sich sofort ankleiden. 
Raina [scheinbar ärgerlich, daß sie gestört wird]: Hier lasse ich sie
nicht suchen. Warum hat man sie eingelassen?! 
Katharina [hastig hereinstürzend]: Raina, mein Liebling, dir ist doch 
nichts passiert? Hast du irgend etwas gesehen oder gehört? 
Raina: Ich hörte nur schießen; aber ich hoffe, die Soldaten werden es 
nicht wagen, hier in mein Schlafzimmer einzudringen! 
Katharina: An ihrer Spitze ist ein russischer Offizier--dem Himmel sei 
Dank. Er kennt Sergius. [Spricht durch die Tür zu jemand, der draußen 
steht:] Bitte treten Sie ein, Herr Leutnant; meine Tochter ist bereit, Sie 
zu empfangen. [Ein junger russischer Offizier in bulgarischer Uniform 
tritt ein, den Säbel in der Faust.] 
Russischer Offizier [mit sanfter geschmeidiger Höflichkeit und steifer 
militärischer Haltung]: Guten Abend, gnädiges Fräulein. Ich bedaure, 
hier eindringen zu müssen, aber ein Flüchtling ist auf Ihrem Balkon 
versteckt. Wollen Sie und Ihre gnädige Frau Mutter so gut sein und 
sich zurückziehen, während wir ihn suchen? 
Raina [ungeduldig]: Unsinn! Sie sehen von hier aus, daß niemand auf 
dem Balkon sein kann. [Sie stößt die Läden weit auf, steht mit dem 
Rücken gegen den Vorhang, hinter dem der Flüchtling versteckt ist und 
zeigt auf den vom Mond beschienenen Balkon. Zwei Schüsse fallen 
direkt unter dem Fenster, und eine Kugel zertrümmert das Fensterglas 
gegenüber von Raina, sie schließt einen Moment die Augen und atmet 
schwer, aber hält sich tapfer, während Katharina aufschreit und der 
Offizier mit dem Ausruf "Geben Sie Acht" auf den Balkon 
hinausstürzt.] 
Russischer Offizier [auf dem Balkon, schreit wütend in die Straße 
hinunter]: Hört auf, hier herein zu schießen, ihr Dummköpfe, 
verstanden! Hört auf zu feuern, verfluchte Kerle! [Er starrt einen 
Augenblick hinunter, dann wendet er sich zu Raina und versucht, seine 
höfliche Stellung von vorhin wieder einzunehmen.] Konnte jemand 
ohne Ihr Wissen hier eindringen? Schliefen Sie? 
Raina: Nein, ich war noch nicht zu Bett. 
Russischer Offizier [tritt ungeduldig in das Zimmer zurück]: Ihre 
Nachbarn haben die Köpfe so voll mit davongelaufenen Serben, daß sie 
überall welche sehen. [Höflich]: Gnädiges Fräulein, ich bitte 
tausendmal um Verzeihung. Gute Nacht. [Verneigt sich militärisch. 
Raina erwidert den Gruß kalt, er verneigt sich vor Katharina, die ihn 
hinausbegleitet. Raina schließt die Läden. Sie wendet sich um und
bemerkt Louka, die diese Szene neugierig beobachtet hat.] 
Raina: Lassen Sie meine Mutter nicht allein, Louka, während die 
Soldaten da sind. [Louka blickt auf Raina, auf die Ottomane, auf den 
Vorhang, dann spitzt sie die Lippen diskret, lacht in sich hinein und 
geht hinaus. Raina, durch dieses Mienenspiel sehr beleidigt, folgt ihr 
bis an die Tür und schlägt sie hinter ihr zu, sie geräuschvoll verriegelnd. 
Der Flüchtling tritt sofort hinter dem Vorhang hervor, steckt seinen 
Säbel ein und schüttelt in gleichsam geschäftlicher Weise die Gefahr 
von sich ab.] 
Der Flüchtling: Um ein Haar,,, doch um ein Haar ist auch gefehlt. 
Verehrtes Fräulein, Ihr Sklave bis in den Tod! Ich wünschte jetzt 
Ihretwegen, ich wäre in die bulgarische Armee statt in die serbische 
eingetreten. Ich bin kein Serbe von Geburt. 
Raina [hochmütig]: Nein, Sie sind einer von jenen Österreichern, die 
die Serben zum Raub unserer nationalen Freiheit verleiten und die 
serbische Armee mit Offizieren versehen. Wir hassen sie. 
Der Flüchtling: Österreicher? O nein! Ich bin keiner. Hassen Sie mich 
also nicht. Ich bin Schweizer, gnädiges Fräulein, und kämpfe bloß als 
Berufssoldat; ich ging zu den Serben, weil sie auf dem Wege aus der 
Schweiz mir zunächst waren. Seien Sie großmütig. Ihre Landsleute 
haben uns ohnedies aufs Haupt geschlagen. 
Raina: War ich vielleicht nicht großmütig? 
Der Flüchtling: Edel, heldenhaft! Doch ich bin noch nicht gerettet. Der 
schlimmste Ansturm ist bald vorüber, aber die Verfolgung wird mit 
Unterbrechungen die ganze Nacht hindurch fortgesetzt werden; ich 
muß trachten, mich in einem günstigen Augenblick aus dem Staube zu 
machen. Sie sind doch nicht böse, wenn ich hier noch ein bis zwei 
Minuten warte? 
Raina: O nein, ich bedaure nur, daß Sie sich abermals in Gefahr 
begeben müssen. [Auf die Ottomane weisend:] Bitte, setzen Sie sich! 
[Sie hält mit einem nicht zu unterdrückenden Angstschrei inne, als sie 
die Pistole auf der Ottomane erblickt.] 
Der Flüchtling [übernervös, fährt zurück wie ein scheuendes Pferd. 
Erregt]: Mich so zu erschrecken! Was ist denn los? 
Raina: Ihre Pistole. Der Offizier hat sie die ganze Zeit vor Augen 
gehabt! Ihre Rettung ist ein Wunder! 
Der Flüchtling [ärgerlich, so unnötigerweise geängstigt worden zu sein]:
Ach, weiter nichts?! 
Raina [blickt ihn hochmütig an und fühlt sich desto wohler, je mehr 
ihre gute Meinung von ihm abnimmt]: Ich bedaure, Sie geängstigt zu 
haben. [Sie nimmt die Pistole und reicht sie ihm]: Bitte, nehmen Sie, 
zum Schutze gegen mich. 
Der Flüchtling [lächelt müde über diesen Sarkasmus, während er die 
Pistole nimmt]: Sie nützt mir nichts, sie ist nicht geladen. [Er grinst die 
Pistole höhnisch an und schiebt sie verachtungsvoll in seine 
Revolvertasche.] 
Raina: So laden Sie sie meinetwegen! 
Der Flüchtling: Ich habe keine Munition. Was nützen einem    
    
		
	
	
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