sah den Mann ein 
paar Secunden starr an, als ob er nicht recht begriffen hätte was er 
sagte. 
»Na, werd's bald?« rief aber dieser, ärgerlich aufbrausend, aber doch so 
leise daß es selbst die an den nächsten Tischen Sitzenden nicht 
verstehen konnten -- »ist es dem jungen Herrn gefällig, oder soll ich 
ihn etwa aufwecken?« 
»Ja ja, Vater!« rief der Knabe jetzt, rasch und erschreckt emporfahrend 
-- »wollen wir denn noch singen heute Abend?« setzte er aber 
langsamer und fast wie ängstlich hinzu. 
»Wolle wir denn noch singen?« wiederholte der Alte spöttisch und 
ärgerlich, »Gottes Wunder, glaubt der junge Herr daß ich ihn Abends in 
die Wirthshäuser führe zu seinem Vergnigen? -- wolle wir denn noch 
singen? Abraham und Jacob, was ist das for a Frog.«
Der Knabe war übrigens schon bei den ersten ärgerlichen Worten des 
Alten von seinem Stuhle aufgesprungen, und sich die Locken aus der 
Stirn streichend, machte er sich eifrig daran, das auf dem Tisch 
liegende Packet aufzuknüpfen, und den Inhalt auf der Tafel desselben 
auszubreiten. Hierbei war ihm der Alte behülflich, und ordnete jetzt 
selber eine Masse mit einander leicht verbundener Stöcke oder Stäbe 
von weichem Holz, die, manche stärker, manche schwächer, mit einer 
Unterlage von dünn- aber festgedrehten Strohseilen auf den Tisch an 
beiden Enden auf- und in der Mitte hohlzuliegen kamen. 
»Hallo was ist das?« rief Steinert, der dem Tische zunächst saß und die 
wunderlichen Vorbereitungen bemerkte -- »eine Holzharmonika, 
wahrhaftig -- ah, meine Herren, jetzt werden wir etwas zu hören 
bekommen; die klingt famos, wenn sie der alte Bursche da nur zu 
spielen versteht.« 
»Werd' er sie nicht zu spielen verstehn -- spielt sie schon 
fünfundzwanzig Jahr« schmunzelte der Alte vergnügt vor sich hin -- 
»nu Philippche, mei Jingelche jetzt paß auf, und fall mer ein zur 
rechten Zeit mit der Flöte.« Zugleich die beiden, ihm zur Hand 
liegenden Klöppel ergreifend, fuhr er mit rascher geübter Hand über die 
eigenthümlichen Tasten hin, denen er dabei einen nicht zu lauten, aber 
wunderbar harmonischen vollen Ton entlockte. Wie Glockenspiel 
klangen die Laute, die entfernteren Räume mit ihrem Wohlklang 
füllend, und die Gäste, nach allen Richtungen hin horchten hoch auf, 
vergaßen von was sie gesprochen, und kamen heran, den Tisch 
umdrängend, an dem der alte Jude spielte. 
 
»So Philippche, nu fang an!« nickte er aber jetzt dem Knaben zu, der 
bis dahin still und regungslos neben dem Tisch gestanden und sich 
kaum der Leute hatte erwehren können, die ihn umpreßten; dabei fiel er 
in die englische Volkshymne God save our gracious queen ein, die der 
Knabe jetzt in der zweiten Stimme mit der Kehle, aber so täuschend 
den vollen weichen Laut der Flöte nachahmend, begleitete, daß die 
Zuhörer wirklich in den ersten Minuten ganz die Harmonika vergaßen 
und noch näher hinanwollten, nur um zu sehen ob der junge Bursche
nicht wirklich eine Flöte habe auf der er spiele, und das Alles allein aus 
der eigenen Kehle herausbringe. 
 
Der alte Mann, den der Zudrang freute, denn er bewies ihm die 
Theilnahme der Hörer und ließ ihn auf gute Einnahme rechnen, fuhr 
dabei mit großer Leichtigkeit und Sicherheit über die fibrirenden 
Tasten, und seine ganze, erst so ruhige in sich gesunkene Gestalt schien 
mit den Tönen Leben zu gewinnen, und aus sich herauszugehn. Es war 
eine kleine schmächtige, aber zähe und knochige Gestalt, der Mann in 
dem schwarzen, schmutzigen Kastan; über die scharf gebogene Nase 
zog sich ihm eine tiefe dunkle Falte, und zwei schwarze Gruben in den 
hohlliegenden Wangen hoben die dunkelglühenden, unstet 
umherblitzenden Augen nur noch mehr hervor, und verloren sich in 
dem fuchsigen, sorgfältig gekämmten langen und spitzen Bart, der nur 
am Kinn in den schon weiß gewordenen Haaren das Alter des Mannes 
verrieth. 
Der Knabe war, wie schon gesagt, etwa zwölf bis dreizehn Jahre alt, 
trug aber nicht die polnische Tracht, sondern einen gewöhnlichen Rock 
und eine blaue Mütze, die er neben sich auf dem Tisch liegen hatte, 
während der Mann sein altes schmutziges abgegriffenes 
Sammetmützchen aufbehielt. Das zwar bleiche doch wirklich schöne 
asiatische regelmäßige Gesicht des Kindes -- denn es konnte kaum über 
die Kinderjahre hinaus sein, blieb aber kalt und theilnahmlos bei den 
weichsten, ergreifendsten Tönen seiner eigenen Brust und, ohne Seele, 
beherrschte er mit wunderbarer Gewalt fast, die mächtige Stimme, die 
sich oft zu einer Stärke hob, daß die Umstehenden ihr lautes Erstaunen 
nicht zurückhalten konnten, und dann in stürmischen, donnernden 
Beifall ausbrachen. Mit unnatürlicher Gewalt mußte der Knabe dabei 
seine Stimme, die Töne der Flöte nachzuahmen, zu ihrer höchsten Lage 
hinaufzwingen, und der Schweiß stand ihm auf der weißen Stirn in 
großen Tropfen, solche Anstrengung kostete es ihm. Aber der Alte 
spielte unverdrossen fort -- jetzt »Lützow's wilde verwegene Jagd« wie 
es Einzelne der Gesellschaft wünschten, und dann »des Deutschen 
Vaterland« nach Anderer Ruf; dann den Jägerchor, und die neueste 
Polka, und Trinklieder zuletzt, zu denen sie ihm und    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.