schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig 
und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun Kinder! - zu Bette!
zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon.« Wirklich hörte ich 
dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe 
heraufpoltern; das mußte der Sandmann sein. Einmal war mir jenes 
dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, 
indem sie uns fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann, 
der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?« - »Es gibt 
keinen Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter: »wenn ich 
sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig 
und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand 
hineingestreut.« - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in 
meinem kindischen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß 
die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht 
fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll 
Neugierde, Näheres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf 
uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine 
jüngste Schwester wartete: was denn das für ein Mann sei, der 
Sandmann? »Ei Thanelchen«, erwiderte diese, »weißt du das noch nicht? 
Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu 
Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß 
sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und 
trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen 
dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken 
sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.« - Gräßlich malte sich 
nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es 
abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. 
Nichts als den unter Tränen hergestotterten Ruf. »Der Sandmann! der 
Sandmann! « konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf 
in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht über quälte mich die 
fürchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich 
geworden, um einzusehen, daß das mit dem Sandmann und seinem 
Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erzählt hatte, 
wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben könne; indessen blieb mir der 
Sandmann ein fürchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff 
mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern 
auch meines Vaters Stubentür heftig aufreißen und hineintreten hörte. 
Manchmal blieb er lange weg, dann kam er öfter hintereinander. 
Jahrelang dauerte das, und nicht gewöhnen konnte ich mich an den
unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen 
Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie 
immer mehr und mehr zu beschäftigen: den Vater darum zu befragen 
hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, aber selbst - selbst das 
Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu 
keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der 
Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen 
gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet. 
Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten, 
Hexen, Däumlingen usw. zu hören oder zu lesen; aber obenan stand 
immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten 
Gestalten überall auf Tische, Schränke und Wände mit Kreide, Kohle, 
hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter 
aus der Kinderstube in ein Kämmerchen, das auf dem Korridor unfern 
von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mußten wir uns, wenn auf 
den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause hören ließ, 
schnell entfernen. In meinem Kämmerchen vernahm ich, wie er bei 
dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich 
im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer höher mit der 
Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns 
Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem 
Kämmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vorübergegangen, 
aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann 
schon zur Türe hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir 
sichtbar werden mußte. Endlich von unwiderstehlichem Drange 
getrieben, beschloß ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu 
verbergen und den Sandmann zu erwarten. 
An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines 
Abends, daß der Sandmann kommen werde; ich schützte daher große 
Müdigkeit vor, verließ schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg 
mich dicht neben der Türe in einen Schlupfwinkel. Die Haustür knarrte, 
durch den Flur ging es, langsamen, schweren, dröhnenden Schrittes 
nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vorüber. 
Leise - leise öffnete ich des Vaters Stubentür. Er saß, wie gewöhnlich, 
stumm und starr den Rücken der Türe zugekehrt, er bemerkte mich 
nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich 
neben der Türe    
    
		
	
	
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