sind," so heißt es darin, "das ist nicht wahr. Sie 
erwarten vielmehr mit Ungeduld, daß ein jeder, den das Talent dazu 
befähigt, -- nicht nur der Adlige --, zu jeder Stellung Zugang finden 
kann, daß jede Form der Dienstbarkeit und Abhängigkeit ein für 
allemal abgeschafft werde. Ich baue, was die Sicherung Deiner 
Monarchie betrifft, weit mehr auf die Folgen dieser Maßregeln, als auf 
die Resultate großer Eroberungen. Dein Volk muß sich einer Freiheit, 
einer Gleichheit, eines Rechtsschutzes erfreuen, die in Deutschland 
nicht ihresgleichen haben. Diese Art, zu regieren, wird zwischen Dir 
und Preußen eine zuverlässigere Grenzscheide bilden als die Elbe, als 
Frankreichs Festungen und sein Schutz. Welches Volk, das die 
Segnungen einer liberalen Herrschaft kennen gelernt hat, wird in die
Bande des Absolutismus zurückkehren wollen? Sei darum ein 
konstitutioneller König. Du schaffst Dir damit ein natürliches 
Übergewicht über Deine Nachbarn."[14] 
In den Empfindungen der großen Masse des Volkes schien sich 
Napoleon nicht zu täuschen. Mochte der Bruder des Korsen ihm fremd 
erscheinen, seine Person ihm zunächst gleichgültig, vielleicht sogar 
antipathisch sein, es begrüßte in ihm den endlichen, heißersehnten 
Frieden, geordnete Verhältnisse, gesicherte wirtschaftliche 
Entwicklung.[15] Darum war sein Empfang ein überraschend freudiger, 
den die persönliche Freundlichkeit des Herrscherpaares nur noch 
steigern konnte. Die Proklamation des Königs, vor der in jedem Dorf 
des Landes sich die Neugierigen sammelten, verhieß die Sicherstellung 
der Konstitution, die Abschaffung der Adels- und Kirchenprivilegien, 
der Leibeigenschaft und aller Personaldienste, die Gleichheit vor dem 
Gesetz, die Gleichberechtigung aller Religionsbekenntnisse, die 
Aufhebung der Sonderstellung der Juden, die Neuordnung des 
Gerichtsverfahrens. "Lange genug hat Euer Land unter den Vorrechten 
des Adels und den Intriguen der Fürsten gelitten. Alle Leiden der 
Kriege mußtet Ihr tragen, von den Segnungen des Friedens bliebt Ihr 
ausgeschlossen. Einige Eurer Städte erwarben die unfruchtbare Ehre, 
daß Verträge und Traktate in ihren Mauern geschlossen wurden, in 
denen nichts vergessen war, als das Schicksal des Volkes, das sie 
bewohnte."[16] War dies nicht ein Widerhall der Prinzipien von 1789, 
unter deren Einfluß das neue Frankreich sich entwickelt hatte, und 
deren Verwirklichung in Deutschland an der Ohnmacht des Volkes und 
der Macht der Fürsten gescheitert war? Sie bedeuteten diesmal mehr, 
als Fürstenproklamationen und Versprechungen sonst zu bedeuten 
hatten. Küster, der Geschäftsträger Preußens in Westfalen, der dem 
Berliner Hof regelmäßig Bericht zu erstatten hatte und neben dem 
Grafen Reinhard, dem Bevollmächtigten Napoleons und geistvollen 
Korrespondenten Goethes, der zweifelfreieste Zeuge war, sah mit 
Erstaunen, wie rasch die neuen Einrichtungen Wurzel zu fassen 
vermochten. Weite Kreise der Bevölkerung empfanden die Regierung 
Jeromes als einen Fortschritt gegenüber den alten Zuständen; die 
Gebildeten, von deren Unhaltbarkeit längst überzeugt, freuten sich der 
neuen freiheitlichen Einrichtungen; Kaufleute und Handwerker sahen
sich besonders durch sie gefördert. "Was mir aber das meiste 
Vergnügen macht," schrieb Küster am 21. November 1808 nach Berlin, 
"ist, in der Lage zu sein, dem Gange einer aufgeklärten und gerechten 
Verwaltung folgen zu können, welche auf einer glücklichen 
Konstitution sich aufbaut. Sie entwickelt sich mehr und mehr durch die 
sukzessive Organisation aller ihrer Hauptzweige, und es ist nicht 
zweifelhaft, daß dieser neue Staat, dessen Souverän nur das Gute will, 
und zwar mit Bedacht und doch mit Entschlossenheit -- bald zu einem 
hohen Grad der Vollkommenheit und des öffentlichen Glücks gelangen 
wird."[17] In einem späteren Brief rühmt er die Einfachheit und 
Schnelligkeit in der Verwaltung, berichtet von dem praktischen Wert 
des durch den König geschaffenen Zentralbureaus für 
Armenunterstützung in Kassel und sagt von ihm, daß er von den 
regierenden Brüdern des Königs die meiste Energie und den meisten 
eigenen Willen besitze.[18] 
Gerade das aber, was ihn auszeichnete, war das Unglück Jeromes. Ein 
eigener Wille war jene Eigenschaft, die Napoleon bei seinen Brüdern 
am wenigsten brauchen konnte, und Energie konnte nur dort am Platze 
sein, wo etwas Wichtiges durchzusetzen, etwas Wertvolles zu erreichen 
war. Jerome lag es am Herzen, seinem Lande ein guter König zu sein; 
ihn verlangte danach, von dem ganzen Stolz seines Geschlechts beseelt, 
zu beweisen, daß er es aus eigener Kraft sein konnte. Aber seine 
Absichten stießen auf unüberwindliche Widerstände und wurden durch 
die Pläne des Kaisers durchkreuzt. 
Offiziell hatte seine Regierung mit dem Einzug in Kassel begonnen, 
aber der Kampf mit den finanziellen Schwierigkeiten hatte bereits zwei 
Monate früher angefangen. Auf dem Papier war ihm freilich eine 
Zivilliste von fünf Millionen zugesichert worden, in Wirklichkeit aber 
war der Staatsschatz durch Kriegsabgaben, durch die Lasten, die die 
Okkupation durch französische Truppen dem Lande auferlegt hatte, 
vollkommen erschöpft, und um allein die Kosten für die Einrichtung 
des Hofes, die Reise nach Westfalen und den feierlichen Einzug 
bestreiten zu können, mußte Jerome ein Darlehn aufnehmen.[19] Die 
traurigsten Verhältnisse fand er vor, als er einzog. Selbst für ihn 
persönlich war die Lage eine äußerst beschränkte: er, der gewöhnt war,
rückhaltlos aus dem vollen zu leben, der von einem Kaiserhofe kam, 
wo Luxus als etwas Selbstverständliches erschien, der seine Freunde 
und Untergebenen, noch ehe er ein König war, königlich zu belohnen    
    
		
	
	
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