Ereignisse des öffentlichen Lebens, 
deren Kunde an mein Ohr schlug. So weiß ich vom 
deutsch-französischen Kriege, obwohl ich ihn als fast Sechsjährige 
erlebte, nicht allzuviel. Ich sehe mich zwar Charpie zupfend am Fenster 
sitzen oder mein Frühstücksbrötchen mitleidig für die armen Soldaten 
in die Kiste legen, die die Mutter allwöchentlich zu packen pflegte; ich 
erinnere mich, daß ich mit Hurra schrie bei jeder Siegesnachricht und 
die Illuminationskerzen nach dem Fall von Sedan mit in die 
sandgefüllten Gläser steckte. Ich weiß auch, daß mir das bunte 
Schauspiel des Einzugs der Sieger in Berlin, dem ich in einem neuen 
blauseidnen Kleidchen mit meiner Mutter von irgend einem 
Lindenhotel aus beiwohnte, sehr gefiel, und daß mein Lorbeerkranz 
statt auf die Lanze eines Kriegers auf den aufgespannten Schirm irgend 
einer biedern Berliner Bürgerfrau niederfiel; aber von hochgeschwellter 
patriotischer Begeisterung weiß ich nichts. Vielleicht, daß die 
gedrückte Stimmung zu Haus mich beeinflußt hatte, denn hier kam eine 
reine Siegesfreude nicht auf. Nicht nur, weil Söhne und Gatten allen 
Wechselfällen des Krieges ausgesetzt waren, sondern auch, weil nahe, 
liebe Verwandte der Großmutter im französischen Heere dienten. 
Neffen von ihr kamen als Gefangene nach Potsdam; der alte Bruder 
ihrer Mutter, der sich als Jüngling unter Napoleon I. die Sporen 
verdient hatte, kämpfte jetzt mit derselben glühenden Vaterlandsliebe 
unter seinem Nachfolger. Von dem Franzosenhaß, der den deutschen 
Kindern späterer Zeit eingeprägt wurde, wußten wir infolgedessen 
nichts. Ich glaube, jener Hurrapatriotismus, der sich heute breit macht, 
gedeiht nur in Friedenszeiten. Wer dem Kriege Aug in Auge sieht, 
dessen Vaterlandsliebe wird vielleicht nicht weniger tief, wohl aber 
ernster und stiller sein. Erst wenn die großen Kämpfe der Völker lange 
vorüber sind, werden sie zu Mitteln, die Begeisterung auch der Kinder
anzufachen. So kam es wohl, daß meine Phantasie von dem, was vor 
sich ging, ebenso unberührt blieb wie mein Gemüt. Nur der Heimkehr 
meines Vaters sah ich voll jubelnder Freude entgegen. 
Er brachte uns allen Geschenke aus Frankreich mit, die er mit Sorgfalt 
und in der freudigen Aussicht auf die glücklichen Gesichter der 
Empfänger ausgewählt und wofür er wohl auch viel Geld ausgegeben 
hatte. Über all das schöne Spielzeug, das ich erhielt, war mein Jubel 
ohne Grenzen, und ein zierliches goldnes Kettlein, das mich noch mehr 
entzückte, schlang ich mir grade vor dem Spiegel um den Kopf, so daß 
die Perle, die wie ein Tautropfen daran hing, just unter dem Scheitel 
auf die Stirne fiel -- meine schwarzen Locken erschienen mir plötzlich 
gar nicht mehr so häßlich --, als das Antlitz meiner Mutter hinter mir 
auftauchte. Angstvoll erstaunt wandte ich mich um; Seiden- und 
Samtstoffe lagen vor ihr ausgebreitet, mit zärtlich-fragenden Augen sah 
der Vater sie an, und sie -- sie freute sich nicht! Worte des Vorwurfs 
über die »unnützen Ausgaben« war das erste, was ich sie sagen hörte, 
und mit ungewohnt heftiger Geberde nahm sie mir die Kette aus den 
Haaren, die nun -- ich wußte das nur zu gut -- in der unergründlichen 
Tiefe des Silberschranks verschwinden würde, wie so manche der 
schönsten Dinge, bis »Alix groß sein wird«. Dann dankte sie dem Vater 
mit einer kühlen Phrase, aus der ich das Erzwungene mit dem feinen 
Gefühl des Kinderherzens herausempfand. Über unsre Festtagsfreude 
hatte sich ein dunkler Schatten gelegt. Papa ging verstimmt hinaus, ich 
spielte verschüchtert in einem möglichst versteckten Winkel. Freude ist 
eine der sensitivsten Pflanzen, die es gibt, das hab ich damals unbewußt 
zum erstenmal empfunden: wenn sie in vollster Blüte steht, genügt ein 
kalter Lufthauch, sie zu töten. Sie will gehütet sein und gepflegt, und 
nur ihr natürliches Welken ist schmerzlos. Verschleiert blieb von da an 
die Stimmung; um Liebe werbend, dankbar für jeden wärmeren Blick, 
bemühte sich mein Vater um seine schöne kühle Frau. Wie oft nahm er 
mich auf den Schoß, legte mein Bäckchen an seine Wange und herzte 
und streichelte mich, während seine Augen ihr folgten, die im Zimmer 
umherging, jedem Staubfäserchen nach, das etwa von einem 
Möbelstück nicht entfernt worden war. 
Bald hieß es, die Mutter sei krank und brauche längere Zeit der
Erholung. Große Koffer wurden gepackt, und wir reisten -- Großmama, 
Mama und ich, meine Mademoiselle und die Jungfer -- nach der 
Schweiz. Wie schnell war da der arme, einsame Papa vergessen! 
Wundervolle Bilder von weißleuchtenden Gletschern, blauen Seen, 
brausenden Wasserstürzen und Schauerlichen Abgründen zogen an mir 
vorüber. Nirgends war mir meine Bonne mit ihrem ewigen: Tiens-toi 
droite -- ne court pas si vite -- sois raisonable so widerwärtig 
vorgekommen wie hier. Ins Moos sich werfen mit ausgebreiteten 
Armen, laufen und springen, wie von Flügeln getragen, und über Stock 
und Stein aufwärts klettern, höher, immer höher, bis zu den silbernen 
Häuptern der Berge mitten in den Himmel hinein -- ach, wer das könnte! 
Eines Tages hielt es mich nicht länger. Irgendwo am Vierwaldstädter 
See wars, wo ich davon lief, gedankenlos, ziellos, nur erfüllt von dem 
Wonnegefühl der ungebundenen Kraft. Erst als    
    
		
	
	
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