herabbückte, da sah er ganz anders aus. Ein gräßlicher krampfhafter 
Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen 
widerwärtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius 
ähnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit 
hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig 
hämmerte. Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher 
sichtbar, aber ohne Augen - scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt 
ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius mit dumpfer dröhnender 
Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaßt und
stürzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich 
Coppelius, »kleine Bestie! - kleine Bestie!« meckerte er zähnfletschend! 
- riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar 
zu sengen    
    
		
	
	
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