gering achten, da wird das Strick so wenig durch ein Nadelöhr gehen 
wie ein Kamel, und so werden die Reichen nicht eingehen ins 
Himmelreich, wo Bella ihren Vater wiederfindet. 
Als Bella wieder zu sich gekommen, rief sie mehr als einmal: "Also das 
hat mir der Traum bedeuten sollen, daß mein Vater erhöht wurde, ja 
wohl ist er jetzt erhöhet in den Himmel und weiß von uns nichts mehr 
oder alles!" 
Der schwarze Hund kam jetzt gegen seine Gewohnheit von der 
Kammertür, legte sich ihr zu Füßen und heulte. "Also du weißt es auch 
schon, Simson?" fragte sie ihn, und der Hund nickte. "Willst du mir 
künftig dienen?" Der Hund nickte wieder, lief ans Fenster und kratzte. 
Bella sah hinaus, der Schieber war offen geblieben: sie sah die Gestalt 
ihres Vaters fernglänzend schweben, und plötzlich sank er hinunter. 
"Jetzt haben sie ihn heruntergenommen, jetzt halten sie ihm ein 
Ehrenmahl, ich muß auch unter freien Himmel zum Totenmahl." 
Mit dem Weinkruge und dem Brote, den schwarzen Hund zur Seite, trat 
sie in den verwüsteten Garten; das Haus war schon seit zehn Jahren der 
Gespenster wegen unbewohnt geblieben, denn so lange hatten die 
Zigeuner sich darin eingenistet und den Besitzer, einen reichen
Kaufmann der Stadt, der es sich als Sommersitz eingerichtet hatte, 
daraus zurückgeschreckt, bis er selbst wegen eines Bankerotts 
eingesteckt und sein Vermögen für die Gläubiger in bekannter 
Nachlässigkeit verwaltet wurde. Jetzt hatten sie unter dem Schwert der 
Gerechtigkeit vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nur durften sie sich 
am Tage nicht zeigen, während ihnen nachts alle Leute aus dem Wege 
gingen. So trat das bleiche, schöne Kind wie ein Gespenst zur Haustüre 
hinaus, und der Wächter in den nahen Gärten flüchtete sich bei ihrem 
Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz des 
Glaubens zu fühlen. Bella wußte nicht, daß sie erschreckte, die Trauer 
um den Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, über den sie 
sich ganz vergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wußte nichts als 
die Regeln der alten Braka genau zu erfüllen; es war ihr das Liebste, 
daß sie noch etwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, 
wie es bei Totenmahlen ihres Volkes gewöhnlich, ihren Schleier über 
einen Feldstein aus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach 
ihr Brot für beide, goß Wein in beide Becher, stieß mit den Bechern an, 
leerte den ihren und schüttete den Becher des Toten in den 
schwimmenden Bach, der sich in geringer Entfernung von dem Hause 
in die Schelde verlor. Und wie sie dies erste Opfer in den Fluß schütten 
wollte, da rauschte es in der Flut und tauchte empor, als ob ein großer 
Fisch, der in dem Strome keinen Raum hatte, auftauchte und 
emporschwämme, der Mond trat hinter dem Hause hervor, und sie sah 
ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone, welche 
ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das fließende Wasser 
warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so ging dem 
armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich aus 
dem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarze 
Hund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; so 
wurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den 
Leichnam ans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. 
Endlich kam Braka zurück, und da ihr an der Türe nicht aufgemacht 
worden, schlich sie in den Garten, wo sie das wunderbare Bild wie 
versteinert sah, den kräftigen Michael im Totenhemde mit der 
glänzenden silbernen Krone, über ihm das bleiche Mädchen, die 
schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleide gehalten von 
dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mußte nach ihrer
Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehr zu 
Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren 
Munde wie ein Hungernder lachen mußte; dann sprang sie hinzu, hob 
das Mädchen mit Gewalt ans Ufer und sprach: "Laß ihn ziehen, er weiß 
seinen Weg besser als du!" 
Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging 
unter Wolken, und Bella sank in die Arme der Alten. 
Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer 
eigenen Sicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella 
langeweilte sich mit dem Hunde, dessen Künste sie nicht mehr sehen 
mochte, der ewig schlief, oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich 
leckte, kratzte; sie kam endlich darauf, womit andere Erben anfangen, 
den Nachlaß der Verstorbenen zu durchsuchen. Sie schloß die geheime 
Kammer auf, nicht ohne Schrecken und Ehrfurcht, aber ihre Erwartung 
war getäuscht; da waren keine seltene Kleider und Kostbarkeiten, meist 
nur Bündel von Kräutern, Säcke mit Wurzeln, einige Steine, lauter 
Dinge, von denen sie nichts verstand, weil der Vater ihrem kindischen 
Wesen keine Achtsamkeit für das Geheime zugetraut hatte. Endlich    
    
		
	
	
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