Klein Zaches, genannt Zinnober | Page 9

E.T.A. Hoffmann
dieses Dorfes
sitze ich und schreibe Dir, mein geliebter Rufin, dieses alles! - Soviel
es möglich ist, werde ich Nachrichten einziehen von dem fremden

barbarischen Volke, das in jener Stadt hauset. Von ihren Sitten -
Gebräuchen - von ihrer Sprache u.s.w. habe ich mir schon manches
höchst Seltsame erzählen lassen und werde Dir getreulich alles
mitteilen etc. etc."
Du gewahrst, o mein geliebter Leser, daß man ein großer Gelehrter und
doch mit sehr gewöhnlichen Erscheinungen im Leben unbekannt sein,
und doch über Weltbekanntes in die wunderlichsten Träume geraten
kann. Ptolomäus Philadelphus hatte studiert und kannte nicht einmal
Studenten und wußte nicht einmal, daß er in dem Dorfe
Hoch-Jakobsheim saß, das bekanntlich dicht bei der berühmten
Universität Kerepes liegt, als er seinem Freunde von einer Begebenheit
schrieb, die sich in seinem Kopfe zum seltsamsten Abenteuer
umgeformt hatte. Der gute Ptolomäus erschrak, als er Studenten
begegnete, die fröhlich und guter Dinge über Land zogen zu ihrer Lust.
Welche Angst hätte ihn überfallen, wäre er eine Stunde früher in
Kerepes angekommen, und hätte ihn der Zufall vor das Haus des
Professors der Naturkunde Mosch Terpin geführt! - Hunderte von
Studenten hätten, aus dem Hause herausströmend, ihn umringt,
lärmend disputierend etc., und noch wunderliche Träume wären ihm in
den Kopf gekommen über diesem Gewirr, über diesem Getreibe.
Die Kollegia Mosch Terpins wurden nämlich in ganz Kerepes am
häufigsten besucht. Er war, wie gesagt, Professor der Naturkunde, er
erklärte, wie es regnet, donnert, blitzt, warum die Sonne scheint bei
Tage und der Mond des Nachts, wie und warum das Gras wächst etc.,
so daß jedes Kind es begreifen mußte. Er hatte die ganze Natur in ein
kleines niedliches Kompendium zusammengefaßt, so daß er sie
bequem nach Gefallen handhaben und daraus für jede Frage die
Antwort wie aus einem Schubkasten herausziehen konnte. Seinen Ruf
begründete er zuerst dadurch, als er es nach vielen physikalischen
Versuchen glücklich herausgebracht hatte, daß die Finsternis
hauptsächlich von Mangel an Licht herrühre. Dies, sowie, daß er eben
jene physikalischen Versuche mit vieler Gewandtheit in nette
Kunststückchen umzusetzen wußte und gar ergötzlichen Hokuspokus
trieb, verschaffte ihm den unglaublichen Zulauf. - Erlaube, mein
günstiger Leser, daß, da du da viel besser wie der berühmte Gelehrte

Ptolomäus Philadelphus Studenten kennst, da du nichts von seiner
träumerischen Furchtsamkeit weist, ich dich nun nach Kerepes führe
vor das Haus des Professors Mosch Terpin, als er eben sein Kollegium
beendet. Einer unter den herausströmenden Studenten fesselt sogleich
deine Aufmerksamkeit. Du gewahrst einen wohlgestalteten Jüngling
von drei- bis vierundzwanzig Jahren, aus dessen dunkel leuchtenden
Augen ein innerer reger, herrlicher Geist mit beredten Worten spricht.
Beinahe keck würde sein Blick zu nennen sein, wenn nicht die
schwärmerische Trauer, wie sie auf dem ganzen blassen Antlitz liegt,
einem Schleier gleich die brennenden Strahlen verhüllte. Sein Rock
von schwarzem feinen Tuch, mit gerissenem Samt besetzt, ist beinahe
nach altteutscher Art zugeschnitten, wozu der zierliche blendendweiße
Spitzenkragen, sowie das Samtbarett, das auf den schönen
kastanienbraunen Locken sitzt, ganz gut paßt. Gar hübsch steht ihm
diese Tracht deshalb, weil er seinem ganzen Wesen, seinem Anstande
in Gang und Stellung, seiner bedeutungsvollen Gesichtsbildung nach
wirklich einer schönen frommen Vorzeit anzugehören scheint und man
daher nicht eben an die Ziererei denken mag, wie sie in kleinlichem
Nachäffen mißverstandener Vorbilder in ebenso mißverstandenen
Ansprüchen der Gegenwart oft an der Tagesordnung ist. Dieser junge
Mann, der dir, geliebter Leser, auf den ersten Blick so wohlgefällt, ist
niemand anders als der Student Balthasar, anständiger, vermögender
Leute Kind, fromm - verständig - fleißig - von dem ich dir, o mein
Leser, in der merkwürdigen Geschichte, die ich aufzuschreiben
unternommen, gar vieles zu erzählen gedenke. -
Ernst, in Gedanken vertieft, wie es seine Art war, wandelte Balthasar
aus dem Kollegium des Professors Mosch Terpin dem Tore zu, um sich,
statt auf den Fechtboden, in das anmutige Wäldchen zu begeben, das
kaum ein paar hundert Schritte von Kerepes liegt. Sein Freund Fabian,
ein hübscher Bursche von muntrem Ansehen und ebensolcher
Gesinnung, rannte ihm nach und ereilte ihn dicht vor dem Tore.
"Balthasar!" - rief nun Fabian laut, "Balthasar, nun, willst du wieder
heraus in den Wald und wie ein melancholischer Philister einsam
umherirren, während tüchtige Burschen sich wacker üben in der edlen
Fechtkunst! - Ich bitte dich, Balthasar, laß doch endlich ab von deinem

närrischen, unheimlichen Treiben und sei wieder recht munter und froh,
wie du es sonst wohl warst. Komm! - wir wollen uns in ein paar
Gängen versuchen, und willst du denn noch heraus, so lauf' ich wohl
mit dir."
"Du meinst es gut," erwiderte Balthasar, "du meinst es gut, Fabian, und
deswegen will ich nicht mit dir grollen, daß du mir manchmal auf Steg
und Weg nachläufst wie ein Besessener und mich um manche Lust
bringst, von der du keinen Begriff hast. Du gehörst nun einmal zu den
seltsamen Leuten, die jeden, den sie einsam wandeln sehn, für einen
melancholischen Narren
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