dem Arzt im Komplott,« hatte sie mit stockender Stimme 
gesagt, während die Tränen ihr unaufhaltsam über die Wangen liefen, 
»er verbietet Papa, auszugehen. So liest er wenigstens im Kasino die 
Zeitungen nicht. Und die Post wird dem Briefboten an der Hintertreppe 
abgenommen ... Ach, Alix, -- du weißt nicht, wie gräßlich es zu Hause 
ist .. Ich muß Papa immer was vormachen, damit er nichts merkt und 
Mama nicht zu sehr quält .. Am liebsten liefe ich selber davon ...« 
Zu Tisch war ich dann mit ihr zu den Eltern gegangen. 
Meines Vaters Anblick hatte mich erschüttert. 
»Kommst du wirklich noch zu einer halben Leiche?!« hatte er bitter 
lachend gesagt. »Ihr könnt's ja wohl gar nicht erwarten, daß eine ganze 
draus wird. Herr Gott, -- wie hübsch könntet ihr dann eurem Vergnügen 
leben!« 
Mama begleitete mich nach Hause: »Habe den Mut, ihm deinen 
Entschluß ins Gesicht zu sagen! -- So einen Brief schreiben und alle 
Folgen auf Mutter und Schwester abwälzen, -- das ist freilich eine 
Heldentat, die dir ähnlich steht!« 
Abends war Frau Vanselow noch gekommen, -- tief bekümmert. »Ich 
verstehe Ihren Entschluß, -- wenn ich so jung wäre wie Sie, ich täte 
dasselbe --, aber das hindert mich nicht, ihn schmerzlich zu bedauern. 
Unsere 'Frauenfrage' ist nichts ohne Sie. Und darum bitte ich Sie recht 
herzlich: wenn ich schon die Mitredakteurin verlieren soll, so doch 
wenigstens nicht die Mitarbeiterin. Mehr als je können Sie jetzt für die 
Einheit der ganzen Frauenbewegung wirken.« Und dann hatte sie mir 
die Einladung zum Internationalen Frauenkongreß nach London 
vorgelesen, die auf unser beider Namen lautete. »Wie viel könnten
gerade Sie, meine liebe, junge Freundin, dort lernen und leisten -- 
England, das klassische Land der Frauenemanzipation ...!« 
In der Nacht kämpfte ich einen schweren Kampf. Meine 
Überzeugungen, meine Zukunftsträume, meine Hoffnungen standen 
alle bis an die Zähne gewappnet auf wider mich. 
Sehr langsam, sehr müde schlich ich am Tage darauf zu den Eltern. 
Noch nie war mir der Flur, in dem auch heute, an einem strahlenden 
Frühsommertage, das kleine Lämpchen brannte, so eng, so dunkel 
vorgekommen und die Zimmer mit ihren schweren Vorhängen so kalt. 
Rasch, wie ein Schulmädchen, das den eingelernten Vers 
herunterhaspelt, um nur nicht stecken zu bleiben, erzählte ich von der 
Einladung nach England. 
»Wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich mit Frau Vanselow 
hinüberreisen. Ich kann dabei viel gewinnen. Die englische 
Frauenbewegung ist uns weit voraus, die ganze soziale Hilfstätigkeit ist 
glänzend organisiert, -- ich werde mir für meine eigene Arbeit ein 
Muster nehmen können. In schlechte Gesellschaft komme ich auch 
nicht,« hatte ich mit erzwungenem Lächeln hinzugefügt, »denn 
Gräfinnen und Herzoginnen sind unsere Gastgeber ...« 
Mama verstand. Sie strahlte. Klein-Ilschen, die sich bei meiner Ankunft 
verschüchtert in eine Ecke geflüchtet hatte, sprang auf und wirbelte 
lustig im Zimmer umher, der Vater schien förmlich elektrisiert von all 
den Aussichten, die sich mir boten. Er studierte das Kursbuch, das 
Konversationslexikon und schickte die Minna zum nächsten 
Buchhändler, um den neuesten Bädecker von London zu holen. 
Immer wieder griff er verstohlen nach meinen Händen und streichelte 
sie so sanft, so leise, daß ich den Kampf der Nacht vergaß und nichts 
fühlte als seine Liebe. 
Die Reisevorbereitungen, der Abschied, -- der Vater hatte sich's nicht 
nehmen lassen, mich frühmorgens zur Bahn zu bringen und mir, wie 
ein feuriger Liebhaber, einen Strauß blühender Rosen in die Hand zu
drücken, -- die Eisenbahnfahrt in Begleitung von Frau Vanselow und 
Frau Schwabach, die unaufhörlich von ihrer Vereinsarbeit sprachen, 
hatten mich bis zu diesem Augenblick nicht zu Atem kommen lassen. 
Ach, und warum schlief ich nicht jetzt, statt heraufzubeschwören, was 
vergangen war, und in schmerzhafter Sehnsucht an den zu denken, den 
ich nicht erwecken konnte? Ich sah die Nacht um mich her und die 
große Einsamkeit -- war Georg nicht erst jetzt für mich gestorben? 
Mich fröstelte; feucht und kalt klebten mir die Kleider am Leibe. 
»Ich will schlafen gehen,« murmelte ich ... und die Augen fielen mir 
zu ..... 
* * * * * 
Im Morgengrauen lag die Küste Englands vor mir, unfreundlich und 
nüchtern. Mit jener unwirschen Rücksichtslosigkeit aller 
Unausgeschlafenen hasteten und stießen sich die Schiffspassagiere. Ich 
ließ mich schieben, -- es war ja alles so schrecklich gleichgültig. 
»Frau von Glyzcinski?!« -- Überrascht sah ich auf. »Mister Stratford?« 
-- Der rotblonde Hüne, der mich eben begrüßt hatte, nickte erfreut. Wie 
einen Gruß von Georg, so empfand ich seinen Händedruck; er war sein 
bester Freund gewesen, seine Schriften, seine Briefe hatten ihn mir wie 
ein Echo Georgs erscheinen lassen. Und mit leisem Lächeln mußte ich 
der Stunde gedenken, in der mir der Verstorbene gestanden hatte, daß 
er zwischen uns den Heiratsvermittler habe spielen wollen, ehe er daran 
zu denken wagte, ich könne ihn -- den armen Gelähmten -- jedem 
anderen vorziehen. 
Stratford war überzeugter Sozialist, wie Georg, nur daß er noch mit 
aller Energie an dem Standpunkt    
    
		
	
	
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