Vor sclavischer Nachahmung bewahrte ihn sein besseres 
Gefühl. Was die Poesie der genannten Dichter Vortreffliches hatte, 
glaubte er nicht erreichen zu können; aber er fürchtete, in ihre Fehler zu 
verfallen. Er hatte zu sich und seinem Talent das Vertrauen verloren, 
und fand es erst wieder in dem Umgange mit mehreren gebildeten und 
kenntnisreichen jungen Männern, zu denen unter andern sein 
Landsmann und nachheriger Schwager Schlosser gehörte, der damals 
als geheimer Secretär des Herzogs Ludwig von Würtemberg diesen 
Fürsten nach Leipzig begleitet hatte. 
Durch Schlosser, der als Schriftsteller nicht unrühmlichbekannt war, 
erhielt Goethe Zutritt zu manchen gelehrten und einflußreichen 
Männern. Auch mit Gottsched, dem damaligen Tonangeber des 
ästhetischen Geschmacks, dessen Aussprüche, seinem Antagonisten 
Breitinger zum Trotz, noch immer als Orakel galten, ward Goethe auf 
die erwähnte Weise bekannt. Er fand ihn im ersten Stockwerk des 
goldnen Bären, welches ihm von seinem Verleger Breitkopf, aus 
Erkenntlichkeit für den großen Absatz seiner Schriften, zur 
lebenslänglichen Wohnung eingeräumt worden war. In einem 
Schlafrock von grünem Damast, mit rothem Taft gefüttert, trat 
Gottsched, wie Goethe in spätern Jahren erzählte, ihm und Schlosser 
entgegen. In demselben Augenblicke aber eilte ein Diener herbei, und 
reichte ihm eine große Perücke, um sein kahles Haupt zu bedecken. Der 
Saumselige bekam jedoch eine tüchtige Ohrfeige, worauf Gottsched 
mit großer Ruhe und Gleichgültigkeit die beiden Fremden zum Sitzen 
nöthigte und sich mit ihnen in ein Gespräch einließ, das meistens 
literarische Gegenstände betraf. 
Die beliebtesten englischen Autoren sich zum Muster zu wählen, hielt 
Goethe für das wirksamste Mittel, um sich von dem seichten 
Geschmack Gottsched's und seiner Schule frei zu erhalten. Aber auch 
zu einem gründlichen Studium der bessern deutschen Schriftsteller, die 
der Literatur eine neue Richtung gaben, ward Goethe durch den
Umgang mit mehreren vielseitig gebildeten jungen Männern geführt, 
zu denen, außer einigen gebildeten Livländern, ein Bruder des Dichters 
Zachariä, der nachherige Privatgelehrte Pfeil und der durch seine 
geographischen und genealogischen Compendien bekannte 
Schriftsteller Krebel gehörten. Fleißig las Goethe in Lessings, Gleims, 
Hallers, Ramlers u. A. Schriften. Keiner dieser Dichter aber raubte ihm 
die Vorliebe für Wieland. Den Eindruck, den das Lehrgedicht 
"Muserion" damals auf ihn gemacht, schilderte er in spätern Jahren mit 
den Worten: "Hier, in diesem Gedicht war es, wo ich das Antike 
lebendig und neu vor mir zu sehen glaubte. Alles, was in Wielands 
Natur plastisch war, zeigte sich hier aufs Vollkommenste, und da der zu 
unglückseliger Nüchternheit verdammte Phanias-Timon sich zuletzt 
wieder mit seinem Mädchen und mit der Welt versöhnte, so mochte ich 
die menschenfeindliche Epoche wohl mit ihm durchleben." 
Ein flüchtiges Interesse nahm Goethe an der lange dauernden 
literärischen Fehde, welche die Verschiedenheit religiöser Meinungen 
zwischen den beiden Leipziger Professoren Ernesti und Crusius 
hervorrief. Jener ging bekanntlich in der biblischen Hermeneutik von 
allgemeinen philologischen Grundsätzen aus, während Crusius zu einer 
mystischen Erklärungsweise der heiligen Schrift sich hinneigte. 
Lebhafter, als für diese theologische Polemik, interessirte sich Goethe, 
neben seiner Beschäftigung mit der Dichtkunst und den schönen 
Wissenschaften, für die eifrigen Bemühungen Jerusalems, Zollikofers, 
Spaldings und anderer berühmten Theologen, in Predigten und 
Abhandlungen der Religion und Moral aufrichtige Verehrer zu 
verschaffen. Zurückgeschreckt durch die barocke Schreibart der 
Juristen, bildete Goethe nach jenen Mustern, besonders nach 
Mendelssohn und Garve, seinen Styl. 
Poetischen Stoff sammelte er auf einsamen Spaziergängen durch das 
Rosenthal, nach Gohlis und andern benachbarten Orten. Zu einer Idylle, 
auf die er noch in spätern Jahren einigen Werth legte, begeisterte ihn 
Annette, die Tochter eines Wirths, bei welchem er mit mehreren 
Freunden seinen Mittagstisch hatte. Ueber sein Liebesverhältniß 
entwarf Goethe in spätern Lebensjahren eine anziehende Schilderung in 
den Worten: "Ich war nach Menschenweise in meinen Namen verliebt, 
und schrieb ihn, wie junge Leute zu thun pflegen, überall an. Einst 
hatte ich ihn auch sehr schön und genau in die glatte Rinde eines
Lindenbaums geschnitten. Den Herbst darauf, als meine Neigung zu 
Annetten in ihrer besten Blüthe war, gab ich mir die Mühe, den ihrigen 
oben darüber zu schneiden. Indeß hatte ich gegen Ende des Winters, als 
ein launischer Liebhaber, manche Gelegenheit vom Zaun gebrochen, 
sie zu quälen und ihr Verdruß zu machen. Im Frühjahr besuchte ich 
zufällig die Stelle. Der Saft, der mächtig in die Bäume trat, war durch 
die Einschnitte, die ihren Namen bezeichneten, und die noch nicht 
verharrscht waren, hervorgequollen, und benetzte mit unschuldigen 
Pflanzenthränen die schon hart gewordenen Züge des meinigen. Sie 
hier über mich weinen zu sehen, der ich oft durch mein Benehmen ihre 
Thränen hervorgerufen hatte, versetzte mich in Bestürzung. In 
Erinnerung meines Unrechts und ihrer Liebe kamen mir selbst die 
Thränen in die Augen. Ich eilte, ihr Alles doppelt und dreifach 
abzubitten, und verwandelte jenes Ereigniß in eine Idylle, die ich 
niemals ohne Rührung lesen oder Andern mittheilen konnte." 
Aus der poetischen Gattung, zu der jenes Gedicht gehörte, ward Goethe 
bald wieder auf die dramatische Dichtkunst hingewiesen durch den 
tiefen und bleibenden Eindruck, den Lessings Minna von Barnhelm auf 
ihn machte. Dieß ganz eigentlich    
    
		
	
	
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